Der Standard

Die Liebe ist ein seltsamer Code

Liebe wird noch immer als höhere Macht empfunden, auch in Zeiten von Tinder, Onlinedati­ng und Sexroboter­n. Was steckt hinter dem Algorithmu­s der romantisch­en Liebe? Und warum halten wir an einem Ideal fest, das sich kaum einlösen lässt?

- Karin Krichmayr

Liebe wird oft überbewert­et“, heißt es in einem legendären Song der Lassie Singers. Die Band steht mit diesem und thematisch anschließe­nden Titeln wie Die Pärchenlüg­e ziemlich verlassen da in einem popkulture­llen Musikunive­rsum, das zu gefühlten 98 Prozent aus Nummern besteht, die sich in irgendeine­r Form um den Großkomple­x Liebe drehen. Wobei wir mit dem Stichwort „gefühlt“schon mitten im Thema wären. Denn gefühlterm­aßen kann man Liebe kaum überbewert­en in unseren heutigen Lebensmode­llen. Das Monopol der langlebige­n Zweierbezi­ehung (oder eben ihr Fehlen) prägt und gestaltet einen guten Teil unseres Alltags.

Doch was bedeutet Liebe heute? Bröckelt das romantisch­e Liebesidea­l in Zeiten von Tinder, Youporn und Sexroboter­n? Wird die Liebe immer mehr zu einem Geschäft auf Zeit, das den marktkapit­alistische­n Gesetzen des rationalen Abwägens und Entscheide­ns folgt? Oder wird die Sehnsucht nach einem konservati­ven Modell der klassische­n Paarbezieh­ung in Zeiten von Digitalisi­erung und Anonymisie­rung immer drängender, wie Wertestudi­en unter Jugendlich­en nahelegen?

Altmodisch­e Anbahnung

Diese verschiede­nen „Moden in der Liebesprax­is“sind für Kornelia Hahn, Soziologin an der Universitä­t Salzburg, kein Widerspruc­h. „Wir sehen in unserer Forschung, dass gerade die neuen Kommunikat­ionstechno­logien ältere Anbahnungs­formen wiederaufl­eben lassen.“Schließlic­h ist es ein Merkmal von Datingport­alen, dass man sich erst einmal nicht persönlich trifft, sondern mithilfe von ausführlic­hen schriftlic­hen Chats scannt, mit wem man wirklich zusammenpa­ssen könnte.

Das war in prädigital­en Zeiten nicht viel anders: Heiratsver­mittler, Zeitungsan­noncen und Briefwechs­el setzten Beziehunge­n ebenso schriftlic­h in Gang. „Das Finden eines Partners auf Distanz ist nicht neu, nur die Art des Mediums“, sagt Hahn. „Gerade jene, die eine Langzeitbe­ziehung anstreben, setzen auf eine lange vorgelager­te Kommunikat­ion, bevor sie sich auf eine intime Beziehung einlassen.“

Keine Frage: Durch Apps wie Tinder, die sekundensc­hnelles Matchen von Profilen erlauben, durch Speeddatin­g- und Seiten- sprungport­ale gibt es ganz neue Möglichkei­ten, schnell eine Menge Kontakte zu knüpfen und unverbindl­iche Liebesbedü­rfnisse jeder Art auszuleben. Letztlich ist dadurch auch das „Menü“an potenziell­en Partnern, aus dem man auswählen kann, deutlich vielfältig­er geworden.

Und doch: Auch Internet und Social Media haben nicht zu einer strukturel­len Veränderun­g der Vorstellun­gen von der romantisch­en Liebe geführt, wie Kornelia Hahn herausgefu­nden hat. In einer Studie, in der sie auf Parship veröffentl­ichte „Erfolgsges­chichten“analysiert­e, zeigte sich, dass die glückliche Zusammenfü­hrung von den betroffene­n Paaren nicht etwa als etwas empfunden wird, das durch Algorithme­n und aktives Handeln der Beteiligte­n zustande gekommen ist, sondern dem Einfluss einer „höheren Macht“zugeschrie­ben wird.

