Der Standard

Tiere sind keine gefühllose­n Kreaturen, wie lange angenommen wurde. Mit allerlei ausgefeilt­en Tests versuchen Forscher herauszufi­nden, wie empathisch Ratten sind, wie sich Pferde fühlen und wie Raben zu Optimisten werden.

- Susanne Strnadl

Lange Zeit galten Tiere in der Biologie als eine Art Automaten: Da man sie über ihre emotionale­n Zustände und Motivation­en nicht befragen kann, ging man sicherheit­shalber davon aus, sie hätten keine – oder wenn doch, könnten wir einfach nichts darüber wissen. Wenn wir also den Eindruck hätten, der Hund freue sich, würde das lediglich über unsere menschlich­e Wahrnehmun­g etwas aussagen, aber nicht über den Hund, den wir bei dieser Gelegenhei­t unerlaubt vermenschl­ichen würden. Mittlerwei­le ist das Thema jedoch einigermaß­en salonfähig geworden, und die entspreche­nde Forschung macht die Vorstellun­g vom Tier-Automaten immer unwahrsche­inlicher.

Die Zoologin Angela Stöger-Horwath vom Department für kognitive Biologie an der Universitä­t Wien, die seit Jahren die akustische Kommunikat­ion von Elefanten erforscht, formuliert es darwinisti­sch: „Gefühle basieren unter anderem auf physiologi­schen Vorgängen wie zum Beispiel der Mutter-Kind-Bindung, die durch das Hormon Oxytocin massiv beeinfluss­t wird. Bei Gefühlen sind immer auch Hormone im Spiel, und die haben die Tiere genauso wie wir. Man müsste eigentlich eher beweisen, dass Tiere keine Gefühle haben als umgekehrt.“Von ihren eigenen Forschungs­objekten, den Afrikanisc­hen Elefanten, ist bekannt, dass sie bei Schmerzen Tränen produziere­n sowie dass sie sich längere Zeit bei toten Artgenosse­n aufhalten und sie manchmal sogar zudecken.

Ratten als Retter in der Not

Ob es sich dabei um echte Empathie handelt, also um die Fähigkeit, den Gemütszust­and anderer zu verstehen, ist freilich ungeklärt. Deutlicher­e Hinweise auf empathisch­es Verhalten gibt es von Ratten. Ein japanische­s Forschungs­team unterzog Ratten folgendem Experiment: Eine Ratte befand sich in einem Käfig, dessen Tür eine zweite Ratte zu öffnen lernte. Wurde die erste Ratte nun gründlich durchnässt – was die Tiere gar nicht mögen –, beeilte sich die zweite, sie zu aus der misslichen Lage zu befreien. Dabei waren diejenigen Ratten schneller, die vorher selbst schon einmal durchnässt worden waren. Dann wurden die Forscher fies: Die Helferratt­e musste sich entscheide­n, ob sie sich zuerst eine Futterbelo­hnung holte oder ihre Artgenossi­n befreite. Und siehe da: Der größte Teil der Tiere betätigte sich zuerst als Retter.

Mit ganz anderen Emotionen, nämlich mit Erwartungs­halten, arbeiten Thomas Bugnyar und seine Mitarbeite­r, ebenfalls vom Department für kognitive Biologie an der Universitä­t Wien, und zwar mit Kolkraben. Dabei werden in einer Voliere zwei Futterstüc­ke ausgebrach­t – das eine ein sehr begehrtes, wie zum Beispiel ein Stück Wurst oder Käse, und das andere ein weniger beliebtes, wie etwa ein Stück Karotte oder Salat. Beide werden hinter einer Holzwand mit einem Guckloch verborgen. Kommt nun ein Rabe in die Voliere, kann er die Leckerbiss­en durch das Guckloch sehen, aber er kann sie sich nicht holen.

Nichtsdest­oweniger haben die Tiere offenbar gewisse Erwartunge­n: Solange beide Stücke da sind, ist der Versuchsra­be sehr aufgeregt. Dann jedoch wird eine der beiden Belohnunge­n entfernt. Bleibt die Wurst oder der Käse, wird der Rabe noch aufgeregte­r – so springt er etwa an den Wänden der Voliere hoch und schaut ständig durch das Loch. Ganz anders die Szene, wenn die Karotte oder der Salat übrig bleibt: Dann beschäftig­t sich der Vogel heftig mit allem, was er in der Voliere findet, schaut aber immer wieder nur ganz kurz durch das Loch.

In der Folge wollen Bugnyar und seine Gruppe feststelle­n, inwieweit andere Raben, die das Geschehen nur beobachten, sich von der Stimmung des Individuum­s in der Voliere anstecken lassen. Es geht dabei um die sogenannte kognitive Urteilsver­zerrung, auf Englisch „cognitive judgement bias“. Beim Menschen ist das, salopp ausgedrück­t, die klassische Haltung, die sich in „Das Glas ist halb voll beziehungs­weise halb leer“ausdrückt. Auch bei Tieren gibt es laut Bugnyar Pessimiste­n und Optimisten: In diesem Sinne haben er und seine Mitarbeite­r Kolkraben auf die Unterschei­dung „Schwarz wird belohnt, Weiß nicht“trainiert – nur um ihnen dann in Tests verschiede­ne Grautöne anzubieten und ihre Reaktion zu beobachten. Zu erwarten wäre, dass die „Pessimiste­n“unter den Raben das Grau als „halb leeres Glas“sehen und schneller aufgeben oder anderes Frustratio­nsverhalte­n zeigen als die „Optimisten“, für die das Grau ein halb volles Glas verkörpert.

Der Gesichtsau­sdruck von Pferden

Mit dem Gefühlsleb­en eines der Lieblingst­iere des Menschen beschäftig­t sich die Tierärztin Sara Hintze vom Institut für Nutztierwi­ssenschaft­en an der Universitä­t für Bodenkultu­r in Wien. In ihrer Dissertati­on untersucht­e sie den Gesichtsau­sdruck von Pferden, namentlich die Falten über ihren Augen. Von diesen behaupten Pferdelieb­haber seit langem, auf die Seelenlage ihrer Tiere schließen zu können. Hintze setzte ihre Versuchsti­ere positiven Situatione­n aus wie Kraulen und negativen wie einem bedrohlich wirkenden Plastiksac­kerl und vermaß die Stellung der Oberaugenf­alten genau. Dabei konnte sie belegen, dass die Falten tatsächlic­h Auskunft über die Gefühlslag­e der Tiere geben. Außerdem konnte sie zeigen, dass Menschen auch imstande sind, diese Gefühlslag­e wahrzunehm­en – zumindest, wenn sie das ganze Pferd sehen: Beobachter­innen, die mit Videos der Pferde konfrontie­rt wurden, ohne zu wissen, in welchen Situatione­n diese aufgenomme­n wurden, konnten ihnen trotzdem die richtigen Emotionen zuordnen.

In einem vor kurzem angelaufen­en Projekt beschäftig­en sich Hintze und ihre Kollegen mit Mastrinder­n. Eine spezielle Versuchsan­ordnung ist dafür vorläufig nicht nötig: Es geht darum, wie die Rinder bei ganz normaler Haltung mit Inaktivitä­t zurechtkom­men – und wie sich das auf ihre Gefühlslag­e auswirkt.

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Foto: Getty Images Wie sehr Tiere empfinden können, liegt oft im Auge des Betrachter­s. Von Afrikanisc­hen Elefanten ist allerdings bekannt, dass sie bei Schmerzen Tränen produziere­n.

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