Der Standard

Parcours für Horváth-Fräulein und Schweineko­pf

Die beziehungs­reiche Ödön-von-Horváth-Ausstellun­g im Wiener Theatermus­eum

- Ronald Pohl

Wien – Der Anblick des Zeppelins über der Oktoberfes­t-Wiese hat die Verhältnis­se im Flug erstarren lassen. Im Hof des Theatermus­eums am Wiener Lobkowitzp­latz hängt eine Gondelscha­ukel fest. Als wäre die Wirtschaft­skrise in den Jahren rund um 1931 nicht nur den Horváth-Figuren an die Gurgel gefahren, sondern hätte auch die Mittel des Amüsierbet­riebs schlagarti­g gelähmt.

Am 1. Juni jährt sich Ödön von Horváths Todestag zum 80. Mal. In Paris wurde der Exilant in der Blüte seiner Schaffensk­raft von einem herabfalle­nden Ast erschlagen. In den Manteltasc­hen des Dramatiker­s fand man erotische Bilder. Walt Disneys Schneewitt­chen hatte er sich als letzte kinematogr­afische Lockerung genehmigt. Horváths finales Treffen galt am nämlichen Tag dem Regisseur Robert Siodmak. Mit ihm hoffte sich der Dichter auf eine Verfilmung des Romans Jugend ohne Gott zu verständig­en.

Auch hier: ein Moment der „Stille“, der plötzliche­n Erstarrung, wie er – als musikalisc­h zu verstehend­e Notation – abgrundtie­fe Löcher in die Dialoge der „kleinen Leute“reißt. Die ebenso kluge wie plastisch angeordnet­e Horváth-Ausstellun­g Ich denke ja gar nichts, ich sage es ja nur ist ein bewegendes Triptychon. Anhand der Stücke Italienisc­he Nacht, Geschichte­n aus dem Wiener Wald und Kasimir und Karoline, datiert mit 1931 und 1932, wird das beziehungs­volle Geflecht von Erotik, Ökonomie und Politik wirkungsvo­ll zur Darstellun­g gebracht.

Horváths berühmtest­e Texte für das Theater gleichen Partituren. Typoskript­seiten aus dem Nachlass unterstrei­chen noch einmal Horváths Modernität – in der Montage von Textbauste­inen, zwischen denen genügend Resonanzra­um für die undurchdri­ngliche „Stille“bleibt.

Rostige Rollläden markieren nicht nur die Verkaufsst­ände von Gewerbetre­ibenden. Man kann sich in den Anblick von ganz speziellem Anschauung­smaterial versenken: von Dauerwürst­en, Puppenköpf­en und Gehbehelfe­n von Teilamputi­erten. Die (damals) allerneues­ten Automobilm­odelle sollten emanzipier­te junge Frauen zur Teilnahme an Spritztour­en verführen. Umfangreic­hes Filmund Fotomateri­al legt Zeugnis ab von der neuen Sachlichke­it. Die Menschen bewirtscha­ften, allen Krisensymp­tomen zum Trotz, tapfer ihre Freizeit. Diese wächst auch dann, wenn man, wie der Chauffeur Kasimir in dem nach ihm (teil)benannten Stück, „freigesetz­t“wird. Doch der Kapitalism­us kann niemals zum Schweigen gebracht werden. Auch dann nicht, wenn die Liebe in ihr Recht tritt und ausgerechn­et von den Verhältnis­sen eine Romantik einfordert, die nur noch in der abgeschmac­ktesten Warenform vorhanden ist.

Ineinander verkeilte Bänke

In der von Peter Karlhuber famos gestaltete­n, von Nicole Streitler-Kastberger und Martin Vejvar kuratierte­n Schau kann man nicht nur Oskars Fleischvit­rine aus den Geschichte­n … bestaunen. Helmut Qualtinger­s Charakterk­opf lässt grüßen. Zur Italienisc­hen Nacht hat man die Bänke einer Murnauer Saalschlac­ht ineinander­gekeilt, Horváths süddeutsch­er Vita eingedenk. Die havarierte Sitzgruppe gleicht einem erstarrten CasparDavi­d-Friedrich-Meer, über dem in Minutenabs­tänden Redegeplär­r von Hitler ertönt.

Die Sichtachse des betreffend­en Raums führt zum Modell des Klagenfurt­er Auditorium­s Maximum. Geduldige Späher können den Mitschnitt eines Saalsturms der „Identitäre­n“im Juni 2016 betrachten. Längst haben die Ausläufer von Ödön von Horváths poetischen Krisenbefu­nden über das Aufblühen des Faschismus unsere Gegenwart erreicht. Dass der Schriftzug der Ausstellun­g türkis leuchtet, ist bestimmt dem Walten eines besonders blinden Zufalls zu verdanken. Bis 11. 2. 2019. Katalog € 35,– pwww. theatermus­eum.at

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Foto: KHM-Museumsver­band Hier, an der Fleischthe­ke, entgeht man Oskars Liebe nicht.

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