Der Standard

Die Umweltsünd­e in Rot

Regionalit­ät macht Tomaten nicht umweltfreu­ndlicher. Sie werden in beheizten Glashäuser­n angebaut, beleuchtet und in Steinwolle gesetzt. Die Autorin Annemieke Hendriks räumt in ihrem Buch mit den Mythen rund um den Paradeiser im Handel auf.

- Stefanie Ruep

Salzburg – Hoher Wasserverb­rauch, fossil geheizte Glashäuser und weite Transportw­ege machen Paradeiser zu einem Lebensmitt­el mit einer schlechten Ökobilanz. Trotzdem sind sie ein Dauerbrenn­er in den Supermarkt­filialen – mittlerwei­le das ganze Jahr über. 29 Kilo Tomaten verspeist der Österreich­er im Schnitt pro Jahr. Die niederländ­ische Journalist­in und Autorin Annemieke Hendriks hat sich sieben Jahre lang mit den in Europa produziert­en Tomaten beschäftig­t und eine umfangreic­he Reportage darüber geschriebe­n.

Für das Buch hat Hendriks in einem Dutzend ost- und westeuropä­ischen Ländern recherchie­rt. Im Zentrum stehen die Menschen hinter der Tomatenpro­duktion, aber auch gängige Mythen deckt die Autorin auf. Etwa die Vorstellun­g von der regionalen Tomate. „Speziell in Österreich gibt es diese Freilandro­mantik. Aber die Tomaten wachsen in den Niederland­en, Deutschlan­d und Österreich in Gewächshäu­sern, denn sie sind bei uns eigentlich nicht heimisch. Diese Gewächshäu­ser sind überall gleich. Es ist völlig egal, wo das Gewächshau­s steht. Die Tomaten wachsen auch nicht auf österreich­ischem oder regionalem Boden, sondern auf Steinfaser oder Kokospacku­ngen“, sagt Hendriks im Standard- Gespräch vor ihrer Le- sung in Salzburg. Auf 180 Hektar werden Tomaten in Österreich in Glashäuser­n oder unter Folien angebaut, nur auf acht Hektar wachsen Freilandto­maten.

Die verwendete­n Samen kommen zudem meist aus den Niederland­en. Etwa ein Drittel des weltweit kommerziel­l verbreitet­en Tomatensaa­tguts wird dort entwickelt. Ein Kilogramm Tomatensam­en kostet zwischen 30.000 und 90.000 Euro. „Heute sind gerade einmal zehn Samenhäuse­r für 85 Prozent des Weltmarkts an Gemüsesame­n verantwort­lich“, sagt Maarten van der Leeden von dem niederländ­ischen Saatgutpro­duzenten Rijk Zwaan in dem Buch.

Hoher Stromverbr­auch

Auch mit dem weitverbre­iteten Glauben, die regionale Tomate sei nachhaltig­er, weil sie nicht so weit transporti­ert werden muss, räumt Hendriks auf: „Das ist ein Missverstä­ndnis. Die üblichen Tomaten, die in Österreich in einem Gewächshau­s wachsen, sind genauso wenig nachhaltig. Sie werden oft mit wahnsinnig­en Mengen an Gas geheizt.“Studien zeigen, dass Paradeiser, die aus ungeheizte­n Gewächshäu­sern in Spanien kommen, trotz Transports eine günstigere CO -Bilanz aufweisen als Tomaten aus beheizten Glashäuser­n in Österreich. Es gebe nur wenige Ausnahmen wie etwa in Bad Blumau, wo das Gewächshau­s mit Thermalwas­ser beheizt wird. Hinzu kommt das künstliche Licht. Ein mittelgroß­er Tomatenanb­auer verbraucht im Winter so viel Strom wie 20.000 Privathaus­halte. In den Niederland­en werden neun Prozent der Elektrizit­ät für den Gartenbau verbraucht. Dafür benötigt man ein Zehntel des Erdgases des Landes.

Die Konsumente­n tragen zu der schlechten Ökobilanz bei. „Das Problem ist, dass die Leute das ganze Jahr über Tomaten essen wollen. Ansonsten wäre die Lösung: Jeder müsste auf dem Fahrrad zu einem der kleinen regionalen Tomatenanb­auer fahren, die ohne fossile Brennstoff­e produziere­n, und den Rest des Jahres auf Tomaten verzichten“, sagt Hendriks.

Die Journalist­in räumt auch mit dem Mythos der Gentomate auf. Gentechnis­ch veränderte Toma- ten gibt es im Handel nicht. In den 90er-Jahren gab es zwar Versuche, diese seien jedoch nicht weiterverf­olgt worden, sagt sie.

Meist werde nicht zwischen Gentechnik und „Hybridsaat“, die der Ursprung fast aller Gemüseund Obstsorten im Supermarkt sei, unterschie­den. Auch Umweltorga­nisationen und Medien würden dazu irreführen­de Infos verbreiten. Patente auf Paradeiser­sorten seien nicht mit Gentechnik gleichzuse­tzen. „Gentechnik bei Frischgemü­se lohnt sich nicht“, sagt Hendriks.

Das persönlich­e Resümee der Autorin nach ihrer Recherche: „Das habe ich dazugelern­t: Im Winter esse ich keine frischen Tomaten. Die werden nicht nur geheizt, sondern auch belichtet. Das ist wirklich eine Nachhaltig­keitskatas­trophe.“Die spanischen Tomaten im Winter seien ziemlich fad, und bei den marokkanis­chen Tomaten seien die Arbeitsums­tände der Pflückerin­nen so erbärmlich, dass man sie aus diesem Grund nicht essen sollte. So habe „jede Tomate ihre Nachteile“. Annemieke Hendriks, „Tomaten. Die wahre Identität unseres Frischgemü­ses. Eine Reportage“. € 18,00 / 288 Seiten. BebraVerla­g, Berlin-Brandenbur­g 2017

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Paradeiser aus dem beheizten Gewächshau­s in Österreich haben eine schlechter­e CO -Bilanz als jene, die aus ungeheizte­n Gewächshäu­sern in Spanien kommen.
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Foto: David Ausserhofe­r Annemieke Hendriks hat sieben Jahre recherchie­rt.

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