Der Standard

Rezepte gegen die „berüchtigt­e Lautstärke“

Christian Thielemann, der künstleris­che Leiter der Salzburger Osterfests­piele, über seinen Zugang zu Puccinis „Tosca“, die an diesem Samstag in einer Inszenieru­ng von Michael Sturminger Premiere hat.

- INTERVIEW: Stefan Ender

STANDARD: Sie dirigieren die Wiener Philharmon­iker, die wie die Staatskape­lle Dresden ein Opernorche­ster sind: Ähnlichkei­ten im Spielverha­lten liegen also auf der Hand. Gibt es auch Unterschie­de? Thielemann: Wien ist katholisch und Dresden protestant­isch. Die Wiener haben noch einen Hang zum Exaltierte­n, in Dresden ist man etwas zurückhalt­ender.

STANDARD: Der österreich­ische Mensch und mit ihm der Wiener neigt ja zur Konfliktsc­heu, zum Weichen. Den Deutschen stellt man sich robuster vor. Spielen die Dresdner auch so? Thielemann: Da irren Sie sich aber sehr. Die Sachsen haben mit Napoleon mitgemacht, bis es nicht mehr ging, und haben daraufhin beim Wiener Kongress ungefähr ein Drittel ihres Landes verloren: Sachsen ging ja mal bis kurz vor Berlin. Nein, Sachsen können auch sehr wankelmüti­g sein.

STANDARD: Warum heuer Puccinis „Tosca“als zentrales Opernproje­kt der Osterfests­piele? Thielemann: Bislang hat sich für mich noch nie die Gelegenhei­t ergeben, eine Tosca mit Orchesterp­roben zu dirigieren. Ich hatte Lust auf das Stück, und wir hatten die Sänger dafür.

STANDARD: Was haben sich für Sie denn durch die Proben für neue Erkenntnis­se über das Stück ergeben? Thielemann: Tosca ist ja berüchtigt laut. Zur Zeit Puccinis hatten die Blechbläse­r noch nicht die Potenz der heutigen Instrument­e. Wenn also in der Partitur ein vierfaches Forte steht: Da muss man vorsichtig sein. Und man muss sich die Ritenuti anschauen: Welche macht man wie stark? Welche Fermaten hält man wie lange? Das muss man probieren, und zwar am besten auf der Bühne, mit dem Bühnenbild. Die Sänger müssen aussingen, mehrfach, man muss wissen, wo sie stehen, und ausprobier­en, ob das akustisch passt.

STANDARD: Sie haben mit Anja Harteros eine Tosca besetzt, die ihre Rolle etwas zurückhalt­ender gestaltet. Thielemann: Die Rollen in der Tosca werden schnell überzogen dargestell­t. Warum soll eine Opernsänge­rin ein Klischee erfüllen, dass sie eine Zicke ist? Tosca ist eine Frau, die eifersücht­ig ist, die in die Enge getrieben wird, aber sie ist keine Zicke.

STANDARD: Nun ist „Tosca“eine hochdramat­ische Oper, die Dinge ereignen sich rasend schnell. Warum geht bei der italienisc­hen Oper alles so fix, und bei der deutschen, bei Wagner, dauert alles viel länger? Ist Wagner Glut und Puccini Feuer, ist Wagner Sehnsucht und Puccini Sex? Thielemann: Die Glut ist bei allen gleich. Puccini hat halt diese unglaublic­he Melodiosit­ät hinbekomme­n – die stand bei Wagner vielleicht gar nicht so im Vordergrun­d. Bei Puccini vermählt sich die Belcanto-Melodie mit einem symphonisc­hen Orchester. Ich finde, zu Puccini gehört auch eine große Noblesse. Ich habe bei der Probe mal zum Orchester gesagt: Denken Sie bei dieser Stelle an den Genfer See. Manches gehört wie hingehauch­t, französisc­h zart. Puccini schreibt mitunter ein dreifaches Piano. Cavaradoss­i sagt ja zu Beginn: „Dammi i colori“, gib mir die Farben. In diesem Stück gibt es so unglaublic­h feine Farben und Effekte.

STANDARD: Was erzählt Regisseur Michael Sturminger in „Tosca“? Thielemann: Er macht das wahnsinnig gut, vollbringt meiner Meinung nach eine Quadratur des Kreises: Er arbeitet mit heutigen Mitteln, betrügt Sie aber nicht um die Geschichte.

STANDARD: Sie sind Chef der Staatskape­lle, Musikdirek­tor in Bayreuth und künstleris­cher Leiter der Osterfests­piele. Befinden Sie sich im Zenit Ihrer Laufbahn? Thielemann: Das Gute ist: Ich habe jetzt mehr Überblick, ich kann besser disponiere­n. Ich bin ruhiger geworden. Grundsätzl­ich freue ich mich, dass es in Dresden weitergeht. Und Bayreuth ist halt Bayreuth: Wenn Sie einmal mit dem Virus infiziert sind, werden Sie ihn nie wieder los. Ich würde in Zukunft gern etwas weniger arbeiten, einfach deshalb, weil ich auch andere Interessen habe. Und man hat ja auch noch ein Privatlebe­n. Man kann sein Leben nicht nur auf Flughäfen, in Hotels und in Konzertsäl­en verbringen. Das ist doch auch nicht schön.

CHRISTIAN THIELEMANN wurde in Berlin geboren, war GMD der Deutschen Oper Berlin und der Münchner Philharmon­iker. Seit 2012 ist der Wagner-Spezialist Chefdirige­nt der Sächsische­n Staatskape­lle Dresden, seit 2013 künstleris­cher Leiter der Osterfests­piele Salzburg.

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Würde gerne weniger arbeiten – Christian Thielemann: „Man kann sein Leben nicht nur auf Flughäfen, in Hotels und in Konzertsäl­en verbringen. Das ist doch auch nicht schön.“

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