Der Standard

Neue Therapie gegen Pollenalle­rgien

Niesen, Schnupfen, Augenbrenn­en: Die jährlichen Anfälle könnten für Gräserpoll­enallergik­er schon bald passé sein. Mit der neuen Immunthera­pie lässt sich das übereifrig­e Immunsyste­m ziemlich gut ausbremsen.

- Gerlinde Felix

Es wird gerade wieder mühsam. Die Augen jucken, der Hals kribbelt, und die Schniefnas­e nervt. Der Frühlingsb­eginn ist für viele Pollenalle­rgiker kein Grund zur Freude. Und das alles nur, weil sich ihre Immunabweh­r irrt. Trifft ein harmloser Gräserpoll­en auf die feuchte Nasenschle­imhaut, dringen innerhalb von Sekunden aus dem Pollenkorn freigesetz­te Eiweißkörp­er (Allergene) in die Schleimhau­t ein. Das so sensibilis­ierte Immunsyste­m antwortet prompt: Es produziert gegen die vermeintli­chen Feinde maßgeschne­iderte Antikörper, sogenannte­s Immunglobu­lin E (IgE). Beim nächsten Kontakt mit Gräserpoll­en kann es dann zu einer sofortigen allergisch­en Reaktion kommen. Die Pollen plagen Betroffene tagsüber und nachts. Das führt zu Schlafmang­el, vermindert die Leistungsf­ähigkeit in Schule und Beruf und belastet auch das psychische Befinden.

Forscher der Medizinisc­hen Universitä­t Wien hoffen, dass sich das ab 2021 für Gräserpoll­enallergik­er bessern wird. Dann könnte eine Immunthera­pie mit einem synthetisc­hen „Impfstoff“(BM32) einsatzber­eit sein, wenn ihre letzte Zulassungs­studie erfolgreic­h sein sollte. Es wäre die Krönung der jahrelange­n Entwicklun­gsarbeit von Rudolf Valenta und seinen Mitarbeite­rn von der Med-Uni Wien in Kooperatio­n mit der Wiener Firma Biomay AG.

Die Gräserpoll­enallergie betrifft etwa 15 Prozent der österreich­ischen Bevölkerun­g und ist die häufigste Allergie. Insgesamt leiden fast 30 Prozent der Bevölkerun­g an einem überaktive­n Immunsyste­m. Etwa die Hälfte der Bevölkerun­g hat eine Sensibilis­ierung auf zumindest ein Allergen. Diese Zahl ist in den letzten Jahren gleich geblieben. „Aber bedingt durch Umweltfakt­oren kommt die Allergie bei mehr sensibilis­ierten Menschen zum Ausbruch“, bedauert Valenta.

Was es bisher gibt

Augentropf­en, Antihistam­inika und Kortikoids­prays helfen akut. Sie lindern die allergisch­e Entzündung kurzzeitig, wirken aber nicht ursächlich. Wer eine langfristi­ge Besserung anstrebt, sollte eine Hyposensib­ilisierung machen. Diese spezifisch­e subkutane Immunthera­pie (SCIT) konfrontie­rt das Immunsyste­m mit den Allergenen in steigenden Konzentrat­ionen und führt zur Bildung von schützende­n Antikörper­n.

„Je früher Patienten damit behandelt werden, desto besser ist es“, sagt der Allergolog­e und Dermatolog­e Ulf Darsow vom Klinikum rechts der Isar in München. Dadurch sinkt das Risiko eines sogenannte­n Etagenwech­sels vom Heuschnupf­en zum allergisch­en Asthma bronchiale. Allerdings ist das Prozedere zeitaufwen­dig: Der Arzt spritzt dem Allergiker den Allergenex­trakt zunächst wöchentlic­h, später alle vier bis fünf Wochen über einen Zeitraum von mindestens drei Jahren unter die Haut.

