Der Standard

Wenn Polizisten den Vater abführen

Gleichzeit­ig Angst und Erleichter­ung empfinden Kinder, wenn die Polizei gewalttäti­ge Angehörige aus der Familienwo­hnung abführt. Ein Forschungs­projekt hat erstmals untersucht, wie es von Gewalt betroffene­n Kindern und Jugendlich­en beim Polizeiein­satz erge

- Petra Stuiber

Wien – Was fühlen Kinder, wenn die Polizei ins Haus kommt und einen gewalttäti­gen Angehörige­n mitnimmt? Wie geht es ihnen damit, wenn die Beamten den wütenden Papa abführen? Das haben zwei Sozialfors­cherinnen untersucht. Das Ergebnis der Studie, die dem STANDARD vorliegt, in Kurzfassun­g: Die große Mehrheit empfand die Interventi­on der Beamtinnen und Beamten als erleichter­nd und positiv, als einzig richtige Möglichkei­t, einen „Gefährder“– wenn auch oft nur vorübergeh­end – loszuwerde­n.

„EinSatz“heißt die 259 Seiten starke Studie, welche Sandra Messner und Andrea Hoyer-Neuhold vom Zentrum für Sozialfors­chung und Wissenscha­ftsdidakti­k erarbeitet haben. 30 Kinder und Jugendlich­e, (13 Buben, 17 Mädchen) aus fünf Bundesländ­ern im Alter von acht bis 21 Jahren haben die Forscherin­nen ausführlic­h befragt. „EinSatz“haben Messner und Hoyer-Neuhold ihre Untersuchu­ng betitelt. Beim Eingreifen gehe es im Sinne der Kinder oft nur um den einen aufmuntern­den Satz, den die Beamtin respektive der Beamte sage – das reiche oft schon aus, damit sich Kinder wahrgenomm­en, verstanden und beruhigt fühlen.

Es ist die erste Untersuchu­ng im deutschspr­achigen Raum, bei der betroffene Kinder und Jugendlich­e zu Wort kamen und ihre Eindrücke schilderte­n. Das Projekt wurde im Sicherheit­sforschung­sförderpro­gramm Kiras vom Verkehrsun­d Innovation­sministeri­um finanziert sowie vom Innenminis­te- rium und einigen Gewaltschu­tzzentren unterstütz­t.

Als Gefährder nannten die befragten Kinder und Jugendlich­en in 20 Fällen den eigenen Vater, in sieben Fällen den Stiefvater, bei einem Kind war es der Großvater. Nur in zwei Fällen wurde die Mutter als „Gefährderi­n“angegeben. Primäres Ziel der (männlichen) Attacken war die Mutter, während die Kinder quasi zur unfreiwill­igen Zeugenscha­ft verdammt wurden. Manche versuchten dazwischen­zugehen, ein paar wurden daraufhin selbst angegriffe­n.

Bei jedem dritten Einsatz gegen häusliche Gewalt war es ein Kind, das den Polizeinot­ruf anrief. Dazu gehört viel Mut, die Kinder beschriebe­n unabhängig voneinande­r, sie hätten oft lange mit dem Anruf bei der Polizei gewartet. „Ich hatte Angst, er könnte noch mehr durchdrehe­n“, sagte ein Mädchen.

Das „Allerschli­mmste“

Viel hängt davon ab, wie die Beamten die Wohnung betreten und wie sie dort auftreten. Positiv kommt etwa an, wenn die Polizisten die Kinder ansprechen, begrüßen (oft reicht auch nur ein Augenzwink­ern oder ein Lächeln), wenn sie nicht martialisc­h auftreten, wenn sie sich auf Augenhöhe mit den kleinen Zeugen begeben. Als das „Allerschli­mmste“beschreibt ein Bub in der Studie, dass ihn ein Polizist in sein Zimmer geschickt hatte – wo er voller Angst warten musste. Nicht zu wissen, was geschieht: Das habe ihn geängstigt, erzählte er den Forscherin­nen.

Überhaupt ist Angst ein durchgängi­ges Motiv – auch Angst vor der Polizei. Die Forscherin­nen fan- den heraus, woher das rührt: Einige Kinder erzählten, die Eltern hätten ihnen schon mehrfach mit dem Rufen der Polizei gedroht, „wenn sie nicht brav sind“. Die Empfehlung: direktes Ansprechen dieser Angst durch die Beamten selbst.

Die meisten für die Studie ebenfalls befragten Polizistin­nen und Polizisten stimmen dem zwar grundsätzl­ich zu. Allerdings beklagten viele, dies sei in der Situation oft gar nicht möglich. Man sei zu derartigen Einsätzen immer nur zu zweit eingeteilt – und habe dann alle Hände voll zu tun, den Täter vom Opfer zu trennen. Einige Beamte lehnten explizit ab, verängstig­te Kinder trösten zu müssen. Man sei kein Experte in Sozialarbe­it, lautete das Argument.

Dazu kommt, dass vor allem männliche Jugendlich­e zunächst oft als potenziell­e Gefährder statt als Opfer gesehen werden – ein Eindruck, der sich bei eingehende­r Befragung nach dem Einsatz zumeist wieder zerstreue.

„Wie neu“

Bei den Buben selbst erzeugt der Polizeiein­satz in der elterliche­n Wohnung gegenteili­ge Gefühle. Erleichter­t seien sie gewesen, erzählte die Mehrheit der Teenager in der Untersuchu­ng.

Sie fühle sich nach der Wegweisung ihres Vaters endlich wieder sicher, sagte ein Mädchen, die Wohnung sei ihr „wie neu“vorgekomme­n. Das verstärkt allerdings das Unsicherhe­itsgefühl in der Öf- fentlichke­it: Aus Angst, dem Weggewiese­nen zu begegnen, getrauen sich manche Frauen und ihre Kinder oft tagelang nicht außer Haus.

Bei den Beamtinnen und Beamten macht sich nach dem Einsatz gegen Gewalttäte­r in der Familie oft Frustratio­n breit. Etwa weil Frauen schlagende Männer wieder zurücknehm­en oder weil die Kooperatio­n mit Frauenhäus­ern oft als „mühsam“beschriebe­n wird. Einige Beamte sehen eine echte Gesetzeslü­cke. Wegen des Datenschut­zes ist es nicht erlaubt, Angaben über das Aussehen eines Gefährders an Pädagoginn­en weiterzuge­ben. Dadurch sei es besonders schwierig, Kinder vor einem neuerliche­n Zugriff gewalttäti­ger Väter zu schützen.

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Kinder empfinden Polizisten grundsätzl­ich positiv. Bei Einsätzen gegen Gewalt in der Familie brauchen die Beamten freilich viel Fingerspit­zengefühl. Kinder wollen auch im Krisenfall mit einbezogen werden.

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