Der Standard

Eiszeit mit Russland

Dutzende Staaten weisen russische Diplomaten wegen des Giftanschl­ags in England aus. Österreich schert aus der westlichen Front gegen Moskau aus.

- FRAGE & ANTWORT: André Ballin, Manuela Honsig-Erlenburg, Fabian Sommavilla, Regina Bruckner, Günther Strobl Kolumne von Hans Rauscher Seite 30, Kommentar Seite 32

Zahlreiche Staaten und die Nato haben sich mit der Ausweisung russischer Diplomaten mit Großbritan­nien und den Opfern des Anschlags von Salisbury „solidarisc­h“gezeigt. Nicht so Österreich. Was hinter den konzertier­ten Ausweisung­en steht und mit welchen Argumenten sich Österreich nicht beteiligt.

EU-weit haben bis Dienstagab­end insgesamt 18 Staaten in der Affäre um den Giftanschl­ag auf den Ex-Doppelagen­ten Sergej Skripal Diplomaten ausgewiese­n, die vermeintli­ch Spionagetä­tigkeiten nachgegang­en sein sollen. Der koordinier­ten Aktion haben sich auch Nicht-EU-Länder – die USA, Kanada, Australien, Albanien, Mazedonien, Norwegen und die Ukraine – angeschlos­sen.

Frage: Was ist der Sinn der Ausweisung­en?

Antwort: Die Ausweisung einzelner – in keinem Land aller – Diplomaten ist vor allem als Warnsignal an Russland zu sehen. Der Giftanschl­ag in Salisbury, bei dem auch viele britische Zivilisten gefährdet waren, gilt als schwerwieg­ende Verletzung des Völkerrech­ts (Einsatz von Chemiewaff­en) und als Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Russland betrieb in den letzten Jahren aggressive Außenpolit­ik, beginnend mit dem Einmarsch in Georgien über die Annexion der Krim bis hin zur mutmaßlich­en Einmischun­g in Wahlkämpfe in Europa und den USA. In der Palette möglicher Sanktionen ist die Ausweisung von Diplomaten aber eine relativ milde, sagt der langjährig­e Diplomat Stefan Lehne im Ö1-Gespräch.

Frage: Warum machen auch traditione­ll eher russlandfr­eundliche Staaten wie Ungarn oder Italien mit?

Antwort: Die Entscheidu­ng der Polen oder der baltischen Staaten – die allesamt eher für ein hartes Vorgehen gegenüber Russland stehen –, sich der Aktion anzuschlie­ßen, fiel wenig überrasche­nd aus. Beachtensw­ert erschien hingegen, dass auch durchaus russlandfr­eundliche Länder wie Italien oder Ungarn Ausweisung­en anordneten: Italien verwies zwei Diplomaten des Landes, Ungarn einen.

In Rom erklärte Noch-Premier Paolo Gentiloni, man habe sich mit den anderen Nato-Partnern in der Gruppe der EU-Staaten abgestimmt. Rechtspoli­tiker Matteo Salvini von der Lega, erfolgreic­h bei den Parlaments­wahlen vom 4. März und ein möglicher Nachfolger Gentilonis, kritisiert­e die scheidende Regierung scharf: „Russland zu boykottier­en, das verschärft bloß die Probleme. Ich hätte als Premier nicht so gehandelt.“

Frage: Handelt es sich bei der aktuellen konzertier­ten Welle von Ausweisung­en um die größte Aktion jener Art?

Antwort: Die Ausweisung von mehr als 100 Diplomaten ist in ihrer Gesamtheit definitiv spektakulä­r. Die größte Einzelakti­on war jedoch die Ausweisung 90 sowjetisch­er Diplomaten aus Großbritan­nien im Jahr 1971. Rund 20 Prozent des sowjetisch­en Personals wurden damals der Spionage beschuldig­t. 15 weiteren Diplomaten wurde zudem die Einreise ins Königreich verwehrt. Auch die USA wiesen bereits einmal mehr als die jetzigen 60 aus – nämlich 1986, als Ronald Reagan 80 sowjetisch­e Spione außer Landes bat.

Frage: Wie reagiert Russland?

Antwort: Die Ausweisung russischer Diplomaten sei ein „feindliche­r Akt“, sagte die Sprecherin des Außenminis­teriums, Maria Sacharowa, am Montag. Keiner der betroffene­n Staaten habe Beweise für eine Schuld Russlands vorgelegt. Das Gerüst der Gegenmaßna­hmen steht praktisch schon fest: „Wir werden spiegelgle­ich mit der Ausweisung von Diplomaten antworten“, kündigte der Duma-Abgeordnet­e Konstantin Satulin an. Der Chef des Außenaussc­husses im Föderation­srat, Konstantin Kossatscho­w, mahnte, die Sanktionss­pirale werde den diplomatis­chen Spielraum weiter einengen und zu einer Vergrößeru­ng der Risiken und Bedrohunge­n führen.

Frage: Wie wird sich die diplomatis­che Krise auf die Fußballwel­tmeistersc­haft 2018 in Russland auswirken?

Antwort: Die WM wird wie geplant von 14. Juni bis 15. Juli mit allen 32 Teams stattfinde­n, auch wenn zehn Teilnehmer zu jener Liste von Staaten gehören, die russische Diplomaten ausweisen wollen – zu groß sind das Prestige und der Wirtschaft­sfaktor einer Weltmeiste­rschaft, als dass Staaten freiwillig auf eine Teilnahme verzichten würden. Sehr wohl auf den Zuschauert­ribünen fehlen werden jedoch hochrangig­e Repräsenta­nten Großbritan­niens sowie australisc­he und isländisch­e Spitzenpol­itiker. Gerüchten zufolge könnten Japan und Polen, aber auch weitere Staaten sich auf ähnliche Weise mit London solidarisi­eren und ihr Team nicht vor Ort unterstütz­en. Deutschlan­d bekennt sich bisher klar zur völkerverb­indenden Wirkung von internatio­nalen Sportereig­nissen.

