Johnson im Facebook- Skandal
Die Weitergabe von 50 Millionen Nutzerdaten an Cambridge Analytica lässt Facebook nicht zur Ruhe kommen. Während der Ruf der Politik nach Konsequenzen lauter wird, schlittert die Firma gleich in den nächsten Skandal.
Menlo Park / Wien – Als hätte Facebook mit dem Datenskandal rund um Cambridge Analytica derzeit nicht bereits genügend Ungemach, sieht sich das Unternehmen nun im Zentrum einer weiteren Privatsphärendebatte. Zahlreiche Nutzer mussten beim Download ihrer von Facebook gespeicherten Daten feststellen, dass sich darin auch Informationen befanden, mit denen sie so gar nicht gerechnet hatten: Facebook hatte über Jahre hinweg Daten seiner Android-User zu jedem Anruf und jeder verschickten SMS fein säuberlich mitprotokolliert und auf die eigenen Server geladen.
„Selbst schuld“
Nun meldet sich Facebook in einer Stellungnahme zu den Vorwürfen zu Wort, und zugespitzt lautet die Quintessenz davon: „selbst schuld“. Und das nicht ganz zu Unrecht. All die erwähnten Daten wurden nämlich erst nach expliziter Genehmigung der User gesammelt. Als Beweis dafür veröffentlichte das Unternehmen einen Screenshot aus einer seiner Apps, in dem Facebook die Nutzer nach dem Upload ihrer Kontaktinformationen, aber auch der Anrufsowie SMS-Historie fragt. Ziel dieser seit 2015 laufenden Datensammlung sei es, den Nutzern bessere Kontaktvorschläge zu liefern, betont das Unternehmen.
Zudem streicht das Unternehmen heraus, dass dieses Feature jederzeit über die Einstellungen deaktivierbar sei und der Upload von Kontaktinformationen gerade bei Messenger-Apps üblich sei, man hier also keine Ausnahme bilde. Mit alldem hat Facebook zwar prinzipiell recht, doch macht es sich das Unternehmen in dieser Hinsicht etwas einfach: Der Upload des Adressbuchs ist zwar tatsächlich durchaus gebräuchlich – dass man dabei in einem Aufwasch auch gleich SMS- und Telefonie-Historie erfasst, ist es allerdings nicht. Dass nur Androidnutzer betroffen sind, ist ebenfalls rasch erklärt: Apples iOS erlaubt generell keinen Zugriff auf den Anrufverlauf.
Nutzer können handeln
Für Smartphone-Nutzer lautet die Lehre daraus, dass es an der Zeit wäre, einmal die an einzelne Apps erteilten Berechtigungen durchzugehen, um zu sehen, was man hier eigentlich den Anbietern alles erlaubt – und diese Erlaubnis im Zweifelsfall wieder entzieht. Sowohl unter iOS als auch in halbwegs aktuellen AndroidVersionen (ab Android 6.0) kann ein solcher Schritt über die Sys- temeinstellungen vorgenommen werden.
Unterdessen verschärft sich der Druck aus der Politik auf Facebook: Die indirekte Weitergabe der Daten von 50 Millionen Facebook-Usern an die Datenanalysefirma Cambridge Analytica könnte nämlich nur die Spitze des Eisbergs darstellen. Immerhin haben in den vergangenen Jahren zahlreiche auf Facebook angebotene Apps ähnlichen Zugriff auf Nutzerdaten gehabt, doch was damit passiert ist, lässt sich im Nachhinein kaum mehr nachvollziehen – auch wenn das Unternehmen versichert, dem nachgehen zu wollen. Entsprechend verlangt etwa EU-Justizkommissarin Vera Jourová weitere Klarstellungen von Facebook. Der durch Facebook begünstigte massive Missbrauch von Nutzerdaten, sei „völlig inakzeptabel“. Zudem betont sie, dass nun die EU-Datenschutzbehörden am Zug seien, um eine „europäische Antwort“zu finden. Die deutsche Justizministerin Katarina Barley (SPD) gibt sich ebenfalls kämpferisch, und fordert „transparente Facebook-Algorithmen“. Es gebe hier Regelungsbedarf, damit klar sei, „nach welchen Programmcodes Unternehmen vorgehen“. Vonseiten des österreichischen Justizministeriums wollte man hingegen auch auf Nachfrage keine konkreten Aussagen zur aktuellen Debatte tätigen. Stattdessen verweist man auf das geltende Datenschutzrecht sowie die Eigenverantwortlichkeit der User.
In Großbritannien lässt die Affäre derweil die Brexit-Diskussionen neu aufflammen. Denn auch wenn Cambridge Analytica eigentlich behauptet hat, nichts mit der Brexit-Kampagne zu tun zu haben, verweisen nun neue Recherchen darauf, dass zumindest ein Schwesterunternehmen beteiligt gewesen sein dürfte. Die Firma AggregateIQ soll knapp vier Millionen Euro für ihre Dienste erhalten haben. Dabei habe die von Außenminister Boris Johnson angeführte „Vote leave“-Kampagne auch gegen die Auflagen der Wahlkommission für die Finanzierung verstoßen, da sich hier unterschiedliche Gruppen miteinander abgesprochen hätten – was strikt verboten ist. Johnson selbst spricht in einer Stellungnahme von „lächerlichen“Vorwürfen.
Die kurz nach den CambridgeAnalytica-Enthüllungen gestartete #DeleteFacebook-Kampagne erhält ebenfalls neuen Zuspruch. So hat nun Tech-Milliardär Elon Musk aus Protest die Facebookseiten des Raumfahrtunternehmens SpaceX sowie des Elektroautoherstellers Tesla gelöscht. Beide hatten zuletzt rund 2,6 Millionen Follower. Angesichts der lautstarken Kritik scheinen auch all die öffentlichen Entschuldigungen von Facebook-Chef Mark Zuckerberg nur wenig zu helfen. Viele Beobachter bezeichneten diese als halbherzig, die konkret angekündigten Maßnahmen werden als unzureichend kritisiert.
Dies hat wiederum zur Folge, dass nun die ersten Werber begonnen haben, ihr Engagement zu hinterfragen. So hat etwa der Browserhersteller Mozilla Werbeschaltungen auf Facebook eingestellt, der Lautsprecherhersteller Sonos hat zumindest einen temporären Werbestopp verkündet – ebenso wie die deutsche Commerzbank.