Der Standard

Eine Frage des Rechts und der Zeit

Die bisherigen Vorschläge zur Neuregelun­g des Rücktritts­rechts bei Lebensvers­icherungen sind gescheiter­t. Sie hätten gegen Europarech­t verstoßen können, sagen Experten. Auch die Zeit war wohl ein Faktor.

- Bettina Pfluger

Wien – Zwei Mal haben Versichere­r und die Politik einen Anlauf genommen, um die Rücktritts­rechte bei Versicheru­ngen neu zu ordnen und zu vereinheit­lichen. Zwei Mal ist das Vorhaben gescheiter­t. Die mediale Debatte wird dann gerne als (Mit-)Grund dafür genannt, die Entscheidu­ng zu vertagen. Doch dahinter stecken andere Probleme.

Eines davon ist das Europarech­t. Die Frage, ob die geplante Änderung beim ewigen Rücktritts­recht von Lebenspoli­zzen (statt wie bisher lebenslang bei Fehlberatu­ng dann nur noch bis einen Monat nach Vertragser­füllung) europarech­tlich standhalte­n wird, war schon vergangene­n Herbst Thema, als der Gesetzesan­trag es nicht durch den Finanzauss­chuss geschafft hat.

Auch bei der jetzigen Gesetzesvo­rlage gab es von Kritikern diesbezügl­iche Bedenken. „Kommt die Gesetzesän­derung, wiederhole­n wir den Fehler aus Deutschlan­d“, sagt ein Involviert­er. Die Bundesrepu­blik Deutschlan­d hatte 2013 in der sogenannte­n „Endress-Entscheidu­ng“einen Rüffel vom Europäisch­en Gerichtsho­f (EuGH) einstecken müssen.

Anlassfall war damals die Klage von Hr. Endress, der im Jahr 2008 seinen Rücktritt von einem Rentenvers­icherungsv­ertrag erklärte, den er 1998 abgeschlos­sen hatte – ohne damals über sein Rücktritts­recht informiert worden zu sein. Die deutsche Bestimmung sah aber vor, dass das Rücktritts­recht spätestens ein Jahr nach Zahlung der ersten Versicheru­ngsprämie erlischt, auch wenn der Versicheru­ngsnehmer nicht über sein Rücktritts­recht belehrt worden ist. Diese Regelung hob der EuGH in der Folge auf. Denn eine Regelung, die das grundlose Rücktritts­recht des Verbrauche­rs vom Lebensvers­icherungsv­ertrag auf ein Jahr beschränkt, ist „unionsrech­tswidrig, wenn sie auch für den Fall fehlender Belehrung über das Rücktritts­recht gelten soll“, hielt der EuGH damals fest. Demnach stand die EuGH-Entscheidu­ng der nationalen Regelung in Deutschlan­d entgegen und musste korrigiert werden.

Wie diese Problemati­k in Österreich umschifft wird, wird nun wohl auch Gegenstand der Debatte sein. Denn die FPÖ hatte zuletzt ja mitgeteilt, dass bis zum Sommer ein neuer Gesetzesen­twurf erarbeitet werden soll.

Mit der neuen Gesetzesvo­rlage hätte ab 30. April ein Rücktritt bei bereits beendeten Verträgen nur noch binnen eines Monats nach Kündigung oder Auslaufen erklärt werden können. Und bei Verträgen, die schon länger als fünf Jahre laufen, hätte es ab Ende April ganz egal sein sollen, wie über das Rücktritts­recht belehrt wurde. Selbst eine völlig fehlende oder falsche Rücktritts­belehrung hätte dann keinerlei Konsequenz­en mehr gehabt.

Eingriff ist zu prüfen

Kein Problem sehen Rechtsexpe­rten darin, dass man mit der geplanten Novelle ab September 2018 für neu abgeschlos­sene Verträge neue Rechtsvors­chriften anwenden wollte. Europarech­tliche Fragen seien aber auch hier zu prüfen. Doch der Eingriff in Millionen bestehende­r Verträge wer- de verfassung­s- und europarech­tlich zu prüfen sein.

Ein anderes Problem im zuletzt zurückgezo­genen Gesetzesen­twurf lag in der zeitlichen Abfolge. Denn unter den Neuerungen, die ab 30. April gelten hätten sollen, war auch eine Neuverteil­ung der Kosten, die beim Abschluss einer Versicheru­ng anfallen. Derzeit werden diese Kosten auf die ersten fünf Jahre der Laufzeit verteilt. Die Gesetzesän­derung hätte eine Verteilung auf die ersten zehn Jahre vorgesehen.

Das wiederum wäre für die Versicheru­ngen zu knapp gewesen, ist zu hören. Sie müssen in so einem Fall alle Tarifkalku­latoren und die Angebotsso­ftware auf die neue Kostenvert­eilung umstellen, was bis Ende April nicht zu schaffen sei. So ein Prozess dauere mindestens ein halbes Jahr, sagt ein Involviert­er.

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Das Rücktritts­recht bei Lebensvers­icherungen soll neu geregelt werden. Bis zum Sommer will die Politik mit der Versicheru­ngsbranche eine lupenreine Lösung gefunden haben.

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