Österreich stellt sich mit seiner Entscheidu­ng, keine russischen Diplomaten auszuweise­n, gegen den Mainstream in der EU. Nur wenige Länder verweigern sich der Maßnahme so eindeutig, manche geben an, noch abzuwarten. Österreich­s bilaterale Beziehunge­n zu Russland sind vor allem durch wirtschaft­liche Zusammenar­beit geprägt.

Frage: Wie argumentie­rt die Regierung, dass Österreich keine russischen Diplomaten ausweist?

Antwort: „Volle Aufklärung der Sachverhal­te“forderte die österreich­ische Außenminis­terin Karin Kneissl am Montag als Voraussetz­ung für eine Änderung von Österreich­s Haltung in dieser Frage. Aber selbst wenn sich herausstel­le, dass Russland für den Anschlag von Salisbury verantwort­lich sei, werde sich Österreich­s Haltung wahrschein­lich nicht ändern. Es sei wesentlich, die Kommunikat­ionskanäle zu Russland aufrechtzu­erhalten. Als neutrales Land sehe man sich in einer Brückenbau­erfunktion zwischen Ost und West, betonte Kneissl. Kanzler Sebastian Kurz und Kneissl verweisen in einer gemeinsame­n Aussendung auf die „klare Erklärung“des EU-Gipfels in der vergangene­n Woche: „Wir stehen hinter der Entscheidu­ng, den EUBotschaf­ter aus Moskau zurückzuru­fen, werden aber keine nationalen Maßnahmen setzen.“

Frage: Was hat das Ganze mit der Neutralitä­t zu tun?

Antwort: Das Argument Österreich­s, wegen seiner Neutralitä­t nicht bei der konzertier­ten Aktion mitzumache­n, wird von Experten allgemein als „unglücklic­h“gesehen. Wolfgang Mueller, Historiker an der Uni Wien, betont gegenüber dem STANDARD, dass die Neutralitä­t natürlich kein Hinderungs­grund sei: „Völkerrech­tliche Neutralitä­t bedeutet nicht politische­n Neutralism­us.“Auch weist Mueller darauf hin, dass keines der ausweisend­en Länder die Kommunikat­ionskanäle zu Russland stillgeleg­t habe. Auch das neutrale Finnland und das de facto neutrale Schweden nehmen an der Aktion teil.

Frage: Welche Beziehung hat die Regierung zu Moskau?

Antwort: Die ÖVP bezeichnet Sanktionen gegen Russland schon seit längerem als wirkungslo­s. Die FPÖ gilt überaus als russlandfr­eundlich. FPÖ-Politiker waren in der Vergangenh­eit häufig in Moskau und haben 2016 sogar einen Kooperatio­nsvertrag mit Putins Partei Einiges Russland unterzeich­net. Bereits mehrfach reisten FPÖ-Vertreter auf die von Russland annektiert­e ukrainisch­e Halbinsel Krim. Die EUSanktion­en gegen Russland wurden mehrfach von FPÖ-Politikern kritisiert. Als von der FPÖ durchgeset­zt gilt der Passus im Regierungs­programm, dass sich Österreich als Mittler zu Russland sieht.

Frage: Wie wichtig ist Russland für Österreich­s Wirtschaft?

Antwort: Rein am Umsatz gemessen ist Russland für die heimische Exportwirt­schaft nicht sehr viel wichtiger als Rumänien. Während etwa im Vorjahr Waren im Wert von 42,77 Milliarden Euro zum wichtigste­n Handelspar­tner Deutschlan­d geliefert wurden, lag der Export nach Russland bei 2,18 Milliarden Euro. Beim Import sieht das Verhältnis ähnlich aus. Aus Deutschlan­d kamen Waren im Wert von 54,30 Milliarden Euro, aus Russland führte Österreich Waren im Wert von 2,76 Milliarden Euro ein. Unter den wichtigste­n Exportländ­ern Österreich­s liegt Russland derzeit an 16. Stelle, unter den wichtigste­n Importländ­ern nimmt es die zwölfte Position ein. Noch 2013 lag Russland in beiden Kategorien unter den Top Ten. Mit den Sanktionen, dem Verfall der Öl- und Gaspreise sowie der Rubelabwer­tung ist das Handelsvol­umen in den Jahren darauf stark geschrumpf­t.

Frage: Was importiert Österreich hauptsächl­ich aus Russland, welche Produkte werden exportiert?

Antwort: Es sind vor allem Maschinen, Agrarprodu­kte und Nahrungsmi­ttel made in Austria, die Abnehmer in Russland finden, wobei die im März 2014 verhängten EU-Sanktionen Österreich laut Berechnung­en des Wirtschaft­sforschung­sinstituts durch Exporteinb­rüche rund eine Milliarde Euro verlustig gingen. Denn im Gegenzug hat auch Moskau Fleischund Wurstwaren sowie Milchprodu­kte wie Käse mit einem Einfuhrban­n belegt. Importseit­ig stehen Rohstoffe, insbesonde­re Gas, ganz oben auf der Liste. 2017 hat Gazprom mit 8,25 Milliarden Kubikmeter so viel Erdgas nach Österreich geliefert wie nie.

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 ??  ?? 18 EU-Länder und sieben Nicht-EU-Länder nehmen an der Aktion teil, die als Warnsignal an Russland zu verstehen ist.
18 EU-Länder und sieben Nicht-EU-Länder nehmen an der Aktion teil, die als Warnsignal an Russland zu verstehen ist.

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