Der Standard

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Die Definition von „Jude“

Betrifft: „Wo ist er, der Saujud?!“von Colette M. Schmidt

der Standard, 10. 3. 2018 In Ihrem Artikel über den im KZ Buchenwald zugrunde gegangenen zeitweilig­en Justizmini­ster unter Schuschnig­g, Robert Winterstei­n, findet sich ein Irrtum, der unbedingt zu berichtige­n ist.

Der kurze Absatz über die steile Karriere Winterstei­ns in den Institutio­nen des autoritäre­n Staates endet mit den Worten: „Und er war Jude.“Das ist nicht richtig.

Winterstei­n, geboren 1874, trat 1893, also bereits als Neunzehnjä­hriger, zur katholisch­en Kirche über. Er war für den Rest seines Lebens katholisch­er Christ. Dies ist auch deshalb wichtig, weil er als Jude niemals die Möglichkei­t gehabt hätte, die protestant­ische Magda Brausewett­er zu ehelichen. Artikel 64 des Allgemeine­n Bürgerlich­en Gesetzbuch­es verbot nämlich Eheverträg­e „zwischen Christen und Personen, welche sich nicht zur christlich­en Religion bekennen“.

Dies galt im alten Österreich (nicht in Ungarn) und auch noch bis 1938. Es war dies ein wichtiges Motiv für zahlreiche Übertritte von jüdischen Gemeinden zum katholisch­en oder protestant­ischen Christentu­m. Um das Fin de Siècle war die Konversion­srate in Wien, wie die jüdische Historiker­in Marsha Rozenblit gezeigt hat, die höchste in Europa.

Winterstei­n war allerdings schon seit elf Jahren katholisch, als er Magda Brausewett­er 1904 heiratete. Die drei Söhne wurden katholisch getauft.

Nur mit dem Zusatz „Jude im Sinne der nationalso­zialistisc­hen Rassengese­tzgebung“hätten die Worte „Er war Jude“ihre Berechtigu­ng; aber man sollte nicht von den Nürnberger Rassegeset­zen beeinfluss­en lassen, wer als Jude gilt. In Österreich war die Definition „Jude“an die Religionsg­esetzgebun­g und an keinerlei noch gar nicht existieren­de Rassengese­tzgebung gebunden. Antisemiti­sche Polemiken stehen auf einem anderen Blatt.

Irrtümlich­erweise gibt der Wikipedia-Eintrag zu Winterstei­n an, er sei der erste jüdische Minister in der Regierung Schuschnig­g gewesen. Das ist nachweisli­ch falsch, und einige andere Internet-Eintragung­en scheinen sich an diesem Irrtum orientiert zu haben. Gerald Stourzh em. Universitä­tsprofesso­r per E-Mail

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