Leben mit Alltagsrassismus
Rassistische Vorfälle haben in den vergangenen Jahren in Österreich zugenommen – im Netz, aber auch auf der Straße und im Klassenzimmer. Betroffene schildern, wie es ist, wenn Beleidigung und Ausgrenzung zum Alltag gehören.
Gesindel“, „Terrorschlampe“oder „IS-Braut“– rassistische Beschimpfungen wie diese gehören für die 25-jährige Brenya zum Alltag. Seit sie sich für das Kopftuch entschieden hat, wurde es aber besonders schlimm. Oft wird sie auch bespuckt oder angerempelt.
Seit 2013 lebt die Tochter einer Deutschen und eines Ghanaers in Wien, aufgewachsen ist sie in einem kleinen Dorf in Deutschland, später hat sie auch in Hamburg gewohnt. Obwohl auch Wien eine Großstadt ist, habe sie sich in der Hansestadt deutlich wohler gefühlt. Die Menschen seien wesentlich toleranter gewesen, das gesellschaftliche Klima ein anderes. Trotz aller Beleidigungen, die sich die Studentin schon anhören musste, habe sie nie überlegt, das Kopftuch abzulegen. „Aber beim Warten auf die U-Bahn stehe ich nicht mehr so nah am Bahngleis, weil ich Angst habe, auf die Gleise geschubst zu werden.“
Rassismus nahm in den vergangenen Jahren zu – vor allem Übergriffe auf Muslime –, das bestätigt auch der aktuelle Zara-Report (sie
he Wissen und Grafik). Genauer gesagt sei es Hass gegen Flüchtlinge, der stark anstieg, aber viele Menschen würden das in einen Topf werfen, sagt Zara-Geschäftsführerin Claudia Schäfer. „Für Menschen, die schon lange hier leben und muslimischen Glauben haben, ist das der absolute Wahnsinn.“Schäfer attestiert Österreich einen „rassistischen Grundkonsens“, andere Diskriminierungen würden nämlich zugleich nicht abnehmen.
Davon kann der in Kinshasa geborene Persy erzählen. „Erst vor wenigen Tagen hat mich jemand auf der Straße angehupt und mir den Hitlergruß gezeigt“, erzählt 28-Jährige, der sein ganzes Leben in Wien verbracht hat. In der U-Bahn zeigte ihm jemand demonstrativ eine Tätowierung mit dem Schriftzug „Arier“. Der Student und Inklusionspädagoge wird auch regelmäßig von der Polizei kontrolliert und in Clubs nicht hineingelassen. „Geschlossene Gesellschaft“heiße es dann, obwohl kurz darauf Menschen weißer Hautfarbe den Club betreten dürfen, ohne aufgehalten zu werden.
Wie Betroffene mit Rassismus umgehen, ist unterschiedlich. Brenya steht weiter weg von den UBahn-Gleisen, Persy unterdrückte seine Emotionen, um nicht der „schwarze aggressive Mann“zu sein, den viele in ihm vermuten. Auch äußerliche „Anpassungen“sind verbreitet: Persy entschied sich nach vier Jahren gegen Dreadlocks, „um meine Ziele besser zu erreichen“. Brenya legte hingegen traditionelle muslimische Gewänder ab und trug stattdessen buntere Kleidung.
Austausch auf Twitter
Manchen hilft es auch, ihrem Ärger Luft zu machen. Als Bundeskanzler Sebastian Kurz Ende Jänner sagte, „dass gegen Menschen, die reich sind, die viel verdienen, gehetzt wird“, wurde die 26-jährige Vanny, die als Baby aus Serbien nach Österreich kam, wütend. So wütend, dass sie auf Twitter unter #Reichenhetze begann, ihre Erfahrungen mit Rassismus zu schildern. Zahlreiche Menschen schlossen sich an, viele berichteten über schlechtere Noten oder abfällige Bemerkungen.
Vanny beschrieb etwa eine Autofahrt mit einer Schulfreundin und deren Vater durch den 16. Bezirk. Da habe Letzterer gesagt: „Schau mal, Schatz, das ist der 16. Da wohnt das ganze Ungeziefer – die ganzen Jugos und Albaner.“Von ihrem serbischen Migrationshintergrund habe der Mann gewusst.
