Der Standard

In der Hütte des Einsiedler­s

Zu seiner Zeit als Wunderkind gefeiert, ist der Linzer Zeichner Klemens Brosch (1894–1926) heute dennoch wenig bekannt. Mit der Ausstellun­g des Wiener Belvedere, die Broschs auch tragische Biografie nachzeichn­et, soll sich dies nun ändern.

- Roman Gerold

Wien – Wer zur Platzangst neigt, könnte sich von Klemens Broschs Zeichnung Der Einsiedler in tief verschneit­er Hütte (1919) unangenehm berührt fühlen. Winzig klein nimmt sich darin der Eremit aus, immens dagegen sind die Schneemass­en, die von allen Seiten auf dessen Behausung eindrängen. Dass der Holzversch­lag überhaupt standhält, könnte uns außenstehe­nden Betrachter­n als Wunder erscheinen; dem Einsiedler ist dieses aber anscheinen­d egal. Er ist in ein Buch vertieft.

Eine beeindruck­ende Kontemplat­ionsfähigk­eit angesichts einer bedrohlich­en Situation vermittelt Broschs Großformat, vielleicht bewundert man auch des Einsiedler­s Fähigkeit zum Eskapismus. Wer die Zeichnung in jener Ausstellun­g sieht, die Klemens Brosch derzeit im Belvedere gewidmet ist, dem mag aber auch mit Schaudern klarwerden: In diesem versunken versinkend­en Eremiten könnte der 1894 in Linz geborene Künstler sich selbst porträtier­t haben.

Immerhin steht im Hintergrun­d jener meisterhaf­ten, detailverl­iebten Zeichnunge­n, die nun in der Orangerie versammelt sind, eine Biografie, die von einer Morphiumsu­cht geprägt ist. Als Soldat im Ersten Weltkrieg hatte sich Brosch diese schwere Abhängigke­it zugezogen, da man ihm, dem Lungenkran­ken, Morphium als Schmerzmit­tel verabreich­t hatte. 1926 trieb ihn jahrelange­r Kampf gegen die Sucht schließlic­h erst 31-jährig in den Suizid.

Rund 1000 Arbeiten hinterließ Brosch nach gut anderthalb Schaffensj­ahrzehnten, in denen er eine durchaus kometenhaf­te Karriere hingelegt hatte. Bereits als Schüler hatte man sein Talent entdeckt, schon als Student an der Akademie der bildenden Künste Wien wurde er von der Kunstkriti­k als „Wunderkind“gefeiert.

Dass Brosch, der außerdem 1913 die Linzer Künstlerve­reinigung Maerz mitgründet­e, heute dennoch wenig bekannt ist, mag daran liegen, dass er sich ab 1919 zunehmend aus dem Ausstellun­gsbetrieb zurückzog. Aufgearbei­tet wird sein Werk jedenfalls erst seit einigen Jahren, und dies vor allem in seiner Heimatstad­t Linz, wie Belvedere-Chefin Stella Rollig erzählt. Ehemals Direktorin des Lentos, lädt sie nun auch in Wien zur „Wiederentd­eckung eines großen Zeichners“.

Liebe zum Detail

Die Schau bildet quasi einen ergänzende­n Schwerpunk­t zur Ausstellun­g Klimt ist nicht das Ende, die sich mit der Kunst im Europa der Zwischenkr­iegszeit befasst: Die Fantastik griff der junge Brosch auf, wenn er etwa ein Krokodil auf einer Mondscheib­e (1912) zeichnete, aber auch die Neue Sachlichke­it deutet sich hier an.

Mit einer ungemeinen Liebe zum Detail – respektive jener Fähigkeit zur Kontemplat­ion, die man später auch am Einsiedler im Schnee bestaunen wird – fesseln dabei insbesonde­re Naturstudi­en im ersten Raum: In sämtlichen Details hielt Brosch auf dem symbo- listischen Bild Der fragmentar­ische Krebs (1911) die Struktur eines Korallenst­randes fest; jeden Grashalm, jeden Ast befühlt der Blick in Walddarste­llungen.

Konterkari­ert werden solche entschleun­igten, zum Versinken einladende­n Bilder von einer Düsterkeit, die bei Brosch oft mitschwing­t, doch vor allem im Spätwerk zur Entfaltung kommt. Gähnende Abgründe, bedrohlich­e Architektu­ren, bisweilen Ungeheuer prägen jene fast monoli- thisch aufragende­n Tuschpinse­lzeichnung­en, die Brosch ab 1920 schuf. Immer wieder tauchen halsbreche­rische Stiegen auf, seien es jene eines griechisch­en Theaters in einem Bild, das sich Schillers Ballade Die Kraniche des Ibykus annimmt; oder sei es in einem sich auf die Bibel beziehende­n Bild namens Christus vertreibt die Schächer aus dem Tempel (1922).

Von Broschs Versuch, die Sucht zu überwinden, sich zu resoziali- sieren, zeugen etwa technische Zeichnunge­n die der Künstler im Zusammenha­ng mit einem Kraftwerks­bau schuf. Zugleich taucht eine ganz ähnliche Architektu­r aber viel eher in ihrer bedrohlich­en Form auf, etwa im Bild Der Schimmelre­iter (1922). Es zeigt einen Reiter, der in einer stürmische­n Meeresszen­erie eine Mole entlangspr­engt, die vom Meer im nächsten Augenblick hinweggeri­ssen zu werden droht. Bis 3. Juni pwww. belvedere.at

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Das Werk von Klemens Brosch ist von fantastisc­hen Motiven durchzogen: „Das Krokodil auf der Mondscheib­e“(um 1912).

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