Puigdemont wird zu deutscher Causa
Die Festnahme des katalanischen Ex-Präsidenten Carles Puigdemont birgt viel Zündstoff. Dass ein EU-Haftbefehl zur Verfolgung politischer Widersacher genutzt wird, stößt auf Kritik.
Vor der Justizvollzugsanstalt Neumünster im norddeutschen Schleswig-Holstein, wo sich der frühere katalanische Premier Carles Puigdemont in Polizeigewahrsam befindet, wurde am Montag demonstriert. Nach seiner Verhaftung muss die Generalstaatsanwaltschaft entscheiden, ob der Separatist nach Spanien ausgeliefert wird.
Der katalanische Politiker und Ex-Regionalpräsident Carles Puigdemont wurde gestern, Montag, im deutschen Neumünster einem Amtsrichter vorgeführt. Überprüft wurde dabei die Identität des 55-Jährigen, der am Sonntagvormittag in der Nähe der dänischen Grenze in Deutschland in Gewahrsam genommen wurde. Der Ball liegt nun bei der Justiz in SchleswigHolstein. Diese entscheidet, ob Puigdemont in Auslieferungshaft zu nehmen ist. In einer nächsten Phase entscheiden Richter beim Oberlandgesgericht in Schleswig, ob der Katalane den spanischen Behörden übergeben werden soll.
Der Vorwurf der spanischen Justiz gegen Puigdemont und andere katalanische Politiker lautet auf Rebellion, Veruntreuung öffentlicher Mittel und Aufwiegelung. Ihm drohen in Spanien viele Jahre Gefängnis.
Vorwurf der Politisierung
Die Festsetzung Puigdemonts durch deutsche Behörden sorgte am Montag für unterschiedliche politische Reaktionen. „Die Strafverfolgung ist ganz offensichtlich politisch motiviert“, wetterte der europapolitische Sprecher der Linksfraktion im Bundestag, Andrej Hunko. Der FDP-Außenpolitiker Alexander Graf Lambsdorff bemerkte: „Rechtlich ist die Verhaftung von Herrn Puigdemont nicht zu beanstanden, politisch aber schafft sie große Probleme.“
Der Spanien-Experte Günther Maihold von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin zeigte sich im Gespräch mit dem
STANDARD wenig erstaunt, dass Puigdemont ausgerechnet durch deutsche Behörden in Gewahrsam genommen wurde: „Ich vermute, dass die spanischen Behörden davon ausgegangen sind, dass sie bei der deutschen Regierung Unterstützung für ihre Interessen finden würden.“Selbstverständlich agiere die deutsche Justiz von der Politik unabhängig. Indes müsse die Berliner Regierung ein Interesse an einer Lösung des Konflikts in der Katalonien-Frage haben.
Die dortigen Abspaltungsbemühungen sind von der Bundesregierung mit einiger Sorge beobachtet worden – nicht zuletzt auch aus Furcht vor einem die EU schwächenden Dominoeffekt in anderen Staaten Europas. Möglicherweise könne Berlin die heikle Situation nach der Festsetzung des „Separatistenführers“nun für eine diplomatische Offensive nutzen, um die Regierung in Madrid dazu zu bringen, eine friedliche politische Lösung in dem Konflikt herbeizuführen. Maihold geht davon aus, dass Puigdemont an Spanien ausgeliefert wird. „Die Bundesregierung sollte zugleich aber darauf hinarbeiten, dass sich die Situa- tion in Spanien entschärft. Dazu könnte auch gehören, dass Puigdemont später in Spanien begnadigt wird“, sagt Maihold.
„Demokratischer Rechtsstaat“
Die Äußerungen von Regierungssprecher Steffen Seibert bestätigen die Einschätzungen. Man sei überzeugt, dass der Katalonien-Konflikt innerhalb der spani- schen Rechts- und Verfassungsordnung gelöst werden müsse. „Spanien ist ein demokratischer Rechtsstaat“.
