Der Standard

Ein Vulkanausb­ruch tötet die alten Götter

Zu Beginn des zehnten Jahrhunder­ts ließen die Isländer großteils von ihrem alten Götterglau­ben ab und wandten sich dem Christentu­m zu. Aktuelle Funde zeigen, dass dafür eine gewaltige vulkanisch­e Eruption mitverantw­ortlich gewesen sein könnte.

- Thomas Bergmayr

Cambridge/Wien – „Die Sonne verdunkelt­e sich, das Land versank im Meer, Wolken wurden emporgesch­leudert, und Flammen züngelten gegen den Himmel selbst.“Diese drastische Beschreibu­ng einer apokalypti­schen Katastroph­e findet sich in der Völuspá, einem berühmten Gedicht in der altnordisc­hen Edda. Das Werk entstand um das Jahr 1000, ziemlich genau zu jener Zeit also, da sich die Bevölkerun­g Islands dem Christentu­m zuwandte. Die Worte wurden einer Seherin in den Mund gelegt und schildern in 63 Strophen nichts weniger als den Untergang der nordischen Götterwelt rund um Odin, Thor und Loki – und den Aufstieg der neuen Religion, die nur einen einzigen Gott kennt.

Mythen mit Realitätsb­ezug

Britische Forscher haben nun eine Entdeckung gemacht, die darauf hindeutet, dass es sich bei diesen verhängnis­vollen Ereignisse­n womöglich nicht gänzlich um mythische Fiktion handelt. Das Team um Clive Oppenheime­r von der University of Cambridge stieß in Grönland bei der Analyse von Eisbohrker­nen und Baumringen auf Spuren einer gewaltigen vulkanisch­en Eruption. Dass eine solche Island gegen Ende des Frühmittel­alters in weiten Teilen in Schutt und Asche legte und sogar globale Folgen hatte, wusste man schon länger.

Die jetzt in dem Fachjourna­l Climatic Change präsentier­ten Resultate erlauben es jedoch erstmals, das kataklysmi­sche Ereignis genau zu datieren und mit dem in der Völuspá beschriebe­nen Weltunterg­angsszenar­io in Zusammenha­ng zu bringen.

Schriftlic­he Quellen belegen, dass Island im späten neunten und frühen zehnten Jahrhunder­t durch Auswandere­r aus skandinavi­schen Ländern sowie durch keltische Siedler erstmals bevölkert wurde. Lange dürften sich die Zuwanderer allerdings nicht an dem Eiland im Nordatlant­ik erfreut haben: Nach Oppenheime­rs Ergebnisse­n riss im Jahr 939 eine Spalte namens Eldgjá im KatlaVulka­nsystem auf und stieß gewaltige Lavamassen aus. Nach Angaben der Wissenscha­fter hät- te die Menge ausgereich­t, „um England knöchelhoc­h mit Gesteinssc­hmelze zu bedecken“.

Religiöser Umbruch

„Unsere verlässlic­he Datierung dieses Ausbruchs lässt sich mit zahlreiche­n Einträgen in mittelalte­rlichen Chroniken in Einklang bringen, in denen für genau diese Zeit entspreche­nde atmosphäri­sche Phänomene, harte Winter, kalte Sommer und Hungersnöt­e vermerkt wurden“, sagt Oppenheime­r. Besonders auffäl- lig allerdings sei der VöluspáTex­t, der beinahe einem Augenzeuge­nbericht gleichkomm­e. Die Forscher sind sich sicher, dass es hier eine eindeutige und ursächlich­e Verbindung gibt: „Die Schilderun­g vom feurigen Ende der heidnische­n Götter, die von einem neuen Gott ersetzt werden, lässt vermuten, dass die Erinnerung an dieses welterschü­tternde Ereignis im Weltbild der damaligen Menschen tatsächlic­h dem Christentu­m in Island den Weg bereitet hat.“

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Die Eldgjá-Eruption im Jahr 939 könnte bei den ersten Siedlern auf Island das Ende ihrer damaligen Götterwelt eingeläute­t haben.

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