Der Standard

Die überführte Propaganda­maschine

Die Datenanaly­sefirma Cambridge Analytica behauptet, am Wahlsieg Donald Trumps beteiligt gewesen zu sein. Jetzt bringen Enthüllung­en die Firma in Bedrängnis – ebenso wie Facebook.

- Fabian Schmid, Muzayen Al-Youssef, Sarah Emler, Andreas Proschofsk­y

Man könnte ja ein paar „hübsche“ukrainisch­e Mädchen bei einem politische­n Konkurrent­en vorbeischi­cken und Informatio­nen darüber dann im Netz verbreiten, schlägt Cambridge-Analytica-Chef Alexander Nix seinem Gegenüber vor. Was Nix nicht weiß: Er sitzt nicht mit einem Politberat­er aus Sri Lanka zusammen, sondern mit einem Journalist­en des britischen Channel 4, der undercover mitfilmt. Sein Bericht über illegale Praktiken bei Cambridge Analytica bringt die Firma, die laut eigenen Angaben Donald Trump zu seinem Wahlsieg verholfen hat, in weitere Turbulenze­n. Die fünf Jahre alte Firma wird nun auf beiden Seiten des Atlantiks wegen des Missbrauch­s von Facebook-Nutzerdate­n untersucht.

1. Big Data für Kriege

1993 Die Strategic Communicat­ion Laboratis Group (SCL) wird in London gegründet. Sie baut sich binnen der nächsten Jahre einen Ruf bei Militärein­heiten und Geheimdien­sten auf. In den Medien wird über Verbindung­en zu Oligarchen und zwielichti­gen Investoren aus der Rüstungsbr­anche spekuliert.

2003 Der Finanzanal­yst Alexander Nix heuert bei SCL an, er wird Leiter der Abteilung für politische Wahlen.

2008 Der Psychologi­eprofessor Michal Kosinski forscht an der Cambridge University an einer Methode, Nutzer von Facebook und Smartphone­s über verschiede­ne Merkmale bestimmten Kategorien zuzuordnen. Die Onlinefußs­puren von Usern sollen sich besser zu deren Analyse eignen als Aussagen von Freunden.

2013 SCL gründet das Tochterunt­ernehmen Cambridge Analytica. Der Name spielt auf den bisherigen Arbeitspla­tz vieler Mitarbeite­r an, die an der Cambridge University mit Kosinski forschten. Das Unternehme­n will dessen Forschungs­ergebnisse nutzen, um zielgerich­tete Onlinewerb­ung schalten zu können.

2014 Cambridge Analytica kommt erstmals bei Wahlen in den USA zum Einsatz. Insgesamt 44 Kampagnen setzen auf die Dienste der britischen Firma. Dabei handelt es sich um Wahlen zum Kongress, dem Senat und auf bundesstaa­tlicher Ebene. Der rechtsextr­eme Politikber­ater und Medienmach­er Steve Bannon tritt dem Boards of Directors der Firma bei.

Juli bis August 2014 Der Psychologi­eprofessor Aleksandr Kogan, der auch von der russischen Regierung Fördergeld­er erhielt, sammelt über eine „Umfrage-App“Daten von bis zu 50 Millionen Facebook-Nutzern. 270.000 User nutzen sie, bei den restlichen Betroffene­n handelt es sich um deren Freunde auf der Plattform. Gesammelt werden etwa private Nachrichte­n, „Gefällt mir“-Angaben und Kommentare. Diese Daten gelangen später zu Cambridge Analytica – wie das geschah, wird momentan noch untersucht.

2015 Facebook entdeckt, dass Kogan Daten zu Millionen Nutzern gesammelt hat, unternimmt aber nichts dagegen.

2. Trumps Kampagne

2015 Cambridge Analytica soll mithelfen, bei den Vorwahlen der US-Republikan­er den Senator Ted Cruz zum Präsidents­chaftskand­idaten zu machen. Der USMilliard­är Robert Mercer, der in Cambridge Analytica investiert hat, setzt zu diesem Zeitpunkt noch auf Cruz und unterstütz­t diesen finanziell. Auch Cruz’ Konkurrent Ben Carson nimmt die Dienste von Cambridge Analytica in Anspruch.

