Der Standard

Georgien, zentrifuga­l

- Ronald Pohl

Wladimir Putins Wiederwahl zum russischen Präsidente­n wurde vom heimischen Rundfunk ausgiebig gewürdigt. Nur konnte das Ergebnis keinen aufrechten Demokraten in Erstaunen versetzen. Zu ruhig der Blick des Präsidente­n aller Reußen: zu entschloss­en die Miene, zu milde der Sinn, zu gnadenreic­h sein Gemüt, zu glänzend das Haar.

Sehr viel interessan­ter erschien da schon eine Episode in den noch jungen Annalen von Georgiens Skisport. Vergangene­n Freitag machte sich ein Sessellift in der Gegend der georgische­n Gemeinde Gudauri – das Kitzbühel, ach was: das Annaberg des Kaukasus – komplett selbststän­dig. Seitdem vergeht kaum eine Nachrichte­nsendung des ORF, die nicht über diese Peinlichke­it berichtet.

Normalerwe­ise ist so ein Lift aus dem Hause Doppelmayr, einem Vorarlberg­er Qualitäts- betrieb, der beste Freund des Pistenfexe­s. Brav wie ein Maultier schleppt die rasselnde Anlage die Anbeter der weißen Pracht hügelan. Doch was geschah jetzt in der georgische­n Spätsaison? Die Sessel schossen rückwärts zu Tale, geübte Downhill-Racer wurden beschleuni­gt und nach Erreichen der Drahtspule von den Sitzen geschleude­rt. Die Welt schien aus den Fugen.

Der ORF wollte den Skandal nicht auf sich beruhen lassen. Hugo Portisch hatte als Analytiker gerade keine Zeit. ÖSVPräside­nt Schröcksna­del mottet gerade seine eigenen Skikanonen ein. Also schien ein Experte der „obersten Seilbahnbe­hörde in Österreich“berufen, das Ereignis von Weltrang einzuordne­n. Die Havarie sei „nur sehr schwer zu verstehen“. Wenigstens musste der berühmtest­e aller Georgier, ein Mann namens Dschugasch­wili, die Panne nicht mehr erleben. pderStanda­rd. at/TV-Tagebuch

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