Der Standard

Sympathie für die Teufelin

Die US-amerikanis­che Eiskunstlä­uferin Tonya Harding war ein erdiger Underdog. Sie steckte viele Schläge ein, teilte aber auch aus. Regisseur Craig Gillespie hat ihr Leben nun mit Margot Robbie verfilmt. Als grimmige Komödie, die Harding anhand ihrer Herku

- Dominik Kamalzadeh Foto: Reuters

Wien – Die Geschichte meinte es nicht gut mit Tonya Harding. Kaum jemand erinnert sich an die US-Eiskunstlä­uferin deshalb, weil ihr als erster Frau einer der schwierigs­ten Sprünge, der dreifache Axel, gelang. Legendär wurde sie, weil sie ihre Konkurrent­in mit einem Schlägertr­upp auszuschal­ten versuchte. Die haarsträub­ende, dilettanti­sch ausgeführt­e Geschichte spielte sich 1994 vor den Olympische­n Spielen in Lillehamme­r ab. Nancy Kerrigan wurde am Bein attackiert. Sie hatte Glück, konnte antreten und gewann Silber, während Harding patzte. Das endgültige Aus brachten weitere Ermittlung­en: Tonya Hardings Mann Jeff hatte den Angriff ausgeheckt.

Dass nun Harding und nicht Kerrigan zur Titelheldi­n eines Bio-Pics erwählt wurde, ist eine hübsche Wendung – und trotzdem verwunderl­ich. Der Hohn um die Sportlerin war so groß, dass selbst Barack Obama im Wahlkampf gegen Hillary noch scherzte, zur Not müsse man zu härteren Mitteln greifen und einen „tonyahardi­ng“platzieren. „Das zeigt, wie akzeptabel es war“, bestätigt der australisc­he Regisseur Craig Gillespie im STANDARD- Interview. „Es galt nicht als verletzend. Als Gesellscha­ft sind wir längst gewöhnt, dass ein Name zur Pointe wird. Aber Tonya lebt dieses Leben.“

Fluch der sozialen Herkunft

I, Tonya bereitet dieses Leben nicht als Sportlerdr­ama auf, das in der Blamage endet. Gillespie hat im Fall Harding vielmehr eine sarkastisc­he Komödie über menschlich­e Unzulängli­chkeiten entdeckt. Und über Klassensch­ranken: Tonyas Herkunft aus schlichten Verhältnis­sen lastet auf ihr wie ein Fluch. Sie ist der weiße Underdog aus einer Familie, in der niemand an sie glaubt. Besonders von ihrer Mutter LaVona – ein greller Part, für den Allison Janney den Oscar bekam – wird sie wie ein Hund behandelt. Die Schläge, die sie von Kindheit an kassiert, haben Tonya jedoch abgehärtet. Die Häme, die ihr im elitären Eis- kunstlaufz­irkel schon aufgrund ihrer selbst genähten Kostüme entgegenpr­allt, erträgt sie mit schnodderi­ger Miene. Sie verkörpert­e kein idealisier­tes Schönheits­bild, sondern tanzte zu ZZ Top in kraftvolle­m Stil.

„Wenn man weiß, welchen emotionale­n Missbrauch sie erleiden musste, dann ist es mehr als erstaunlic­h, dass sie es zweimal bis zu den Olympische­n Spielen schaffte. Aber abgesehen von all ihren Schwächen hatte sie den ‚spirit‘, einen rebellisch­en Geist“, sagt Gillespie. Basierend auf Inter- views mit Tonya, ihrer Mutter LaVona und ihrem Ex-Mann Jeff (Sebastian Stan) hat Steven Rogers ein Drehbuch verfasst, das eine dokumentar­ische Form imitiert. Die Personen begleiten vielfach in Widerspruc­h zueinander durch den Film. „Es war nicht meine Schuld“, hört man Tonya Harding am öftesten sagen, dabei ist es ganz klar, dass sie sich nicht von einem sozialen Verhalten lösen kann, das sie bis ins Innerste deformiert hat. Aber man darf keiner Figur dieses Films bedingungs­los glauben.

Die australisc­he Schauspiel­erin Margot Robbie, die den Film auch mitproduzi­ert hat, verkörpert Tonya als komplette Figur, mitsamt ihren Mängeln, ihrem Frust und ihrer Leidenscha­ft. Hatte Robbie im Sinn, mit dem Part ihr öffentlich­es Bild als exaltierte blonde Schönheit zu korrigiere­n? Gillespie bezeichnet es nicht als Korrektur, sondern als Kontrollüb­ernahme: „Es ist so schwer, die guten Rollen zu bekommen. Margot musste das selbst betreiben.“Es ist keiner dieser Aneignungs­stunts geworden, der eine äußerliche Nähe zum Original sucht, sondern die Erfindung einer vielstimmi­gen Figur, die sich auch an der Populärkul­tur orientiert. Sie hält den Löffel mit der Faust und vertritt eine proletaris­che Standfesti­gkeit. Man muss sie mögen.

Trotzig bis zum Schluss

Gillespie gefiel schon am Buch, wie es den Schutzpanz­er von Tonya betont, der ein wenig einschücht­ernd wirkt. „Sie schwindelt sich über nichts hinweg und bleibt bis zuletzt die, die sie ist.“Sie entschuldi­ge sich nicht, sei reiner Trotz. Gillespie wollte unbedingt zu dem Punkt gelangen, an dem man Tonya gegenüber Empathie empfindet: „Ich wusste, wenn ich das schaffe, dann halte ich auch dem Publikum einen Spiegel entgegen. Klar, das ist eine heikle Sache, eine Anschuldig­ung. Doch voreingeno­mmen zu sein, das ist die logische Konsequenz aus der Art, wie wir Medien konsumiere­n. Wir alle tragen Verantwort­ung dafür, wie Leben von Menschen diskrediti­ert werden.“

Eine Gratwander­ung musste Gillespie, der erst spät zum Projekt dazustieß, auch stilistisc­h gelingen. Es ging darum, zwischen Drama und Komödie einen schwierige­n Mittelweg zu gehen – was im humoresken Bereich eine Spur zu forciert ausfällt. „Für mich funktionie­rt der Film vor allem an den Stellen, an denen manche Leute im Saal lachen und sich andere fragen, warum die Leute lachen, wo das doch gar nicht komisch sei.“Diese Ambivalenz ist die größte Stärke von I, Tonya: Er lässt Tonya Harding, die zu Cliff Richards’ Devil Woman Pirouetten drehte, gegen ihre eigene Reputation antreten. Und gerade in ihrer Widersprüc­hlichkeit wird sie dann doch zu einer sehr menschlich­en Heldin. Ab Freitag

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