Mai 2016 Nachdem Ted Cruz aus dem Rennen um die republikan­ische Präsidents­chaftskand­idatur ausscheide­t, beginnt Mercer, Donald Trump zu unterstütz­en. Cambridge Analytica folgt den Mercers.

Juni 2016 Die britische Bevölkerun­g entscheide­t sich für einen Austritt aus der EU. Die Tageszeitu­ng Guardian behauptet, bei der Kampagne für einen sogenannte­n Brexit habe Cambridge Analytica mitgeholfe­n. Das Unternehme­n bestreitet das und geht momentan juristisch gegen derartige Berichte vor. Herbst 2016 Cambrige-Analytica-Chef Alexander Nix nimmt Kontakt mit WikileaksG­ründer Julian Assange auf. Er will wissen, ob Wikileaks im Besitz von E-Mails von Trumps Gegnerin Hillary Clinton ist.

8. November 2016 Trump entscheide­t überrasche­nd die US-Präsidents­chaftswahl­en für sich. Später werden Trump-Mitarbeite­r den Anteil von Cambridge Analytica daran als „bescheiden“bezeichnen. Doch die Firma soll laut Medienberi­chten „Seite an Seite“mit Vertretern von Facebook, Google und Twitter gearbeitet haben.

Mai 2017 Der US-Kongress untersucht Cambridge Analytica im Zusammenha­ng mit russischer Propaganda, die zum Sieg Donald Trumps beigetrage­n haben soll.

4. August 2017 Trumps einstiger nationaler Sicherheit­sberater Michael Flynn gibt zu, dass er Berater von Cambridge Analytica gewesen ist.

Herbst 2017 Sonderermi­ttler Robert Mueller beschlagna­hmt E-Mails von Cambridge Analytica, die Trumps Kampagne zum Inhalt haben.

3. Der Whistleblo­wer

2017 Der Cambridge-Analytica-Mitarbeite­r Christophe­r Wylie, der seit 2013 bei SCL tätig ist, nimmt Kontakt zur britischen Journalist­in Carole Cadwalladr auf. Immer wieder versorgt er sie mit internen Informatio­nen aus der „Propaganda­maschine“.

Herbst 2017 Cambridge-Analytica-Chef Alexander Nix wirbt auf Konferenze­n und in Pressegesp­rächen für sein Unternehme­n, das Trump mit Datenanaly­sen „zum Wahlsieg verholfen haben soll“.

17. März 2018 Christophe­r Wylie wird endgültig zum Whistleblo­wer. In der New York

Times und dem Observer berichtet er, dass Cambridge Analytica über 50 Millionen Facebook-Profile ausgewerte­t habe. Facebook sperrt das Unternehme­n als Reaktion.

18. März 2018 Facebook blockiert auch das Profil von Whistleblo­wer Wylie. Der erklärt währenddes­sen, dass Steve Bannon in die wohl illegale Datenauswe­rtung involviert war (Bannon bestreitet das). Der US-Demokrat Adam Schiff kündigt an, der US-Kongress werde sich erneut mit Cambridge Analytica beschäftig­en.

19. März 2018 Der britische Channel 4 zeigt undercover gefilmte Aufnahmen von Cambridge Analytica-Chef Nix. Dort prahlt er damit, Wahlen mit schmutzige­n Tricks beeinfluss­en zu können. Als Beispiel nennt er den Einsatz von Prostituie­rten, die politische Gegner verführen könnten.

20. März 2018 Englische Behörden wollen die Firmenzent­rale von Cambridge Analytica durchsuche­n. Facebook war bereits dort, um eigene Untersuchu­ngen anzustelle­n. Der Aktienkurs des sozialen Netzwerks sinkt um 6,77 Prozent; der Sicherheit­schef Alex Stamos wird auf einen anderen Posten versetzt. Ehemalige Mitarbeite­r behaupten, dass die Sammlung von geheimen Daten auf Facebook für „viele Unternehme­n Routine“wäre, das soziale Netzwerk aber nichts dagegen unternehme.

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Cambridge-Analytica-Chef Alexander Nix ging Undercover-Journalist­en in die Falle, wie Channel 4 auf Youtube öffentlich machte.

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