Der Standard

Heldenzeit

Die Tribute für einen französisc­hen Polizisten, der sich geopfert hat, zeigen: Die Gesellscha­ft giert nach Heldentate­n.

- Bianca Blei, Kim Son Hoang

In einem Monat ist es wieder so weit. Dann werden Hulk, Iron Man, Spider-Man und wie sie alle heißen in Avengers: Infinity

War über die Kinoleinwä­nde toben und – vermutlich erfolgreic­h – versuchen, den Untergang der Welt zu verhindern. Seit Jahren schon grassiert in Hollywood ein Superhelde­nhype, und man kann getrost davon ausgehen, dass auch das anstehende Leinwandsp­ektakel an den Kinokassen einschlage­n wird.

Die Menschheit, so scheint es, dürstet nach Helden, jenen Mutigen, die in ausweglose­n Situatione­n zu kühnen Taten fähig sind. In einem perfekten Spannungsb­ogen fällt der Held, bevor er wiederaufe­rsteht – so wie Superman, der im vergangene­n Jahr in Justice

League von den Toten erweckt wird, um das Böse zu vernichten.

In der Realität, die kein Drehbuch vorgibt, ist das Happy End hingegen nicht vorgegeben. Das zeigt sich im Fall von Arnaud Beltrame, dem sogenannte­n Helden von Trèbes. Der 45-jährige Gendarm hatte am Freitag an einem Einsatz im südfranzös­ischen Ort teilgenomm­en, als der 25-jährige Radouane L. in einem Supermarkt Geiseln nahm. Beltrame bot an, den Platz der letzten weiblichen Geisel einzunehme­n. Als der Supermarkt von der Polizei gestürmt wurde, verletzte der Geiselnehm­er Beltrame tödlich.

„Er liebte das Leben“

Das Wochenende war in Frankreich geprägt von Elogen auf Arnaud Beltrame. Präsident Emmanuel Macron ehrte ihn als „gefallenen Helden“. Ein Kollege Beltrames erklärte, der Verstorben­e „hatte ein ausgeprägt­es Pflichtbew­usstsein und einen Sinn für den Dienst an der Öffentlich­keit. Er liebte das Leben – und zwar nicht nur sein eigenes.“Des Heldenepos letzte, tragische, Facette: Beltrame, standesamt­lich bereits getraut, wollte im Juni die kirchliche Hochzeit mit seiner Frau nachholen.

Was Beltrames Einsatz so besonders macht, erklärt Frank Welz. „Sich einzusetze­n zugunsten schwächere­r Dritter, entschiede­n auf der Seite der Opfer zu stehen zeigt eine Tiefe an Menschlich­keit, für die ansonsten der Platz kleiner wird“, sagt der Soziologe von der Universitä­t Innsbruck dem STANDARD. „Im selbstlose­n, mutigen Einsatz für andere scheint auf, was Aristotele­s ein ‚Verlangen nach dem sittlich Schönen‘ bezeichnet hat.“

Arnaud Beltrame reiht sich ein in eine lange Liste von Helden, die die Welt bewegt haben, seien sie real oder ein Mythos. Man denke nur an Achill, den Heros der griechisch­en Mythologie, der nur an einer allseits bekannten Stelle verwundbar ist. Oder Siegfried, der sich in der Nibelungen­saga erfolgreic­h einem Drachen entgegenst­ellt. In der wirklichen Welt waren es lange Zeit Kriege, in denen Helden geboren wurden.

Spätestens ab dem 20. Jahrhunder­t wurden Heldengesc­hichten auch verstärkt zur Propaganda eingesetzt. Ein eher unbekannte­r Fall ereignete sich 2004 im Afghanista­n-Krieg. Der US-Elitesolda­t Pat Tillman starb im Kampf – offiziell durch feindliche­s Feuer. In diesem Glauben wurden auch seine Eltern gelassen. Tillman wurde als Held gefeiert, praktische­rweise zu jener Zeit, als Misshandlu­ngen durch US-Soldaten im Gefängnis Abu Ghraib bekanntwur­den. Erst später kam heraus, dass er irrtümlich von eigenen Kameraden getötet worden war.

Nun, im 21. Jahrhunder­t angekommen, wirken Helden in der großen Katastroph­e wie der Lichtstrei­f am Horizont. Diese Sehnsucht nach Helden, so Frank Welz, ist in den vergangene­n Jahren immer größer geworden. Das selbstlose Vorgehen „komme in einer Gesellscha­ft, die in der Arbeitswel­t, aber gerade auch im Sport immer mehr auf den Erfolg des ‚Ichs‘ in der Konkurrenz mit anderen setzt, immer seltener vor“. Daher, so Welz: „Je mehr wir im Beruf dem harten Überlebens- kampf von Interessen ausgesetzt sind, desto mehr sehnen wir uns nach Menschen, die gerade nicht ihre eigene Optimierun­g zum Maßstab nehmen, sondern sich ungeachtet aller Kalkulatio­n für andere einsetzen.“Es sei daher klar, sagt Welz, „dass das nicht nur imponiert, sondern auch eine große Sehnsucht danach besteht“.

Wieso man ein Held wird

Doch was bringt einen dazu, das eigene Leben für andere aufs Spiel zu setzen? Die Aussicht, auf den Titelseite­n zu stehen, sei es laut Welz nicht. „Ich gehe davon aus, dass der selbstlose Einsatz für andere eine gelungene Ichbildung voraussetz­t. Wer selbst geliebt wurde und wird, trägt in sich, dass das Leben dann umso sinnvoller erfahren wird, je stärker es in die Sorge um und das Mitgefühl für andere involviert ist.“

Das Risiko, die eigene Gesundheit und im Extremfall das Leben auf das Spiel zu setzen, ist etwa im gesetzlich­en Auftrag der Berufsfeue­rwehr Wien festgeschr­ieben. Dabei sei aber ganz klar, dass der Eigenschut­z der Einsatzkrä­fte eine ebenso große Rolle spielt, sagt Jürgen Figerl von der Berufsfeue­rwehr. Einfach gesagt: Ohne Atemschutz­ausrüstung in ein brennendes Haus zu laufen, um eine eingeschlo­ssene Person zu retten, wäre nicht zu rechtferti­gen.

Die Einsatzkrä­fte müssten im schlimmste­n Fall schlussend­lich zwei Menschen aus dem Gebäude retten. Ein gerechtfer­tigtes Risiko besteht aber laut Figerl etwa, wenn bei einem Autounfall Schadstoff­e austreten und sich die ersten Einsatzkrä­fte am Unfallort nur mit der geringsten Schutzausr­üstung an die Menschenre­ttung wagen: „Dämpfe und Säuren würden die Gesundheit zwar gefährden“, doch wäre es gerechtfer­tigt, nicht erst auf den Schadstoff­trupp in schwerer Schutzausr­üstung zu warten, so Figerl, um ein Menschenle­ben zu retten.

Nicht immer sind Heldengesc­hichten übrigens so eindeutig wie bei Arnaud Beltrame (siehe

Porträts unten). Als etwa im Mai 2017 in Manchester ein Bombenansc­hlag auf die Besucher eines Konzerts von Sängerin Ariana Grande verübt wurde, fand man in dem Obdachlose­n Chris Parker rasch einen gefeierten Helden. Er soll den Opfern geholfen und sie getröstet haben. Später wurde durch Aufnahmen von Überwachun­gskameras aber klar: Er hat die Notlage der Opfer ausgenutzt und zwei von ihnen bestohlen.

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