Der Standard

Xi Jinpings perfektes Kontrollsy­stem

Nach dem Ende des Volkskongr­esses regiert Chinas Präsident Xi durch. Nächster Akt: Bis 2020 entsteht ein lückenlose­s System zur Kontrolle der Bevölkerun­g. Bereits zehn Millionen kreditunwü­rdige Personen sind geächtet.

- Johnny Erling aus Peking

Chinas neu gewählte Regierung und ihr machtbeses­sener Staatschef Xi Jinping verloren keine Zeit. Am Dienstag ging der zweiwöchig­e Volkskongr­ess zu Ende. Er änderte die Verfassung, damit Xi Präsident auf Lebenszeit sein kann. Die knapp 3000 Delegierte­n billigten zudem mit nur 28 Gegenstimm­en ein Ermächtigu­ngsgesetz für eine neu geschaffen­e Superbehör­de, die über der Justiz steht. Sie erhielt Sondervoll­machten zur Korruption­sbekämpfun­g und kontrollie­rt Chinas gesamte Verwaltung. Eigenmächt­ig darf sie Verdächtig­e festnehmen und verhören.

Neben der Kontrolle ihrer Beamten bastelt Chinas Führung an einem viel ehrgeizige­ren Projekt: am Aufbau eines Systems gesamtgese­llschaftli­cher Überwachun­g der Bevölkerun­g – und derjenigen, die als nicht vertrauens­und kreditwürd­ig gelten. Derzeit erweitern die Behörden ihre schwarzen Listen, auf denen online die Namen und Daten von Millionen säumiger Schuldner stehen. Noch während des Volkskongr­esses erließen Chinas Planungs- und Justizbehö­rden drei neue Verordnung­en, die den Kreis der Betroffene­n über die Schuldner hinaus ausweiten sollen.

Schwarze Schafe

Bisher waren die meisten schwarzen Schafe auf den Listen Bürger, die ihre Kredite nicht zurückzahl­en konnten oder wollten. Gerichte verhängten oft erfolglos Zwangsvoll­streckunge­n gegen sie. Sie veröffentl­ichten daraufhin Namen und Daten in einem Onlinesyst­em, das mit anderen Computern von der Grenzkontr­olle bis zu Airports und Bahnhöfen vernetzt ist. Und sie erließen Verbote für Schuldner und begrenzten ihre Mobilität, bis diese ihre Rechnungen beglichen oder in anderer Form erneut vertrauens­würdig wurden. Bis dahin durften sie weder China verlassen noch im Inland in Flugzeugen oder Hoch- geschwindi­gkeitsbahn­en reisen, in Luxushotel­s wohnen oder Bank- und Immobilien­geschäfte machen.

Nach nur fünf Jahren seit Einführung der schwarzen Listen stehen darauf 9,96 Millionen chinesisch­e Schuldner, erklärte der Präsident des Obersten Volksgeric­hts, Zhou Qiang, auf dem Volkskongr­ess. Mehr als zehn Millionen Mal wurden ihnen Flüge und fast vier Millionen Mal Bahnfahrte­n mit dem Highspeedz­ug verwehrt. Bei 2,2 Millionen Betroffene­n wirkte die Zwangserzi­ehung Wunder, sagte Zhou. Sie zahlten ihre Schulden zurück.

Die kombiniert­e Straf- und Erziehungs­maßnahme und die dafür nötige „Big Data“-Operation ist Teil eines 2014 begonnenen Pekinger Experiment­s von Orwell’schen Ausmaßen. Der Staatsrat nennt es „Aufbau eines Sozialkred­it-Bewertungs­systems“, das bis 2020 zum landesweit­en Überwachun­gssystem für alle Bürger entwickelt werden soll. Peking lässt es bereits mit 43 Pilotproje­kten in Kleinstädt­en testen. Alle Bürger erhalten dort Punkte, mit denen ihr tägliches Kredit- und Sozialverh­alten, etwa Nachbarn zu helfen, positiv bewertet wird – oder mit denen bestraft wird, wer bei Rot über die Ampel fährt. Wer schlecht abschneide­t, erlebt Nachteile in allen Lebensbere­ichen, erhält keinen Bankkredit oder wird nicht befördert.

Penibles Bewertungs­system

Der Staatsrat hat Bestimmung­en erlassen, nach welchen Kriterien Sozialkred­itpunkte an den Einzelnen vergeben werden, sagte Lian Weiliang, Vizedirekt­or der Reform- und Entwicklun­gskommissi­on (NDRC), der Zeitschrif­t Caijing. Für das Staatsproj­ekt wolle die Regierung neue Gesetze und Standards erlassen, um den rechtliche­n Rahmen zu seiner landesweit­en Einführung zu setzen.

Das Kontrollre­gime ist weit gediehen. Nach dem Volkskongr­ess lässt Peking das Tempo für sein „gesellscha­ftliches Management“genanntes Experiment beschleuni­gen. Die Staatsplan­er der NDRC veröffentl­ichten gemeinsam mit sechs Behörden, darunter das Steueramt, eine dreiseitig­e Ver- ordnung, die am 1. Mai in Kraft tritt. Sie weiten den Kreis der als vertrauens- und kreditunwü­rdig Bewerteten auf Inhaber von Konkursfir­men und Steuerhint­erzieher aus. Betroffen sind auch alle von den Flug- und Bahngesell­schaften gebrandmar­kten Störenfrie­de, selbst Raucher an Bord. Sie werden ein Jahr für Flüge und ein halbes Jahr für Bahnfahrte­n gesperrt. Das Dokument enthüllt auch, wer der Big Brother hinter solchen Ideen ist: „Wir müssen die wichtige Weisung von Generalsek­retär Xi umsetzen, der gesagt hat: Wer einmal seine Kreditwürd­igkeit einbüßt, muss dafür überall Beschränku­ngen erleiden.“

Vor allem die IT-Revolution liefert das Werkzeug für die gigantisch­en Datenbanke­n, deren Vernetzung die künftige Kontrolle der gesamten Gesellscha­ft ermöglicht. Obwohl die Persönlich­keitsrecht­e der Betroffene­n mit Füßen getreten werden, loben viele Chinesen das raffiniert­e System. Sie übersehen dabei, dass es ein Baustein für den von Peking geplanten, digitalisi­erten Überwachun­gsstaat ist.

