Der Standard

Jürg Laederach 1945–2018

Der originelle Schweizer Autor und Jazzfanati­ker ist 72-jährig in seiner Heimatstad­t Basel nach langem Leiden verstorben

- Ronald Pohl

Basel – Als ihn die Grazer Literaturz­eitschrift Manuskript­e vor nicht allzu langer Zeit mit einer eigenen Ausgabe beschenkte, da erschien Jürg Laederach in einer seiner Lieblingsp­osen auf dem Cover. Der Basler, als Autor ein begnadeter Wortmusike­r vor dem Herren, blies, auf einer Industrieb­rache stehend, das Saxofon.

Und wirklich gab es keinen anderen Dichter, der so wie Laederach die Grammatik des Modern Jazz beherrscht­e und dessen musikalisc­he Verfahren in Prosa zu übersetzen verstand. Seine weit ausschwing­enden Sätze besaßen Drive. Mit Vorliebe entwickelt­e Laederach längere Gedankensp­iele, oder er komprimier­te den Gehalt dickleibig­er Romane auf wenige Seiten.

Alles ein Gleichnis

Als mögliches Ideal erschienen ihm die nervösen Bebop-Nummern Charlie Parkers: „Sagenhafte Romane“nannte Laederach dessen Zweieinhal­bminüter. Aber Laederach, der Mathematik und Physik studiert hatte und aus dem Französisc­hen (Maurice Blanchot) ebenso virtuos übersetzte wie aus dem Englischen (Stein, Gass, Pynchon), wurde ohnedies alles zum Gleichnis.

Laederachs Bücher erscheinen seit den 1970er-Jahren, und man kann nicht behaupten, sie hätten ein Massenpubl­ikum gefunden. Ein Titel wie 69 Arten den Blues zu spielen ging immerhin in den Wortschatz der Allgemeinh­eit über. Umfangreic­he Arbeiten wie Emanuel glichen Bühnen, auf denen das Denken (und sein Formuliere­n) in Slapstick-Bewegungen vorgeführt wurde. Kaum jemand wird ein LaederachB­uch unbedenkli­ch „nacherzähl­en“können. Vom Literaturk­reis Oulipo unterschie­d ihn die Manier, Formzwänge noch vor ihrer Wirksamwer­dung mit Leichtigke­it von sich abzuschütt­eln.

Als Gewinner des Italo-SvevoPreis­es 2005 umriss er sein Credo als Dizzy Gillespie der Schweizer Literatur, der beim Versuch, A Night in Tunisia zu intonieren, Kamele durch ein Nadelöhr jagt: „Ich bin kein Reduktioni­st, außer man, das heißt: Die formalen Umstände zwingen mich. Ich erzähle auch keine Geschichte­n, außer man findet dies; von diesem Finden bin ich abhängig.“

Jürg Laederach suchte frühzeitig Anschluss an die Grazer Avantgarde rund um Alfred Kolle- ritsch und das Forum Stadtpark. Sein sanguinisc­hes Gemüt machte die Härten der Avantgarde erträglich, sein enzyklopäd­isches Wissen über irgendwelc­he Hardboppla­tten aus den 1950ern war unübertrof­fen. Jetzt ist Laederach, der Suhrkamp-Autor für Connaisseu­re, nach langem Leiden 72-jährig in Basel gestorben.

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Foto: Laederach Müde stimmen nur die Abenteuer im Kopf: Jürg Laederach.

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