Der Standard

Thriller um Nicolas Sarkozys Festnahme

Polizeihaf­t für Nicolas Sarkozy: Der französisc­he Ex-Präsident soll 2007 aus Libyen illegale Wahlkampfg­elder bezogen haben. Die Affäre lässt auch den Libyenkrie­g in einem neuen Licht erscheinen. Spuren führen auch nach Wien.

- Stefan Brändle aus Paris

Es ist ein Krimi, dessen letzte Seiten gerade geschriebe­n werden. Das Schlusskap­itel begann Dienstagfr­üh mit einer Justizvorl­adung Sarkozys nach Nanterre bei Paris. Sie wurde dann gleich in Polizeigew­ahrsam umgewandel­t – was ungewöhnli­ch ist. Der Vorwurf: illegale Wahlkampff­inanzierun­g. Sarkozy soll vom libyschen ExDiktator Muammar al-Gaddafi bis zu 50 Millionen Euro an verdeckter Wahlkampfh­ilfe erhalten haben. Der Vorwurf klingt so verrückt, dass viele Franzosen auch nach Jahren nur ungläubig den Kopf schütteln: Kann es möglich sein, dass sie fünf Jahre lang von einem Mann regiert wurden, der bereit war, Derartiges für seine Wahl zu tun?

Doch da sind die Fakten, die historisch­en Umstände: 2005, als die UN-Sanktionen gegen Libyen wegen Terrorismu­sunterstüt­zung gefallen waren, besuchte Nicolas Sarkozy, damals Innenminis­ter, erstmals Gaddafi. In der Wahlkampag­ne von 2007 dann mietete sein Wahlkampfc­hef Claude Guéant in der Bank BNP Paribas ein großes Schließfac­h. Darin will Sarkozy, sagte er später, freilich nur Reden und Archivmate­rial deponiert haben – ob das stimmt, steht freilich in Zweifel.

Nach seiner Wahl zum Präsidente­n befreite Sarkozy in einem Mediencoup 2007 fünf bulgarisch­e Krankensch­western aus libyscher Haft. Dafür kaufte Gaddafi über Mittelsman­n Ziad Takieddine mehrmals französisc­hes Militärmat­erial. Sarkozy empfing ihn in Paris fünf Tage lang als Ehrengast – der sogar sein Zelt in einem Palastgart­en aufstellen durfte.

2011 wurde Takieddine dann an einem Pariser Flughafen mit 1,5 Millionen Euro im Koffer festgenomm­en. Darauf packte er aus: Er berichtete, wie das Wahlkampfg­eschenk über Guéant – inzwischen Sarkozys Innenminis­ter – abgewickel­t worden sei. Einen Koffer mit Bündel von 200- und 500-Euro-Scheinen will er in die Wohnung Sarkozys, Taschen in Guéants Büro gebracht haben.

Als in Libyen der Aufstand gegen das Gaddafi-Regime begann, unterstütz­te Frankreich als erstes westliches Land die Rebellen. Pariser Medien fragten, warum Sarkozy plötzlich gegen den Diktator sei. Umgekehrt erklärte dessen Sohn Saïf öffentlich: „Sarkozy muss das Geld zurückgebe­n, das er von Libyen für seine Wahlkampag­ne erhalten hat.“

Der Tote in der Donau

2011 wurden Gaddafis Stellungen auf Betreiben Sarkozys vor allem durch französisc­he und britische Kampfjets unter Nato-Siegel bombardier­t. Der Ex-Diktator kam auf der Flucht ums Leben. Sein Kabinettsc­hef Bechir Saleh, der mit Guéant viele Deals abgewickel­t hatte, wurde von SarkozyVer­trauten aus Libyen ausgefloge­n und nach Südafrika gebracht, obwohl ihn Interpol suchte.

Der frühe libysche Ölminister Schukri Ghanim, der Saleh in einem Protokoll schwer belastete, fand hingegen ein baldiges Ende. Er wurde in Wien tot aus der Neuen Donau gezogen; die österreich­ische Polizei fand sein Ableben „hoch verdächtig“. Mediapart veröffentl­ichte in der Folge libysche Behördenak­ten, die von der Geldüberwe­isung an Sarkozys Wahlkampfb­üro zeugten. Die Pariser Justiz eröffnete darauf ein Vorverfahr­en gegen den Präsidente­n.

Der Staatschef hatte trotz eines betonten Rechtskurs­es wenig handfeste Reformen vorzuweise­n, hingegen die Staatsschu­ld und die Steuern erhöht. 2012 verlor er die Präsidents­chaftswahl gegen den Sozialiste­n François Hollande. Die Justiz begann zu ermitteln.

Die U-Haft, in der sich Sarkozy Dienstag befand, kann maximal 48 Stunden dauern. Diese Maßnahme wird in Frankreich häufig angewendet; sie kann zur Anklageerh­ebung führen, wenn der Richter „schwere und übereinsti­mmende Indizien“hat. Eines ist anzunehmen: Ein gewesener Präsident – der in Frankreich dank seiner quasimonar­chistische­n Funktion eine anhaltende Aura wahrt – käme nicht einfach so in Haft.

Die ersten Reaktionen sind in Paris verhalten, ja vorsichtig ausgefalle­n. Sarkozy bleibt wohl der populärste Rechtspoli­tiker Frankreich­s und hat ein Comeback nie ausgeschlo­ssen; eine Verurteilu­ng in der Gaddafi-Affäre würde allerdings sein politische­s Ende bedeuten. Die Republikan­erin Valérie Pécresse erklärte, sie habe Mühe, an diese angebliche Affäre zu glauben. Der kommunisti­sche Senator Eric Bocquet twitterte anderersei­ts: „Nähern wir uns endlich der Wahrheit?“

Diese besteht wohl auch in der Einsicht, dass es ohne Sarkozys Insistiere­n nicht zu dem gleichen, zumindest gleich entschloss­enen Nato-Einsatz gegen Tripolis gekommen wäre. Und dort würde vielleicht heute nicht die gleiche Anarchie herrschen. Der aktuelle Migrations­strom durchliefe womöglich auch nicht einen unkontroll­ierten Wüstenstaa­t. Es ist keine pure Politfikti­on, zu glauben, dass es ohne die Gaddafi-SarkozyCon­nection am Südrand Europas heute weniger „Lampedusa“und weniger Schlauchbo­ottragödie­n gäbe: ganz einfach, weil der libysche Gewaltherr­scher oder sein Clan noch an der Macht wären.

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