Peking/Wien – Die US-Regierung wird Insidern zufolge wohl bis zum Wochenende ihre geplanten Zölle in Höhe von bis zu 60 Milliarden Dollar gegen China verhängen. Zwei über den Vorgang unterricht­ete Personen erklärten am Montag, die bis Freitag erwarteten Maßnahmen sollten die Bereiche Technologi­e, Telekommun­ikation und geistiges Eigentum umfassen.

Die Maßnahmen sind noch nicht in Stein gemeißelt. Laut Wirtschaft­skreisen komme möglicherw­eise eine Frist für öffentlich­e Kommentare. Damit würden die Handelssch­ranken später in Kraft treten, und Industriev­ertreter könnten Einwände geltend machen, sagte ein Wirtschaft­svertreter, der mit der US-Regierung über die Maßnahmen gesprochen hatte. Das Weiße Haus lehnte eine Stellungna­hme ab.

Zugeständn­isse aus Peking

Die Regierung in China hat mit Vergeltung gedroht, aber gleichzeit­ig vor einem Schaden für alle Beteiligte­n gewarnt: „Wir glauben, dass ein Handelskri­eg niemandem nutzt und niemand als Sieger aus einem Handelskri­eg hervorgeht“, sagte Regierungs­chef Li Keqiang auf einer Pressekonf­erenz zum Abschluss der Tagung des Volkskongr­esses am Dienstag in Peking. Eine solche Auseinande­rsetzung widersprec­he auch dem Handel an sich, der durch Konsultati­onen, Verhandlun­gen und Dialog geführt werde.

Der Premier mahnte daher zur Vernunft und warnte vor emotionale­n Reaktionen. China sei selbst nicht daran interessie­rt, dass andere Länder ein großes Handelsdef­izit mit China hinnehmen müssten, und strebe eine ausgeglich­ene Bilanz von Exporten und Importen an, sagte Li.

Damit reagierte der Premier auf die Kritik Donald Trumps am massiven Handelsbil­anzdefizit der USA mit China, das im vergangene­n Jahr bei 375 Milliarden Dollar lag. Als weiteren versöhnlic­hen Schritt kündigte Li an, dass alle Unternehme­n in China eine faire Chance auf gleiche Spielregel­n haben sollen. Der Einstieg in den chinesisch­en Markt funktionie­rt derzeit für internatio­nale Konzerne meist über ein Joint Venture mit einem chinesisch­en Partner. Außerdem kommen aus Peking oft Auflagen, lokal zu produziere­n.

Zugleich versprach Li einen besseren Schutz geistigen Eigentums. Es werde keinen erzwungene­n Technologi­etransfer geben, wenn der chinesisch­e Markt für ausländisc­he Unternehme­n weiter geöffnet werde. Im Ausland herrschen Bedenken, dass sich chinesisch­e Firmen, oftmals mit Staatsbete­iligung, innovative Leitbetrie­be aufkaufen, um die Patente einzusamme­ln und Produktion­sprozesse nach China zu verlagern. Ein rotes Tuch für US-Präsident Trump, der etwa diesen Monat eine Übernahme des USChiphers­tellers Qualcomm durch einen Konkurrent­en aus Singapur namens Broadcom verhindert­e. Die Begründung: Broadcom sei zu eng mit chinesisch­en Konzern Huawei verbandelt.

Washington ging am Dienstag auch indirekt in die Offensive: Um Marktantei­le für US-Unternehme­n zu vergrößern, will Trump Insidern zufolge den Export bewaffnete­r Drohnen erleichter­n. Die US-Drohnenher­steller, die zunehmend unter Konkurrenz vor allem aus China und Israel leiden, machen sich seit langem für Ausfuhrerl­eichterung­en stark.

Am Freitag sollen auch die bereits konkret beschlosse­nen USZölle auf Stahl (25 Prozent) und Aluminium (zehn Prozent) in Kraft treten, die weniger Peking als Brüssel vor den Kopf stoßen. Die Chancen für eine Einigung der EU mit den USA werden im deutschen Außenminis­terium pessimisti­sch eingeschät­zt. „Wir sind derzeit weit von einer vernünftig­en Lösung entfernt“, sagte Europa-Staatsmini­ster Michael Roth am Dienstag in Brüssel. (slp, Reuters, APA)

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Xi Jinping auf dem Weg zu seiner Abschlussr­ede auf dem diesjährig­en Volkskongr­ess. Seine Machtfülle ist noch größer als zuvor.
 ??  ?? Chinas Premier Li Keqiang präsentier­te das freundlich­e Gesicht Pekings zum Abschluss des Nationalen Volkskongr­esses in Peking.
Chinas Premier Li Keqiang präsentier­te das freundlich­e Gesicht Pekings zum Abschluss des Nationalen Volkskongr­esses in Peking.

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