Oft fangen Beschimpfungen noch vor der Schule an – bereits im Kindergarten wurde Persy „Persil Negerpearls“genannt, in der Schule gehörten Beschimpfungen wie „Neger“oder „Sklave“für ihn zum Alltag, fast immer war er das einzige schwarze Kind in der Klasse. Zu Beginn habe er noch Hilfe bei Lehrern gesucht, sei aber auf Unverständnis gestoßen. „Es ist ja nur ein Wort“, hörte er oft.
Besonders wenn Lehrpersonen involviert sind, sei die Aufarbeitung zentral, sagt Sonia Zaafrani von der Initiative für ein diskriminierungsfreies Bildungswesen (IDB). Bei dem gemeinnützigen Verein kann man Fälle von – nicht nur rassistischer – Diskriminierung im Bildungsbereich melden.
Zaafrani erzählt von einem Geschichtelehrer, der in die Klasse fragte, was der Unterschied zwischen Juden und der Türkei sei. „Die Juden haben es schon hinter sich“, teilte er seinen Schülern mit. Die Reaktion: Die Direktion drückte ihre Bestürzung aus.
Wenn Aussagen wie diese aber so stehenbleiben würden, habe das „nicht nur einen Schaden für die direkt Betroffenen, sondern auch für alle anderen Zeugen, die lernen, dass das in Ordnung ist“, sagt Zaafrani. Viele Betroffene vertrauen sich aus Angst vor negativen Auswirkungen für sie selbst gar niemandem an. Zudem würden die Erfahrungen oft relativiert, oder es gibt für die Lehrkräfte keine Konsequenzen – wie im Fall des Geschichtelehrers: „Am Ende des Tages sitzen dieselben Schüler mit denselben Lehrern in der Klasse, aber die Lehrer wissen meistens, wer sie gemeldet hat.“
Rassistische Erfahrungen können sich außerdem negativ auf den Bildungserfolg auswirken, sagt Zaafrani, die hauptberuflich als Ärztin tätig ist. Durch Stresssituationen wie diese sei es schwie- riger, zu lernen, neues Wissen aufzunehmen und zu verarbeiten. Betroffene könnten zudem eine Abneigung gegen die oder Furcht vor der Schule entwickeln – erst kürzlich bestätigte auch eine OECDStudie, dass Schüler mit Migrationshintergrund öfter Schulängste haben. Die Jugendlichen seien auch zunehmend traurig, isoliert und könnten depressive Zustände entwickeln, sagt Zaafrani.
Verpflichtung zu Kursen
Was die IDB und auch Zara fordern, sind unabhängige Meldestellen und Fortbildungen für Lehrerinnen und Lehrer – die verpflichtend sein sollen. „Sonst melden sich nur Menschen, die sich der Problematik schon bewusst sind, und die, die es am nötigsten hätten, nicht“, sagt Zara-Geschäftsführerin Schäfer.
Zaafrani stimmt zu: Über solche Fortbildungen könnte man einiges erreichen, sie seien aber „nicht mit dem Erfahrungsschatz eines ganzen Lebens vergleichbar“. Die IDB fordert daher auch mehr Diversität beim Lehrpersonal.
Auch Persy sagt, ihm hätte es geholfen, Lehrpersonen mit Migrationshintergrund um sich zu haben – als Vorbilder. „Sobald ich es sehe, kann ich es mir vorstellen und kann über die mir zugesprochene Rolle, die limitiert ist, hinauswachsen.“Der Rückhalt von seinen Eltern habe ihm sehr geholfen. Von seinen Erfahrungen erzählte er ihnen zwar nur selten, aber zu Hause verurteilten sie Rassismus, den sie selbst erlebten.
Wichtig für Persy sei aber auch die Unterstützung durch kompetente Lehrpersonen ohne Migrationshintergrund gewesen, etwa seiner Volksschullehrerin. Sie spielte mit den Kindern statt „Wer hat Angst vorm schwarzen Mann“„Wer hat Angst vorm Oktopus“. pFeature auf dSt.at/Gesellschaft