Nichtsdestotrotz gibt es auch Kritik am Instrument des europäischen Haftbefehls, der nun dazu führt, dass politische Widersacher der Madrider Regierung in Deutschland verfolgt werden. „Immerhin haben wir es hier ja nicht mit Terroristen zu tun, sondern mit Politikern, die durch Wahlen legitimiert sind“, gibt Strafrechtsexperte Nikolaos Gazeas zu bedenken. Auch er glaubt, dass Deutschland Puigdemont ausliefern wird – allerdings nicht wegen sämtlicher ihm vorgeworfener Straftatbestände, die im europäischen Haftbefehl aufgeführt sind. Den Straftatbestand der Rebellion gibt es in Deutschland nicht, diesen mit dem in Deutschland existierenden Paragrafen des Hochverrats gleichzusetzen, funktioniere kaum. Puigdemont könne womöglich wegen des Straftatbestands der Veruntreuung ausgeliefert werden. Das würde dazu führen, dass Puigdemont in Spanien nicht wegen Rebellion angeklagt werden dürfte.
Proteste in Barcelona
Bereits am Sonntag zogen in Barcelona Zehntausende von der EU-Vertretung zum deutschen Konsulat. Sie forderten die Freilassung Puigdemonts und der anderen neun in Spanien in Untersuchungshaft sitzenden Politikern und Aktivisten. Die halbe Nacht über wurden Fernstraßen und Autobahnmautstellen blockiert. In Barcelona kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten. 98 Verletzte zählten die Krankenhäuser am Ende. Neun Demonstranten wurden verhaftet.
Am Abend hielt der Präsident des katalanischen Parlaments Roger Torrent eine Fernsehansprache. „Wir sind Leute des Friedens“, beteuerte er und forderte die Befürworter der Unabhängigkeit auf, auch weiterhin besonnen zu handeln. Auch Puigdemont schickte aus dem Gefängnis einen Aufruf gegen Gewalt.
Für Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy kann die Verhaftung Puigdemonts und anderer katalanischer Politiker schwere Folgen haben. Zwar stellen sich die Sozialisten und die rechtsliberalen Ciudadanos hinter die Entscheidung der Justiz und hinter die harte Haltung der spanischen Regierung, doch braucht der Konservative die Stimmen der Baskisch Nationalistischen Partei (PNV), um den Haushalt für 2018 doch noch zu verabschieden. Und das sieht schlecht aus. Der PNVPräsident Andoni Ortuzar forderte am Sonntag „die Freilassung aller Gefangenen“.
Datenmissbrauch ist kein Kavaliersdelikt, wurde bislang aber so behandelt. Das ändert sich langsam, wie das Vorgehen der britischen Datenschutzbehörde zeigt. Deren Hausdurchsuchung bei den Datenanalysten Cambridge Analytica erinnerte eher an eine Razzia von Korruptionsjägern als an die bei Datenschutzvergehen übliche Vorgangsweise. Man nehme die Situation in Österreich: Hierzulande drohte Firmen bei der jahrelangen illegalen Speicherung von Kundendaten höchstens eine Verwaltungsstrafe im dreistelligen Bereich. Daran ist die Politik schuld. Datenschutzbehörden würden ja gern aggressiver auftreten, hätten aber keine Handhabe, hörte man hinter den Kulissen oft. Mit der neuen, EU-weit gültigen Datenschutzgrundverordnung soll sich das ab Mai ändern. Dann drohen empfindliche Geldstrafen für Konzerne.
Dass die Politik technologischen Entwicklungen hinterherhinkt, ist normal. Dass es für ihr Erwachen jedoch eine Reihe von Katastrophen braucht, ist mehr als fahrlässig.
Klar: Datenschutzverstöße sind auf den ersten Blick unspektakulär, nicht zu vergleichen mit Terroranschlägen oder Naturkatastrophen, auf die oft rasch eine politische Reaktion folgt. Aber wenn Datenschutzvergehen dazu führen, dass Propagandisten Referenden wie die Brexit-Abstimmung oder die US-Präsidentschaftswahl manipulieren können, dann ist Feuer am Dach – und der finale Zeitpunkt erreicht, um Datenschutz ernst zu nehmen.