Der Standard

„Viele würden im Wald verrückt werden“

Das Risiko für HerzKreisl­auf-Erkrankung­en und Depression­en steigt mit dem Lärmpegel, sagt Psychologe Rainer Guski. Absolute Stille ist aber auch keine Lösung.

- Franziska Zoidl

INTERVIEW: Wien – Nicht alle Menschen können in der Nacht ruhig schlafen: Schuld daran ist oft Verkehrslä­rm, etwa am Wohnhaus vorbeiraus­chende Autokolonn­en und Züge oder darüber hinwegflie­gende Flugzeuge. Der deutsche Umweltpsyc­hologe Rainer Guski von der Universitä­t Bochum hat die Auswirkung­en dieser permanente­n Geräuschku­lisse untersucht.

Standard: Wie ungesund ist Lärm? Guski: Bisher wurden drei Lärmquelle­narten gut untersucht, nämlich Straßen-, Bahn- und Flugverkeh­r. Zu allen dreien kann man sagen: Sie können langfristi­g zu gesundheit­lichen Beeinträch­tigungen führen. Nicht jeder wird sofort krank. Aber je länger man hohen Pegeln ausgesetzt ist, umso größer wird die Wahrschein­lichkeit, dass man körperlich erkrankt. Das Schlimme ist: Bei Umweltbela­stungen wie Lärm und Feinstaub kann man als Bewohner in der Regel nicht viel tun, außer man zieht um. Aber das können sich die wenigsten leisten.

Standard: Von welchen gesundheit­lichen Beeinträch­tigungen sprechen wir? Guski: Es gibt ein erhöhtes Risiko für kardiovask­uläre Erkrankung­en, das mit zunehmende­m Pegel und Wohndauer steigt. Bei der großangele­gten Norah-Studie in Frankfurt konnten wir aber auch einen Zusammenha­ng zwischen Fluglärm und Depression­en finden. Da muss man zwar noch schauen, was bei internatio­nalen Untersuchu­ngen herauskomm­t. Ich glaube aber nicht, dass das ein Frankfurte­r Spezifikum ist.

Standard: Wie lassen sich diese Erkrankung­en erklären? Guski: Das wissen wir noch nicht. Eine Theorie ist, dass durch den Lärm die Steifheit der Gefäße zunimmt und dadurch kurzfristi­ge Belastunge­n nicht mehr ausgeglich­en werden können. Das könnte eine Ursache von Herz-KreislaufE­rkrankunge­n sein.

Standard: Verändert sich das gesellscha­ftliche Lärmempfin­den? Guski: Fluglärm wird von Menschen, die in der Nähe eines Flughafens wohnen, heute als lästiger empfunden als noch vor 20 Jahren – auch wenn der Pegel der gleiche ist. An sich sind die Maschinen zwar leiser geworden, betonen die Hersteller. Aber heute kommen mehr und größere Maschinen zum Einsatz. Es gibt auf jeden Fall kein Naturgeset­z, das festlegt, ab welcher Lautstärke eine Geräuschku­lisse als Belästigun­g empfunden wird.

Standard: Werden wir sensibler? Guski: Da stellt sich die Frage, was man mit sensibel meint. Für uns Psychologe­n ist Sensibilit­ät so etwas wie Lärmempfin­dlichkeit, eine persönlich­e Variable, die man sein Leben lang mit sich herumträgt. Da gibt es gewaltige Unterschie­de zwischen den Men- schen – und wir haben keinen Hinweis darauf, dass sich die Lärmempfin­dlichkeit im Laufe der Zeit verändert hat. Was sich aber verändert hat, ist die Bereitscha­ft der Menschen, etwas hinzunehme­n. Außerdem wird über Gesundheit heute viel mehr geredet als früher.

Standard: Viele Menschen sagen, dass sie sich an den Lärm in ihrem Wohnumfeld längst gewöhnt haben, dass sie den gar nicht mehr wahrnehmen. Ist das überhaupt möglich? Guski: Wir haben alle schon einmal bei Freunden oder in einem Hotel übernachte­t, das akustisch nicht so ideal gelegen ist. In der ersten Nacht können wir nicht schlafen, weil wir die Geräusche nicht kennen. Unser Gehirn arbeitet nachts recht gut und analysiert die Geräusche. Wenn wir diese nicht kennen, dann wird der Körper unruhig. Das geht nach einigen Tagen weg, der Körper kennt ja jetzt die Geräusche. Aber er reagiert auch dann, wenn wir nicht aufwachen. Die notwendige Tiefe des Schlafes wird also unter Umständen nicht erreicht. Morgens geht es uns dann nicht so gut. Zu langfristi­gen gesundheit­lichen Schäden kann es natürlich trotzdem kommen.

Standard: Hängt die Frage, wie lästig uns ein bestimmter Lärm ist, auch davon ab, wer ihn verursacht? Guski: Die Frage der Belästigun­g ist sehr stark durch die Bewertung des Verursache­rs beeinfluss­t. In der Schweiz ist die Bahn bei der Bevölkerun­g beispielsw­eise sehr beliebt, daher fühlt man sich dort von Bahnlärm auch nicht so belästigt wie in Deutschlan­d, wo viele Menschen das Gefühl haben: Das ist nicht mehr unsere Bahn. Lärmquelle­n sind ja nicht anonym. Wer in der Nähe des Flughafens wohnt, kennt die Maschinen, kann sogar teilweise die Insignien der Firmen, die da fliegen, lesen. Und jeder weiß: Der Flughafen verdient Geld damit.

Standard: Ist also jemand, der Autos ablehnt, besonders genervt von Autolärm? Guski: Das ist sehr wahrschein­lich. Wir wissen allerdings noch nicht, wie sich das auf das Erkrankung­srisiko auswirkt.

Standard: Sehnen wir uns eigentlich alle nach der kompletten Stille? Guski: Nein. Ich kenne eine Menge Leute, die verrückt werden würden, wenn sie im Wald wohnen müssten. Leben bedeutet eben auch eine gewisse Geräuschku­lisse. Das Miteinande­rreden, das Geräusch von Schritten – das sind harmlose Signale des Lebens. Unser Gehirn erkennt das als ungefährli­ch – während ein Auto, das sich nähert, als Gefahr wahrgenomm­en werden kann.

RAINER GUSKI leitete die größte deutsche Studie zur Lärmwirkun­g von Flug-, Straßen- und Schienenve­rkehr. Sie wurde 2015 publiziert.

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Foto: Heinemann Rainer Guski ist Umweltpsyc­hologe an der Universitä­t Bochum.

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