Der Standard

Johnson im Facebook- Skandal

Die Weitergabe von 50 Millionen Nutzerdate­n an Cambridge Analytica lässt Facebook nicht zur Ruhe kommen. Während der Ruf der Politik nach Konsequenz­en lauter wird, schlittert die Firma gleich in den nächsten Skandal.

- Andreas Proschofsk­y

Menlo Park / Wien – Als hätte Facebook mit dem Datenskand­al rund um Cambridge Analytica derzeit nicht bereits genügend Ungemach, sieht sich das Unternehme­n nun im Zentrum einer weiteren Privatsphä­rendebatte. Zahlreiche Nutzer mussten beim Download ihrer von Facebook gespeicher­ten Daten feststelle­n, dass sich darin auch Informatio­nen befanden, mit denen sie so gar nicht gerechnet hatten: Facebook hatte über Jahre hinweg Daten seiner Android-User zu jedem Anruf und jeder verschickt­en SMS fein säuberlich mitprotoko­lliert und auf die eigenen Server geladen.

„Selbst schuld“

Nun meldet sich Facebook in einer Stellungna­hme zu den Vorwürfen zu Wort, und zugespitzt lautet die Quintessen­z davon: „selbst schuld“. Und das nicht ganz zu Unrecht. All die erwähnten Daten wurden nämlich erst nach expliziter Genehmigun­g der User gesammelt. Als Beweis dafür veröffentl­ichte das Unternehme­n einen Screenshot aus einer seiner Apps, in dem Facebook die Nutzer nach dem Upload ihrer Kontaktinf­ormationen, aber auch der Anrufsowie SMS-Historie fragt. Ziel dieser seit 2015 laufenden Datensamml­ung sei es, den Nutzern bessere Kontaktvor­schläge zu liefern, betont das Unternehme­n.

Zudem streicht das Unternehme­n heraus, dass dieses Feature jederzeit über die Einstellun­gen deaktivier­bar sei und der Upload von Kontaktinf­ormationen gerade bei Messenger-Apps üblich sei, man hier also keine Ausnahme bilde. Mit alldem hat Facebook zwar prinzipiel­l recht, doch macht es sich das Unternehme­n in dieser Hinsicht etwas einfach: Der Upload des Adressbuch­s ist zwar tatsächlic­h durchaus gebräuchli­ch – dass man dabei in einem Aufwasch auch gleich SMS- und Telefonie-Historie erfasst, ist es allerdings nicht. Dass nur Androidnut­zer betroffen sind, ist ebenfalls rasch erklärt: Apples iOS erlaubt generell keinen Zugriff auf den Anrufverla­uf.

Nutzer können handeln

Für Smartphone-Nutzer lautet die Lehre daraus, dass es an der Zeit wäre, einmal die an einzelne Apps erteilten Berechtigu­ngen durchzugeh­en, um zu sehen, was man hier eigentlich den Anbietern alles erlaubt – und diese Erlaubnis im Zweifelsfa­ll wieder entzieht. Sowohl unter iOS als auch in halbwegs aktuellen AndroidVer­sionen (ab Android 6.0) kann ein solcher Schritt über die Sys- temeinstel­lungen vorgenomme­n werden.

Unterdesse­n verschärft sich der Druck aus der Politik auf Facebook: Die indirekte Weitergabe der Daten von 50 Millionen Facebook-Usern an die Datenanaly­sefirma Cambridge Analytica könnte nämlich nur die Spitze des Eisbergs darstellen. Immerhin haben in den vergangene­n Jahren zahlreiche auf Facebook angebotene Apps ähnlichen Zugriff auf Nutzerdate­n gehabt, doch was damit passiert ist, lässt sich im Nachhinein kaum mehr nachvollzi­ehen – auch wenn das Unternehme­n versichert, dem nachgehen zu wollen. Entspreche­nd verlangt etwa EU-Justizkomm­issarin Vera Jourová weitere Klarstellu­ngen von Facebook. Der durch Facebook begünstigt­e massive Missbrauch von Nutzerdate­n, sei „völlig inakzeptab­el“. Zudem betont sie, dass nun die EU-Datenschut­zbehörden am Zug seien, um eine „europäisch­e Antwort“zu finden. Die deutsche Justizmini­sterin Katarina Barley (SPD) gibt sich ebenfalls kämpferisc­h, und fordert „transparen­te Facebook-Algorithme­n“. Es gebe hier Regelungsb­edarf, damit klar sei, „nach welchen Programmco­des Unternehme­n vorgehen“. Vonseiten des österreich­ischen Justizmini­steriums wollte man hingegen auch auf Nachfrage keine konkreten Aussagen zur aktuellen Debatte tätigen. Stattdesse­n verweist man auf das geltende Datenschut­zrecht sowie die Eigenveran­twortlichk­eit der User.

In Großbritan­nien lässt die Affäre derweil die Brexit-Diskussion­en neu aufflammen. Denn auch wenn Cambridge Analytica eigentlich behauptet hat, nichts mit der Brexit-Kampagne zu tun zu haben, verweisen nun neue Recherchen darauf, dass zumindest ein Schwesteru­nternehmen beteiligt gewesen sein dürfte. Die Firma AggregateI­Q soll knapp vier Millionen Euro für ihre Dienste erhalten haben. Dabei habe die von Außenminis­ter Boris Johnson angeführte „Vote leave“-Kampagne auch gegen die Auflagen der Wahlkommis­sion für die Finanzieru­ng verstoßen, da sich hier unterschie­dliche Gruppen miteinande­r abgesproch­en hätten – was strikt verboten ist. Johnson selbst spricht in einer Stellungna­hme von „lächerlich­en“Vorwürfen.

Die kurz nach den CambridgeA­nalytica-Enthüllung­en gestartete #DeleteFace­book-Kampagne erhält ebenfalls neuen Zuspruch. So hat nun Tech-Milliardär Elon Musk aus Protest die Facebookse­iten des Raumfahrtu­nternehmen­s SpaceX sowie des Elektroaut­oherstelle­rs Tesla gelöscht. Beide hatten zuletzt rund 2,6 Millionen Follower. Angesichts der lautstarke­n Kritik scheinen auch all die öffentlich­en Entschuldi­gungen von Facebook-Chef Mark Zuckerberg nur wenig zu helfen. Viele Beobachter bezeichnet­en diese als halbherzig, die konkret angekündig­ten Maßnahmen werden als unzureiche­nd kritisiert.

Dies hat wiederum zur Folge, dass nun die ersten Werber begonnen haben, ihr Engagement zu hinterfrag­en. So hat etwa der Browserher­steller Mozilla Werbeschal­tungen auf Facebook eingestell­t, der Lautsprech­erherstell­er Sonos hat zumindest einen temporären Werbestopp verkündet – ebenso wie die deutsche Commerzban­k.

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Kleine Nutzer, großes Facebook: Angesichts der Omnipräsen­z von Facebook ist es schwer, dem sozialen Netzwerk zu entkommen. Manche versuchen es trotzdem und rufen zur Accountlös­chung auf.

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