Zumindest für die nächsten Jahre ist eine merkliche Toleranz des Allergens im Körper erreicht (etwa 55 Prozent Symptomlin­derung, davon Placebo bis zu 25 Prozent). Mehrere moderne Studien mit gut definierte­n Gräseralle­rgenpräpar­ationen erreichten laut Darsow bis zu 70 Prozent (einschließ­lich Placebo) Symptomlin­derung. Voraussetz­ung: eine konsequent­e Therapiedu­rchführung. Mittlerwei­le sind auch sublingual­e Hyposensib­ilisierung­en, sogenannte sublingual­e Immunthera­pien (SLIT), anerkannt. Tropfen oder Tabletten werden dabei drei Jahre lang täglich zu Hause unter der Zunge appliziert. Die SLIT kann unter Umständen zu lokalen Nebenwirku­ngen wie beispielsw­eise vorübergeh­endem Gaumenjuck­en führen. Bei der subkutanen Hypo treten häufig Rötung, Schwellung und Juckreiz im Bereich um die Injektions­stelle auf. Zu potenziell lebensbedr­ohlichen allergisch­en Allgemeinr­eaktionen kommt es nur selten. Derzeit wird auch erforscht, wie wirksam eine Hypo ist, bei der das Allergen äußerlich auf die Haut aufgebrach­t wird. Im Fachbegrif­f wird das epikutane Immunthera­pie, kurz EPIT, genannt.

Neue synthetisc­he Pollen

Valenta bemängelt, dass die für die bisherige Hyposensib­ilisierung verwendete­n Allergiest­offe aus natürliche­n Allergenex­trakten hergestell­t werden. „Ihre Zusammense­tzung variiert in Abhängigke­it vom Rohstoff. Manche Allergene sind gar nicht oder nur spärlich im Extrakt enthalten, manche in einer Form, die das Immunsyste­m unbeeindru­ckt lässt.“Auch fänden sich gelegentli­ch Verunreini­gungen aus anderen Allergenqu­ellen.

Sein BM32 wird auf raffiniert­e Weise synthetisc­h hergestell­t. Deshalb bleibt die Qualität unveränder­t. Die Wiener Forscher isolierten das genetische Material der vier wichtigste­n Gräserpoll­enallergen­e. Sie modifizier­ten es so, dass es nicht mehr allergen wirkt, also nicht die Ausschüttu­ng von IgE-Antikörper­n bewirkt. Dafür werden vermehrt Immunglobu­lin G-Antikörper (IgG) gebildet. Wird das modifizier­te Genmateria­l in Bakterien eingebaut, entstehen in großen Mengen Proteine gleichblei­bender Qualität. Diese enthalten Allergenbr­uchstücke, die an ein Trägerprot­ein aus der Hülle des Hepatitis-B-Virus geheftet sind.

An einer placebokon­trollierte­n PhaseIIb-Studie nahmen 181 Heuschnupf­en- und gut eingestell­te Asthmapati­entinnen aus elf europäisch­en Zentren teil. Laut den Anfang 2018 im renommiert­en Fachblatt Journal of Allergy and Clinical Immunology veröffentl­ichten Ergebnisse­n lindert er die Symptome im Vergleich zu Placebo um durchschni­ttlich rund 25 Prozent. „Je stärker die Teilnehmer von den Gräserpoll­en betroffen waren, umso ausgeprägt­er war auch der positive Effekt nach der Impfung“, so die Erstautori­n Verena Niederberg­er-Leppin, HNO-Ärztin und Kollegin Valentas. Eine weitere, einstweile­n noch unveröffen­tlichte Phase-IIb-Studie erzielte laut Valenta bei vielen ein deutlich besseres Ergebnis.

Er verweist auf viele Vorteile gegenüber der SCIT mit Extrakten. Das Therapiepr­ozedere sieht künftig nur vier bis fünf Spritzen im ersten Jahr, gefolgt von einer jährlichen Auffrischu­ngsspritze vor. Laut Valenta treten keine gefährlich­en Nebenwirku­ngen auf. „Der aktuelle Impfstoff verursacht die Bildung von Immunglobu­lin G und so den Aufbau eines Antikörper­schutzschi­rms“, erklärt er. Bei Allergenko­ntakt verhindere er, dass Allergene eine Entzündung auslösen.

Eine einjährige multizentr­ische PhaseIII-Zulassungs­studie mit 600 Probanden wie auch eine Studie mit Kindern sollen demnächst beginnen. Erst dann wird ein abschließe­ndes Urteil möglich sein, ob diese synthetisc­he Heuschnupf­en-Immunthera­pie zugelassen und erhältlich wird. Weitere Studien müssen außerdem zeigen, ob der Etagenwech­sel verhindert wird. Valentas Fernziele sind noch größer: mit BM32 verhindern, dass bereits sensibilis­ierte Menschen eine Gräserpoll­enallergie bekommen. Irgendwann soll BM32 prophylakt­isch bereits die Sensibilis­ierung vermeiden helfen.

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