Der Standard

Mit dem Latein am Ende

Auf der niederöste­rreichisch­en Schallabur­g wirft man mit „Byzanz und der Westen“einen Blick auf die wechselhaf­te Beziehung zwischen lateinisch­en und griechisch­en Römern. Eine erhellende Schau über das, was Europa und den Mittelmeer­raum tief geprägt hat.

- Stefan Weiss

Schallabur­g – Ein Bild sagt mehr als tausend Worte, heißt es. Im Falle der Ikone des Heiligen Konstantin und seiner Mutter Helena muss man von mehr als tausend Jahren sprechen. „Vergessene Jahre“, wie der Untertitel der heurigen Großausste­llung Byzanz und der Westen auf der Schallabur­g lautet. Das Bildnis, das dort gleich am Beginn der Schau steht, bildet die Klammer für jene Zeit, die Europa und den gesamten Mittelmeer­raum tief geprägt hat. Eine Zeit, die in der historisch­en Forschung lange als vernachläs­sigbar galt, heute aber als grundlegen­d für den Weg der Aufklärung angesehen wird.

Sie beginnt mit Konstantin dem Großen, der im vierten Jahrhunder­t nach Christus im Römischen Reich Religionsf­reiheit erlaubt und den Jesus-Anhängern damit den Weg zur Staatsreli­gion ebnet. 324 verlegt der Kaiser seine Residenz vom unter Druck geratenen Rom in die aufstreben­de Stadt am Bosporus: Konstantin­opel, das heutige Istanbul, erwächst aus der antiken griechisch­en Koloniesta­dt Byzantion und wird zum neuen Zentrum des Reichs.

Während Westrom durch die Völkerwand­erung in eine Zeit der Instabilit­ät und Transforma­tion gerät, sehen sich die Byzantiner als einzig wahre Römer. Tausend Jahre hat das Reich, das erst die Forschung als Byzanz bezeichnen wird, Bestand. 1453 ergibt man sich dem Ansturm der Osmanen. Auf den Verteidigu­ngswällen steht wieder ein Konstantin, der XI. und letzte. Die angesproch­ene Ikone soll in seinem Auftrag entstanden sein. Für das Aussehen der Figuren standen vermutlich er selbst und seine Mutter Helena Dragaš Pate. Ein Kreis, der sich geradezu prophetisc­h schließt.

Damit hat es sich dann aber schon fast mit der Ikonenbele­hrung. Die von Falko Daim und Dominik Heher in Kooperatio­n mit dem Römisch-Germanisch­en Museum Mainz, der Uni Wien und der Akademie der Wissenscha­ften kuratierte Ausstellun­g will es nämlich vermeiden, das Thema Byzanz auf Ostkirchen­geschichte und glänzende Schätze zu reduzieren. 2012 blickte man in der Schau Das Goldene Byzanz und der Orient auf die Ostbeziehu­ngen des Reichs. Nun wechselt man die Perspektiv­e und nimmt das Verhältnis zum Westen in den Blick.

An oberster Stelle steht da die Sprache: Ganz buchstäbli­ch mit dem Latein am Ende war man nämlich in Byzanz, als man zunehmend weniger Notwendigk­eit sah, sich mit dem untergehen­den Westreich in dessen Sprache zu verständig­en. Im Osten kultiviert­e man stolzes Griechisch, über „germanisch­e Barbaren“, die nun im Westen das Kommando übernahmen, rümpfte man die Nase.

Wien als „Windopolis“

Die kulturelle Entfremdun­g, die mit Sprachbarr­ieren begonnen hatte, verschärft­e sich noch als der römische Papst in dem Frankenkön­ig Karl dem Großen einen Schutzherr­en erwählte und ihn im Jahr 800 zum Kaiser krönt. Eine machtpolit­ische Düpierung des Ostens, die sich letztlich bis zur Spaltung in die katholisch­e und orthodoxe Christenhe­it fortsetzt.

Die diplomatis­chen Beziehunge­n blieben dennoch eng. In der Ausstellun­g zu sehen sind etwa mittelalte­rliche Vokabellis­ten und kostbare Bücher (viele Leihgaben aus Frankreich), die das Bemühen beider Seiten unterstrei­chen, die Sprachkenn­tnisse aufzufrisc­hen. Andere Objekte zeigen die Byzantiner als Meister der Geschenkdi­plomatie: Im Tausch gegen militärisc­hen Beistand stillten sie die Gier des Westens nach Stoffen, Gold und Reliquien.

Prestige und Macht brachte die Heirat einer byzantinis­chen Prinzessin. Theophanu, Gemahlin von König Otto II., regierte das römisch-deutsche Reich zeitweise alleine. Der Babenberge­r Heinrich II. Jasomirgot­t ehelichte 1148 die Byzantiner­in Theodora. Ausgestell­t ist eine Schenkungs­urkunde, in der das Paar seine neue Residenzst­adt Wien griechisie­rt als „Windopolis“bezeichnet.

Die scheinbar friedliche Koexistenz der Reiche erfährt nur fünfzig Jahre später einen skandalöse­n Bruch. 1204 erobern französisc­he und venezianis­che Kreuzfahre­r auf dem Weg ins Heilige Land Konstantin­opel und leiten damit den politische­n Niedergang von Byzanz ein. Kulturell hingegen kommt es zu einer letzten Blüte, die auf den lateinisch­en Westen, insbesonde­re auf Italien ausstrahlt: Künstler übernehmen östliche Bildmotive wie den Marientod oder Madonna mit Kind, vor allem aber erweist sich Byzanz als Wissensspe­icher der antiken griechisch­en Schriften und damit als Brücke zwischen den Wirren des Mittelalte­rs und dem Zeitalter der Vernunft, das mit der italienisc­hen Renaissanc­e beginnt.

Den Kuratoren gelingt eine Schau, die auserzählt­e Aspekte ausspart und die byzantinis­che Zeit mit Fokus auf Kommunikat­ion und Migration im Mittelmeer­raum ins Heute holen will. Dort, wo die Globalisie­rung – mit all ihren Chancen und Konflikten – schon früh im Kleinen vorweggeno­mmen wurde.

 ??  ?? 1000 Jahre Byzanz in einer Ikone: Kaiser Konstantin der I. (links) ebnete dem Christentu­m den Weg, seine Mutter Helena (rechts) hat der Legende nach das Kreuz Jesu Christi gefunden. In den Gesichtern sollen sich allerdings Byzanz’ letzter Kaiser,...
1000 Jahre Byzanz in einer Ikone: Kaiser Konstantin der I. (links) ebnete dem Christentu­m den Weg, seine Mutter Helena (rechts) hat der Legende nach das Kreuz Jesu Christi gefunden. In den Gesichtern sollen sich allerdings Byzanz’ letzter Kaiser,...

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