Schlechte Noten für SP-Chef Kern als Oppositionsführer
Nur acht Prozent halten ihn für „sehr gut“Auch Sozialdemokraten sehen Schwächen
– Die SPÖ hat sich 100 Tage nach Bildung der türkis-blauen Regierung noch nicht recht in ihre Oppositionsrolle eingefunden: Diese Sichtweise wird in einer Standard- Umfrage des Market-Instituts von 69 Prozent der Befragten geteilt – auch unter den erklärten SPÖ-Wählern überwiegt die negative Einschätzung mit 61 Prozent die positive, die 33 Prozent der Sozialdemokraten teilen.
Ähnlich schlecht sind die Noten für Parteichef Christian Kern. Die mehr als 800 repräsentativ ausgewählten Wahlberechtigten sollten auf einer fünfstufigen Notenskala bewerten, wie zufrieden sie mit Kern in seiner derzeitigen Rolle sind. Einen Einser für „sehr gut“vergaben nur acht Prozent der Befragten, weitere 18 Prozent gaben Kern einen Zweier. Auch hier sind die Beurteilungen durch bekennende Wähler der SPÖ besser – 20 Prozent von ihnen vergeben einen Einser, 28 einen Zweier, doch auch aus dem roten Lager gibt es von zehn Prozent ein „Genügend“oder gar ein „Nicht genügend“. 59 Prozent der Wahlberechtigten – und knapp die Hälfte der SPÖ-Wähler – beobachten, dass Kern seine Rolle als Oppositionschef schwächer anlegt als seinerzeit Heinz-Christian Strache von den Freiheitlichen.
Dieser ist nun Vizekanzler und bekommt in dieser Rolle bessere Noten als Kern in seiner Rolle als Oppositionschef. Allerdings wird er von 31 Prozent total abgelehnt.
Die besten Noten bekommt Bundeskanzler Sebastian Kurz: 26 Prozent der Wahlberechtigten geben ihm ein „Sehr gut“, weitere 25 Prozent ein „Gut“. Ähnlich wie Kern wird Kurz von 19 Prozent abgelehnt. (red)
Sebastian Kurz überstrahlt wieder einmal alles. 100 Tage Regierungschef – und wenn man die österreichischen Wahlberechtigten fragt, welche Schulnote sie ihm in seiner aktuellen Rolle geben würden, bekommt er von 26 Prozent ein „Sehr gut“und von weiteren 25 Prozent ein „Gut“– gar nicht zufrieden sind mit dem ÖVP-Chef im Kanzleramt gerade nur 19 Prozent, die ein „Nicht genügend“vergeben. Durchschnittsnote 2,42. Wobei sich Kurz seine Top-Note vor allem bei erklärten Anhängern seiner Partei und bei Freiheitlichen (jeweils mehr als die Hälfte geben einen Einser) abholt, während vier von zehn Sozialdemokraten einen Fünfer vergeben. Bei den Grün-Wählern ist das Muster ganz ähnlich wie bei den Roten, aber wegen der geringen Zahl verbliebener Grüner nicht wirklich statistisch aussagekräftig.
Anders sieht es bei Christian Kern aus, erläutert David Pfarrhofer vom Linzer Market-Institut, das für den Standard untersucht hat, ob die Parteien und ihr Spitzenpersonal nach 100 Tagen in ihrer neuen Rolle angekommen sind: „Wir haben gebeten, Christian Kern in seiner Rolle als Oppositionsführer zu benoten – und da geben ihm nur acht Prozent einen Einser, auch von seinen eigenen Wählern sind es nur 20 Prozent.“
Gesamtnote für Kern: 3,33.
Zweifel an Kerns Rolle
Das habe auch damit zu tun, dass der Ex-Kanzler in seiner früheren Rolle viel stärker geglänzt hat: In der Bundeskanzler-Direktwahlfrage hatte Kern in seiner besten Zeit vor einem Jahr 39 Prozent – jetzt sind es immer noch 26 Prozent, „da ist der Schluss zulässig, dass Kern viel eher die Kanzlerschaft als die Oppositionsführung zugetraut wird. Kern kann Kanzler, das hat er ja auch schon bewiesen. Die Leute fragen sich aber: Kann er auch Oppositionschef?“, sagt Pfarrhofer.
Dazu ließ der Standard folgende Frage stellen: „Der ehemalige Bundeskanzler Christian Kern will der stärkste Kritiker der Regierung sein, eine Rolle, die früher Heinz-Christian Strache hatte. Was meinen Sie: Wird Kern als Oppositionschef stärker in Erscheinung treten als früher Strache, wird er die Rolle eher schwächer anlegen als Strache, oder wird das etwa gleich stark sein?“
Darauf sagen 15 Prozent, Kern werde stärker auftreten, 59 Prozent aber sagen, er werde schwächer auftreten. Dieselbe Frage wurde auch im Dezember des Vorjahres gestellt, wenige Tage bevor Kern das Kanzleramt aufgeben musste. Damals waren noch 22 Prozent der Meinung, Kern werde als Oppositionschef stärker als Strache sein, nur 40 Prozent erwarteten, er werde schwächer sein. Selbst die eigene Wählerschaft meint überwiegend, Kern sei ein schwächerer Oppositionschef als Strache.
