Der Standard

Puigdemont wird zu deutscher Causa

Die Festnahme des katalanisc­hen Ex-Präsidente­n Carles Puigdemont birgt viel Zündstoff. Dass ein EU-Haftbefehl zur Verfolgung politische­r Widersache­r genutzt wird, stößt auf Kritik.

- Christoph Reichmuth aus Berlin, Reiner Wandler aus Madrid

Vor der Justizvoll­zugsanstal­t Neumünster im norddeutsc­hen Schleswig-Holstein, wo sich der frühere katalanisc­he Premier Carles Puigdemont in Polizeigew­ahrsam befindet, wurde am Montag demonstrie­rt. Nach seiner Verhaftung muss die Generalsta­atsanwalts­chaft entscheide­n, ob der Separatist nach Spanien ausgeliefe­rt wird.

Der katalanisc­he Politiker und Ex-Regionalpr­äsident Carles Puigdemont wurde gestern, Montag, im deutschen Neumünster einem Amtsrichte­r vorgeführt. Überprüft wurde dabei die Identität des 55-Jährigen, der am Sonntagvor­mittag in der Nähe der dänischen Grenze in Deutschlan­d in Gewahrsam genommen wurde. Der Ball liegt nun bei der Justiz in SchleswigH­olstein. Diese entscheide­t, ob Puigdemont in Auslieferu­ngshaft zu nehmen ist. In einer nächsten Phase entscheide­n Richter beim Oberlandge­sgericht in Schleswig, ob der Katalane den spanischen Behörden übergeben werden soll.

Der Vorwurf der spanischen Justiz gegen Puigdemont und andere katalanisc­he Politiker lautet auf Rebellion, Veruntreuu­ng öffentlich­er Mittel und Aufwiegelu­ng. Ihm drohen in Spanien viele Jahre Gefängnis.

Vorwurf der Politisier­ung

Die Festsetzun­g Puigdemont­s durch deutsche Behörden sorgte am Montag für unterschie­dliche politische Reaktionen. „Die Strafverfo­lgung ist ganz offensicht­lich politisch motiviert“, wetterte der europapoli­tische Sprecher der Linksfrakt­ion im Bundestag, Andrej Hunko. Der FDP-Außenpolit­iker Alexander Graf Lambsdorff bemerkte: „Rechtlich ist die Verhaftung von Herrn Puigdemont nicht zu beanstande­n, politisch aber schafft sie große Probleme.“

Der Spanien-Experte Günther Maihold von der Stiftung Wissenscha­ft und Politik (SWP) in Berlin zeigte sich im Gespräch mit dem

STANDARD wenig erstaunt, dass Puigdemont ausgerechn­et durch deutsche Behörden in Gewahrsam genommen wurde: „Ich vermute, dass die spanischen Behörden davon ausgegange­n sind, dass sie bei der deutschen Regierung Unterstütz­ung für ihre Interessen finden würden.“Selbstvers­tändlich agiere die deutsche Justiz von der Politik unabhängig. Indes müsse die Berliner Regierung ein Interesse an einer Lösung des Konflikts in der Katalonien-Frage haben.

Die dortigen Abspaltung­sbemühunge­n sind von der Bundesregi­erung mit einiger Sorge beobachtet worden – nicht zuletzt auch aus Furcht vor einem die EU schwächend­en Dominoeffe­kt in anderen Staaten Europas. Möglicherw­eise könne Berlin die heikle Situation nach der Festsetzun­g des „Separatist­enführers“nun für eine diplomatis­che Offensive nutzen, um die Regierung in Madrid dazu zu bringen, eine friedliche politische Lösung in dem Konflikt herbeizufü­hren. Maihold geht davon aus, dass Puigdemont an Spanien ausgeliefe­rt wird. „Die Bundesregi­erung sollte zugleich aber darauf hinarbeite­n, dass sich die Situa- tion in Spanien entschärft. Dazu könnte auch gehören, dass Puigdemont später in Spanien begnadigt wird“, sagt Maihold.

„Demokratis­cher Rechtsstaa­t“

Die Äußerungen von Regierungs­sprecher Steffen Seibert bestätigen die Einschätzu­ngen. Man sei überzeugt, dass der Katalonien-Konflikt innerhalb der spani- schen Rechts- und Verfassung­sordnung gelöst werden müsse. „Spanien ist ein demokratis­cher Rechtsstaa­t“.

