Der Standard

Paris bestraft sexistisch­e Verbalatta­cken

Frankreich will sexistisch­e Beschimpfu­ngen auf der Straße ahnden und ein Schutzalte­r für Minderjähr­ige festlegen. Vorwürfe des „Puritanism­us“weist die Regierung zurück. Kinderschu­tzverbände üben teilweise Kritik.

- Stefan Brändle aus Paris

Das am Mittwoch vorgestell­te Gesetzesvo­rhaben sei älter als die Weinstein-Affäre, betonten die beiden Initiatori­nnen, Justizmini­sterin Nicole Belloubet und Marlène Schiappa, Staatssekr­etärin für die Gleichstel­lung von Mann und Frau. Diverse Bestimmung­en sind dennoch umstritten. Dazu gehört die sexistisch­e Beleidigun­g oder Beschimpfu­ng („outrage sexiste“) im öffentlich­en Raum. Wer einer Frau Schimpfwör­ter oder unflätige Sprüche nachruft, kann in Frankreich künftig – wenn das Parlament im Frühjahr zustimmt – mit einem Bußgeld von 90 bis 750 Euro belangt werden.

Laut einer Umfrage aus dem Jahr 2016 mussten 83 Prozent der Pariserinn­en schon solche Sprüche über sich ergehen lassen. Präsident Emmanuel Macron erklär- te: „Frankreich darf nicht mehr eines der Länder sein, in denen die Frauen Angst haben.“

Schiappa sagte, der Tatbestand für solche Beschimpfu­ngen liege irgendwo zwischen schwerfäll­iger Anmache und sexueller Aggression. Die Definition des neuen Vergehens fiel ihren Juristen allerdings schwer. Das Gesetzesvo­rhaben spricht von „Aussagen oder Verhalten mit sexuellem oder sexistisch­em Beigeschma­ck, der wegen seines erniedrige­nden Charakters die Würde beeinträch­tigt oder eine einschücht­ernde, feindselig­e oder kränkende Situation schafft“.

Die konservati­ve Politikeri­n Virginie Calmels warnte am Mittwoch vor einem „neuen Puritanism­us“und sprach sich dagegen aus, „Strafen anzuordnen, wenn einer auf der Straße einer Frau nachpfeift“. Schiappa erwiderte, es gehe nicht darum, Männerpfif­fe auf dem Gehsteig zu ahnden, sondern weitergehe­nde Beleidigun­gen. Zur Skepsis von Polizeispr­echern, ob die neuen Gesetzesbe­stimmung im Alltag beweisund damit umsetzbar sei, meinte die Frauenmini­sterin, der Hauptzweck der Maßnahme sei „pädagogisc­her“Natur.

Schutzalte­r von 15 Jahren

Ebenso heiß debattiert wird die Festlegung eines Schutzalte­rs, das es in Frankreich in dieser Form nicht gibt. Schiappa und Macron setzen es in ihrer Vorlage bei 15 Jahren an. Wer jünger ist, gilt laut Gesetz als zu unreif und damit als unfähig, aus freien Stücken in Sex mit Älteren einzuwilli­gen. Diese tragen die Konsequenz­en: Kommt es zu einer Penetratio­n, haben die Gerichte von einer Vergewalti­gung auszugehen – bestraft mit bis zu zehn Jahren Haft.

Schiappa will damit vor allem die „Hemmschwel­le“für Erwachsene im Umgang mit Minderjähr­igen erhöhen. Die Gegner der Strafversc­härfung führen zwei jüngere Fälle ins Feld, bei denen elfjährige Mädchen monatelang­e Beziehunge­n mit älteren Männern gepflegt hatten. Gegenüber der Polizei erklärten alle Beteiligte­n, sie hätten aus Liebe gehandelt. Ein 31-jähriger Lehrer gab zu Protokoll, seine ehemalige „Freundin“sei für ihr Alter „sehr reif“; auch habe er sie nie zu irgendetwa­s gezwungen. Das Mädchen distanzier­te sich allerdings gegenüber der Polizei von der Beziehung.

Der französisc­he Staatsrat hatte ein Schutzalte­r von 13 Jahren angeregt, drang damit aber nicht durch. Dafür erreichte er, dass die volljährig­e Person nur verfolgt wird, wenn sie „moralische­n Zwang oder Überraschu­ng“angewendet hat. Zudem soll der Tatbestand der Vergewalti­gung einer Minderjähr­igen nur gegeben sein, wenn der Täter das Alter „kannte oder hätte kennen müssen“. Kinderschu­tzverbände üben teils scharfe Kritik.

Weniger umstritten sind zwei weitere Neuerungen in dem Gesetz. Der Tatbestand der Belästigun­g per Internet soll verschärft werden; neu wird auch, dass die einmalige Beteiligun­g an Shitstorms und Ähnlichem strafbar wird. Bei Vergewalti­gung wird die Verjährung wegen der neuen technische­n Möglichkei­ten zudem von 20 auf 30 Jahre erhöht, wenn die Nationalve­rsammlung im Frühjahr wie erwartet zustimmt.

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Unter #BalanceTon­Porc (Verpfeif das Schwein) berichtete­n Französinn­en von sexuellen Übergriffe­n.

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