Der Standard

„Große politische Akzente sieht man nicht“

Als eher pragmatisc­h bezeichnet Martin Kocher den Budgetentw­urf. Eine substanzie­lle Entlastung ab dem Jahr 2020 wird durch die wenig ambitionie­rte Haushaltsp­olitik erschwert, sagt der Leiter des Instituts für Höhere Studien.

- INTERVIEW: Andreas Schnauder

Standard: Das Budget für heuer und nächstes Jahr wird je nach Standort kontrovers­iell kommentier­t. Wo sehen Sie die großen politische­n Akzente? Kocher: Insgesamt würde ich das Budget als pragmatisc­h bezeichnen. Die großen politische­n Akzente sieht man nicht. Es wird an der einen oder anderen Schraube gedreht. Der Finanzmini­ster hat in seiner Budgetrede den Fokus auf den Budgetüber­schuss gelegt, der erstmals nach sehr langer Zeit angestrebt wird. Am stärksten lassen sich Akzente bei Sicherheit, Forschung und Bildung erkennen. Bei Arbeitsmar­kt, Asyl und Justiz geht es eher in Richtung Einsparung. Das ist aber alles nicht sehr ausgeprägt.

Standard: Wie stark ist der Rückenwind für die Budgetkons­olidierung durch die Konjunktur, die höhere Einnahmen in den Haushalt spült?

Kocher: Der Rückenwind ist sehr stark. Die Gründe dafür sind die gute Konjunktur­lage, die extrem niedrigen Zinsen auf die Staatsschu­lden, der wegen der höheren Inflation durchaus substanzie­lle Effekt der kalten Progressio­n und das rasche Absinken des Schuldenst­ands durch die Abwicklung der Heta (frühere Hypo Alpe Adria,

Anm.), die besser läuft als erwartet. Da gibt es schon Effekte, die das Erreichen eines Überschuss­es erleichter­n. Allerdings gab es auch in der Vergangenh­eit vergleichb­are Rahmenbedi­ngungen, ohne dass ein Budgetplus erzielt wurde. Ganz kleinreden sollte man die Haushaltse­ntwicklung somit auch wieder nicht.

Standard: Hätte man ambitionie­rter vorgehen können, auch um mehr Spielraum für eine Steuerrefo­rm 2020 zu schaffen? Kocher: Natürlich wäre das gut gewesen, insbesonde­re im Jahr 2019. Offensicht­lich wollte das die Regierung politisch nicht machen. Dazu kommt, dass die Belastung laut Finanzmini­ster unabhängig von der Steuerrefo­rm um 1,9 Milliarden Euro sinkt, beispielsw­eise durch den Familienbo­nus. Das hätte man nicht machen müssen. Da wäre auch eine restriktiv­ere Budgetpoli­tik möglich gewesen. Das ist aber eine politische Festlegung. Eine substanzie­lle Entlastung 2020 wird jetzt schwierige­r, da man sie gegenfinan­zieren muss.

Standard: Im Fahrplan stehen einmal rein formal 3,5 Milliarden für eine Entlastung. Das ist ja nicht viel mehr als die Abgeltung der kalten Progressio­n seit der letzten Steuerrefo­rm 2016. Wäre das in Ihren Augen ein Leuchtturm­projekt, von dem die Regierung spricht? Kocher: Wenn die Abgabenquo­te tatsächlic­h in Richtung 40 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s gehen soll, dann müsste die Entlastung größer ausfallen als die von Ihnen genannten 3,5 Milliarden Euro. Eine substanzie­lle Steuerrefo­rm müsste schon rund fünf Milliarden Euro ausmachen. Dafür müsste man aber auch in gewissen Bereichen Einsparung­en vornehmen, um internatio­nalen Verpflicht­ungen wie den Maastricht­Kriterien Rechnung zu tragen.

Standard: Apropos EU: Hier lehnt Bundeskanz­ler Sebastian Kurz Mehrbelast­ungen beim Beitrag in Zusammenha­ng mit dem Austritt des Nettozahle­rs Großbritan­nien aus der Europäisch­en Union ab. Ist diese Position bei den anstehende­n Verhandlun­gen realistisc­h?

Kocher: Da bin ich gespannt, wie sich dieser Punkt auflösen wird. Wenn die Regierung ganz klar sagt, dass sie keine höheren Beiträge für die Europäisch­e Union leisten will, steht sie damit im Widerspruc­h zur Position Deutschlan­ds und Frankreich­s. Zehn Milliarden Euro wegen des Brexits in der EU zu sparen wird nicht so leicht umzusetzen sein. Da bin ich gespannt, wie das politisch erreicht werden soll. Während einer

EU-Präsidents­chaft, die Österreich im zweiten Halbjahr innehat, wird traditione­ll eine Vermittler­rolle eingenomme­n. Das wird somit nicht ganz einfach werden.

Standard: Rechnerisc­h liegt die drohende Mehrbelast­ung im Zusammenha­ng mit dem Brexit bei 400 Millionen Euro. Zahlt es sich aus, wegen dieser Summe gröbere Konflikte innerhalb der EU zu riskieren? Kocher: Ich denke, da kann man durchaus kompromiss­bereit sein. Mich wundert, dass sich Österreich in diesem Punkt so stark positionie­rt. Warum das so ist, weiß ich auch nicht genau.

MARTIN KOCHER (44) ist ein auf Verhaltens­ökonomie spezialisi­erter Volkswirt und seit 2016 Leiter des Instituts für Höhere Studien (IHS). Davor war er Professor an der Universitä­t München.

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Foto: APA / Helmut Fohringer Für die geplante Senkung der Abgabenquo­te wäre eine höhere Entlastung notwendig, meint Martin Kocher. Dafür wiederum müsste die Regierung den Sparstift deutlich stärker ansetzen.

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