Nichtsdest­otrotz gibt es auch Kritik am Instrument des europäisch­en Haftbefehl­s, der nun dazu führt, dass politische Widersache­r der Madrider Regierung in Deutschlan­d verfolgt werden. „Immerhin haben wir es hier ja nicht mit Terroriste­n zu tun, sondern mit Politikern, die durch Wahlen legitimier­t sind“, gibt Strafrecht­sexperte Nikolaos Gazeas zu bedenken. Auch er glaubt, dass Deutschlan­d Puigdemont ausliefern wird – allerdings nicht wegen sämtlicher ihm vorgeworfe­ner Straftatbe­stände, die im europäisch­en Haftbefehl aufgeführt sind. Den Straftatbe­stand der Rebellion gibt es in Deutschlan­d nicht, diesen mit dem in Deutschlan­d existieren­den Paragrafen des Hochverrat­s gleichzuse­tzen, funktionie­re kaum. Puigdemont könne womöglich wegen des Straftatbe­stands der Veruntreuu­ng ausgeliefe­rt werden. Das würde dazu führen, dass Puigdemont in Spanien nicht wegen Rebellion angeklagt werden dürfte.

Proteste in Barcelona

Bereits am Sonntag zogen in Barcelona Zehntausen­de von der EU-Vertretung zum deutschen Konsulat. Sie forderten die Freilassun­g Puigdemont­s und der anderen neun in Spanien in Untersuchu­ngshaft sitzenden Politikern und Aktivisten. Die halbe Nacht über wurden Fernstraße­n und Autobahnma­utstellen blockiert. In Barcelona kam es zu Auseinande­rsetzungen zwischen Polizei und Demonstran­ten. 98 Verletzte zählten die Krankenhäu­ser am Ende. Neun Demonstran­ten wurden verhaftet.

Am Abend hielt der Präsident des katalanisc­hen Parlaments Roger Torrent eine Fernsehans­prache. „Wir sind Leute des Friedens“, beteuerte er und forderte die Befürworte­r der Unabhängig­keit auf, auch weiterhin besonnen zu handeln. Auch Puigdemont schickte aus dem Gefängnis einen Aufruf gegen Gewalt.

Für Spaniens Ministerpr­äsident Mariano Rajoy kann die Verhaftung Puigdemont­s und anderer katalanisc­her Politiker schwere Folgen haben. Zwar stellen sich die Sozialiste­n und die rechtslibe­ralen Ciudadanos hinter die Entscheidu­ng der Justiz und hinter die harte Haltung der spanischen Regierung, doch braucht der Konservati­ve die Stimmen der Baskisch Nationalis­tischen Partei (PNV), um den Haushalt für 2018 doch noch zu verabschie­den. Und das sieht schlecht aus. Der PNVPräside­nt Andoni Ortuzar forderte am Sonntag „die Freilassun­g aller Gefangenen“.

Datenmissb­rauch ist kein Kavaliersd­elikt, wurde bislang aber so behandelt. Das ändert sich langsam, wie das Vorgehen der britischen Datenschut­zbehörde zeigt. Deren Hausdurchs­uchung bei den Datenanaly­sten Cambridge Analytica erinnerte eher an eine Razzia von Korruption­sjägern als an die bei Datenschut­zvergehen übliche Vorgangswe­ise. Man nehme die Situation in Österreich: Hierzuland­e drohte Firmen bei der jahrelange­n illegalen Speicherun­g von Kundendate­n höchstens eine Verwaltung­sstrafe im dreistelli­gen Bereich. Daran ist die Politik schuld. Datenschut­zbehörden würden ja gern aggressive­r auftreten, hätten aber keine Handhabe, hörte man hinter den Kulissen oft. Mit der neuen, EU-weit gültigen Datenschut­zgrundvero­rdnung soll sich das ab Mai ändern. Dann drohen empfindlic­he Geldstrafe­n für Konzerne.

Dass die Politik technologi­schen Entwicklun­gen hinterherh­inkt, ist normal. Dass es für ihr Erwachen jedoch eine Reihe von Katastroph­en braucht, ist mehr als fahrlässig.

Klar: Datenschut­zverstöße sind auf den ersten Blick unspektaku­lär, nicht zu vergleiche­n mit Terroransc­hlägen oder Naturkatas­trophen, auf die oft rasch eine politische Reaktion folgt. Aber wenn Datenschut­zvergehen dazu führen, dass Propagandi­sten Referenden wie die Brexit-Abstimmung oder die US-Präsidents­chaftswahl manipulier­en können, dann ist Feuer am Dach – und der finale Zeitpunkt erreicht, um Datenschut­z ernst zu nehmen.

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In Barcelona demonstrie­rten am Sonntag Zehntausen­de für die Freilassun­g von Carles Puigdemont.
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