Womit wir beim Vizekanzler wären: Heinz-Christian Strache bekommt für seine neue Rolle von zehn Prozent ein „Sehr gut“und von 22 Prozent ein „Gut“, womit er etwas besser als Kern liegt – die Ablehnung, der Fünfer von 31 Prozent der Befragten, ist bei Strache allerdings auch viel ausgeprägter als die 19 Prozent Fünfer für Kern. Aus der eigenen Partei bekommt Strache 40 Prozent „Sehr gut“und 46 Prozent „Gut“.
Womit die Freiheitlichen halb- wegs in ihrer Rolle als Regierungspartei angekommen sind – und das vor allem auch im Selbstverständnis der eigenen Wählerschaft. Der Standard ließ fragen: „Kommen wir nun zu den Parteien in der Bundespolitik: Welche Partei hat sich, Ihrer Meinung nach, in der neuen Rolle gefunden, welche eher noch nicht?“Das Ergebnis ist in der Grafik dargestellt – und zeigt ebenfalls vor allem für die ÖVP günstige Werte.
Aber auch hier lohnt der Blick ins Detail: Ältere Befragte sind wesentlich stärker der Meinung, dass die ÖVP ihre neue Rolle gefunden hat, als jüngere Befragte. ÖVPWähler sind von der Rolle ihrer Partei als Kanzlerpartei zu fast 100 Prozent überzeugt.
Die FPÖ wird von rund jedem zweiten Wahlberechtigten als noch nicht in ihrer neuen Rolle angekommen erlebt – von der eigenen Wählerschaft wird allerdings mit einer 80-Prozent-Mehrheit die neue Rolle positiv beurteilt.
Noch nicht etabliert
Jeder fünfte Wahlberechtigte und auch nur jeder dritte Sozialdemokrat sieht die SPÖ schon als Oppositionspartei etabliert.
Unter den Oppositionsparteien stechen allein die Neos positiv hervor, ihnen trauen etwa vier von zehn Befragten zu, ihren Platz in der neuen Parteienkonstellation gefunden zu haben, ähnlich viele sagen, das wäre nicht der Fall.
Kern kann Kanzler, das hat er bewiesen. Aber kann er auch Oppositionschef?
Fünf Jahre lang überbrachte Johannes Kopf meist schlechte Nachrichten. Monat für Monat erklärte der Vorstand des Arbeitsmarktservice (AMS) nüchtern den Anstieg der Arbeitslosenzahlen; erst im Vorjahr konnte er von einer Trendwende berichten. Sein pragmatischer, ideologiefreier Ansatz wird über Parteigrenzen hinweg geschätzt, bei der türkisblauen Regierung ist der 44-Jährige allerdings in Ungnade gefallen.
Dabei weist der Jurist stets zurück, politischer Akteur zu sein. Doch spätestens seit der Vorladung durch Kanzler und Vizekanzler ist Kopf im Zentrum der Tagespolitik angekommen. Auslöser ist ein interner Revisionsbericht des AMS über die Probleme bei der Vermittlung von Arbeitskräften mit Migrationshintergrund. Der Regierungsspitze bot das Papier Anlass, den Vorstand öffentlich zu kritisieren.
Seit 2006 führt Kopf gemeinsam mit Herbert Buchinger das AMS, nach außen hin tritt meist er auf. Kopfs Berufung galt seinerzeit als schwarzblauer Postenschacher: Er begann seine Karriere in der Industriellenvereinigung, bevor er ins Kabinett des damaligen Wirtschaftsministers Martin Bartenstein wechselte. Von dort bewarb er sich für den Posten des obersten Jobvermittlers.
Von der Partei emanzipierte sich der passionierte Fotograf schnell. Obwohl sich der verheiratete Familienvater dreier Kinder – einen Sohn brachte seine Frau in die Ehe mit – selbst dem schwarzen Wirtschaftsflügel zuordnet, vertritt er lieber seine eigene Meinung: „Loyalität endet für mich da, wo der Unsinn anfängt.“
Und wenn er etwas für Unsinn hält, macht er nicht vor türkis-blauen Plänen halt: Ausländer, die Arbeitsplätze wegschnappen? „Es sind die Unqualifizierten, die mir mit Abstand mehr Sorgen machen als die Flüchtlinge“, sagt Kopf dann. Am ÖVP-Reizwort Gesamtschule findet er sogar Gefallen. Das AMS sei zur „Reparaturanstalt für das Bildungssystem“geworden, die Zahl der Jugendlichen, die nicht sinnerfassend lesen können, steige. Das zentrale Anliegen von ÖVP und FPÖ, Zuwanderern den Zugang zu Mindestsicherung zu erschweren und die Mittel für Deutschkurse zu kürzen, zerlegt er. Das sei ökonomisch nicht sinnvoll. „Der Großteil der Menschen wird da bleiben, damit ist es billiger, sie zu integrieren, als sie nicht zu integrieren“.
Für die Aussprache mit der Regierungsspitze gibt es noch keinen Termin, Kopfs Vertrag wurde aber erst vor kurzem für weitere sechs Jahre verlängert.