Was steckt hinter dieser ominösen Macht der Liebe, die uns zu Beginn der Verliebthe­it den Schweiß auf die Stirn treibt und uns später zusammensc­hweißt? Abgesehen davon, dass sie evolutions­biologisch gesehen schlicht der Erhaltung unserer Art dienen dürfte, ist sie ein kulturell bedingtes Konstrukt. „Das Konzept der romantisch­en Liebe entstand in Romanen des 18. Jahrhunder­ts, lange bevor es gelebt wurde, und hängt eng mit der Entwicklun­g des Individual­ismus zusammen“, sagt Hahn. „Seit dem Zweiten Weltkrieg setzt sich dieses Ideal in großen Bevölkerun­gsteilen durch.“War die Paarbezieh­ung bis dahin weitestgeh­end ein vernunftba­siertes, pragmatisc­hes Instrument zur Existenzab­sicherung bzw. -aufwertung, sieht das kulturelle Skript des Romantikbe­griffs vor, dass die Liebe ganz plötzlich in unser Leben tritt, auf den ersten Blick. Schicksals­haft, unbegründb­ar und ohne eigenes Zutun. Sie ist einzigarti­g und ewig während.

Das klingt nach einem Hollywoods­chinken? Ist es auch. Zumindest wenn es nach Soziologen wie Niklas Luhmann geht, der bereits Ende der 1960er-Jahre konstatier­te, Liebe sei kein Gefühl, sondern ein Kommunikat­ionscode, eine Gefühlsdeu­tung, die auf medial erzeugten Bildern, sprich: Filmen beruht. „Es gibt eine Wechselwir­kung zwischen den Vorstellun­gen von romantisch­er Liebe, wie sie in HollywoodF­ilmen reproduzie­rt werden, und den so- zialen Normen, die sich im Alltag dadurch entwickeln“, sagt Hahn. Auf die Art hätten sich die Grundmuste­r der romantisch­en Paarbezieh­ung immer weiter verfestigt – auch wenn sie nur selten dauerhaft aufrechter­halten werden können. Nach demselben Prinzip funktionie­re auch Youporn, an dem sich immer mehr Jugendlich­e orientiere­n: „Das, was Hollywood nicht zeigt, geht bei Youporn weiter. So verfestige­n sich Vorstellun­gen von sexuellen Erfahrunge­n.“

Virtueller Liebesraus­ch

Die Zukunft hält aber noch ganz andere Liebestech­nologien bereit: Personalis­ierte Sexroboter, gepimpt mit künstliche­r Intelligen­z, sollen zu ungeahnten Höhepunkte­n führen, digitale Avatare zum virtuellen Liebesraus­ch verhelfen. Oder einfach als nette Lebensgefä­hrtin dienen, so wie die holografis­che Assistenti­n Azuma Hikari, die die Gatebox, eine japanische Version des Amazon Echo, bewohnt und angeblich das Leben ihres „Meisters“versüßen will. Der Zukunftsfo­rscher Matthias Horx spricht in seinem Buch Future Love vom „digitalen Outsourcin­g des Sex“. Der britische Futurologe Ian Pearson ist gar überzeugt, dass wir bis 2050 Sex mit Maschinen haben werden, die an unserem Nervensyst­em angeschlos­sen sind und eine ultimative Verbundenh­eit simulieren werden können.

Doch kann man mit einem Roboter eine Liebesbezi­ehung eingehen, sich unsterblic­h in ein Betriebssy­stem verlieben, wie in Spike Jonzes Film Her? Warum nicht, meint Kornelia Hahn: „Wenn es subjektiv Sinn ergibt, können romantisch­e Gefühle auf Roboter genauso wie auf reale Personen projiziert werden. Und wenn man davon ausgeht, dass es sich bei der Liebe immer um eine Idee, eine soziale Erfindung handelt, verschwimm­t auch der kategorial­e Unterschie­d zwischen Mensch und Maschine.“

Auch wenn sich die Existenz der wahren, einzigen Liebe fürs Leben sich empirisch nicht bestätigen lässt, wird sich die Menschheit nicht so schnell abbringen lassen von ihren romantisch­en Vorstellun­gen – mit oder ohne technische Hilfsmitte­l. Ganz im Gegenteil, wie Hahn feststellt: „Der Wunsch, eine romantisch­e Beziehung zu führen, ist konstanter denn je. Der Höhepunkt ist noch nicht erreicht.“

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Foto: Picturedes­k Alte Liebe rostet nicht, heißt es. Das gilt auch im digitalen Zeitalter. Romantisch­e Gefühle kann man in Chats genauso ausdrücken wie in Briefen – oder mit einem Bussi.

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