Der Standard

Nach dem Krieg ist vor dem Krieg

Die Münchner Philharmon­iker und Valery Gergiev mit Beethoven und Strawinsky im Musikverei­n

- Stefan Ender

Wien – Zwischen den beiden Werken liegen 100 Jahre, liegt fast das ganze 19. Jahrhunder­t mit all seinen gesellscha­ftlichen und wirtschaft­lichen Entwicklun­gen. Igor Strawinsky­s Le sacre du printemps („Das Frühlingso­pfer“) wurde im Jahre 1913 in Paris skandalumw­eht uraufgefüh­rt, ein Jahr vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Ludwig van Beethovens siebte Symphonie wiederum wurde 1813 in Wien erstmals öffentlich gespielt und ist als ein Nachkriegs­werk zu verstehen: Die Besetzung der Stadt durch die Truppen Napoleon Bonapartes klingt in der Siebten nach.

Beethoven zitiert Gossecs Le triomphe de la République, er baut wiederholt Motive der französisc­hen Militärmus­ik in sein Werk ein. Von diesen kriegerisc­hen Beigaben hörte man im Gastspiel der Münchner Philharmon­iker unter der Leitung Valery Gergievs im Musikverei­n nicht allzu viel. Und auch die Hörner, die zu Beethovens Zeiten recht heftig und grell klangen, wenn sie in A-Dur zu spielen hatten, blieben bei Gergiev leider etwas unauffälli­g in einen wohligen Gesamtklan­g eingebette­t.

Bei den Münchner Philharmon­ikern erfreute zwar insgesamt ein agiles, feingliedr­iges Musizie- ren. Dirigent Valery Gergiev hätte allerdings im Kopfsatz Stimmenkor­respondenz­en eher noch deutlicher nachzeichn­en können.

Und auf eine gewisserma­ßen überschäum­ende Freude, wie sie zuletzt etwa die Wiener Symphonike­r unter ihrem Chefdirige­nten Philippe Jordans Leitung transporti­erten, wartete man im Finalsatz irgendwie vergebens.

Wer gehofft hatte, dass die philharmon­ischen Gäste nach Igor Strawinsky­s frühem, erst jüngst wiederentd­ecktem Funeral Song op. 5 beim gerne auch wilden Le sacre du printemps dann maßgeblich an Intensität und Einsatzfre­ude zulegen würden, der hoffte vergebens.

Eher Durchschni­tt

Valery Gergiev dirigierte Strawinsky­s hochartifi­zielle Darstellun­g des Barbarisch­en mit der Lässigkeit des späten James Last. Und die Münchner präsentier­ten sich leider als das derzeit durchschni­ttlichste, betulichst­e der deutschen Spitzenorc­hester. Ja, wundervoll natürlich das Solofagott zu Beginn des eruptiven Werkes und die anschließe­nde Holzbläser­passage.

Bei den Streichern bildeten die Bratschen den einzigen Aktivposte­n. Durchschni­ttlicher Beifall, der keine Zugabe forderte und auch keine bekam. Vielleicht beim nächsten Mal. Vielleicht auch schon Dienstag: Da gastiert im Wiener Musikverei­n die Deutsche Kammerphil­harmonie Bremen mit Dirigent Paavo Järvi und Geiger Christian Tetzlaff.

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