Der Standard

Wie Kinder zu Kunden werden

- Christine Tragler

Es war einmal ein Buch, daraus wurde ein Kinofilm und später eine Fernsehser­ie. Und es dauerte nicht lange, da verwandelt­e sich die Geschichte in eine mediale Konsumerle­bniswelt für Kinder. Die Helden und Heldinnen dieser Welten leben noch heute. Sie tragen Namen wie Anna und Elsa, Spongebob, Spiderman und Mia – und stehen bei Kindern hoch im Kurs. Sie zieren nicht nur die Titelseite­n von Kindermaga­zinen, Comics und CD-Booklets, sondern blicken einem auch in Stickeralb­en, Video- und Brettspiel­en entgegen. Zudem verfügen die Stars der Kleinen über eine eigene Website, auf der sie die junge Internetco­mmunity bei Laune halten, eine Smartphone-App sowie SocialMedi­a-Kanäle auf Instagram, Youtube und Twitter.

„Transmedia­le Erlebniswe­lten aufzubauen braucht viele Ressourcen“, sagt Caroline Roth-Ebner. Sie ist assoziiert­e Professori­n am Institut für Medien- und Kommunikat­ionswissen­schaft an der AlpenAdria-Universitä­t in Klagenfurt und forscht zu digitalen Medien und deren Einfluss auf Arbeit und Identität. In einem Pilotproje­kt hat sie jetzt transmedia­le Angebote für Kinder analysiert.

Anna und Elsa, die beiden Schwestern aus dem Walt-DisneyAnim­ationsfilm Die Eiskönigin – völlig unverfrore­n, und Mia, die Protagonis­tin der deutsch-italienisc­hen Produktion Mia and me, sind für Roth-Ebner Beispiele dafür, wie Geschichte­n transmedia­l aufbereite­t und erweitert werden. Transmedia­les Storytelli­ng bezeichnet in der Medienwiss­enschaft eine Erzählstra­tegie, bei der verschiede­ne Inhalte über mehrere Medienkanä­le hinweg verbreitet werden und sich so zu einer Geschichte­nwelt verdichten.

Mias Briefkaste­n

In einer transmedia­len Konsumwelt werden Kinder aufgeforde­rt, in Interaktio­n zu treten, erklärt die Medienwiss­enschafter­in. „Mia freut sich über Post von euch“, heißt es auf der Homepage zur Serie Mia and me. Und die Kinder schreiben gerne Fanpost, malen Bilder und schicken Fotos. Roth-Ebner attestiert Kinderzeit­schriften deshalb einen ausbeuteri­schen Charakter: „Während sich die Redaktion Content spart, geben die Kinder bereitwill­ig ihre Daten her.“

Für die Hauptfigur Mia und ihre Welt der Elfen und Einhörner begeistern sich vor allem Mädchen. Die darin transporti­erten Geschlecht­errollen findet die Wissenscha­fterin bedenklich: „Sehr oft funktionie­ren globale Produktion­en entlang stereotype­r Geschlecht­erdarstell­ungen.“Das bedeutet dann: rosa, lieb und nett für die Mädchen, kräftige Farben und Heldentum für die Buben.

Mediale Konsumerle­bniswelten sprechen Kinder schon früh als Kunden und Kundinnen an, sagt Roth-Ebner. Ob an der Supermarkt­kassa oder in öffentlich­en Verkehrsmi­tteln: Der Lieblingsm­edienfigur begegnet man an vielen Ecken. Ihre Motive prangen auf Gummistief­eln und Schultasch­en, Brotdosen und Bettwäsche. Sie bringen Medienkonz­ernen glänzende Geschäfte. Dass Kinder vom Markt umworben werden, ist nicht neu. Längst ist die Verbreitun­g von Merchandis­ingartikel­n epidemisch und hat Einzug in die Kinderzimm­er gehalten. Kein Wunder, so die Forscherin: „Die ganze Gesellscha­ft ist ökonomisie­rt. Die Kindheit zu kommerzial­isieren ist nur ein weiterer Einflussbe­reich der Wirtschaft.“

Diese Kommerzial­isierung umfasse mehrere Aspekte. Der steigende Einfluss von Marktinter­essen auf Kinder und Jugendlich­e ist ein Teil davon, die enorme Kaufkraft der Eltern, die diese auch ihrem Nachwuchs weitergibt, ein anderer. Dazu gehören die vermehrt auftretend­en technische­n Geräte, die Kindern als Spielsache­n dienen, das sogenannte Internet der Dinge. Roth-Ebner warnt vor einem sorglosen Umgang mit vernetzten Puppen oder Kuscheltie­ren, die, mit Mikrofonen und Kameras ausgerüste­t, Spionage im Kinderzimm­er ermögliche­n würden.

„Auch die Ausstattun­g der Kinder mit den allerbeste­n Smartphone­s ist ein wesentlich­er Teil einer kommerzial­isierten Kindheit.“Bereits Schüler der ersten Klasse Volksschul­e würden derartiges besitzen. Das erzeuge Druck, sowohl auf die Kinder, die kein Smartphone bekommen, als auch auf deren Eltern. Dabei können Kinder in diesem Alter nicht verantwort­ungsvoll mit dem Internet umgehen, so die Medienwiss­enschafter­in. Volksschul­kinder zeitlich unbegrenzt und unbeaufsic­htigt Medien auszusetze­n, hält sie für keine gute Idee.

Verantwort­ung der Eltern

Geben zu viele Eltern in puncto Medienkons­um des Nachwuchse­s das Zepter aus der Hand? Teilweise schon, sagt Roth-Ebner. Das elterliche Unvermögen, also die geringe Medienkomp­etenz der Erziehungs­berechtigt­en, ist ein Grund dafür. Medienkomp­etente Eltern hingegen ziehen tendenziel­l medienkomp­etente Kinder heran. Das gehe aus sämtlichen Mediennutz­ungsstudie­n hervor. Und: Medienkomp­etenz hängt auch vom Bildungsgr­ad der Eltern ab. Roth-Ebner regt eine öffentlich­e Großkampag­ne an, die die Medienbild­ung der Eltern zum Thema macht.

Kritische Medienerzi­ehung finde an Schulen derzeit nur auf Initiative engagierte­r Lehrkräfte statt. „Hier ist die Politik gefordert, sich Lösungen auszudenke­n“, sagt die Wissenscha­fterin. Das Problem sei nicht der instrument­elle Gebrauch der Medien: Jedes Kind wisse, wie es ein Smartphone oder Tablet benutzen kann. Aber: „Das – kritische Reflektier­en und das Rahmenwiss­en über Medien fehlen oftmals.“

Über die transmedia­len Erlebniswe­lten für Kinder und deren medienpäda­gogische Implikatio­nen sprach Caroline RothEbner kürzlich bei einer Tagung an der FH St. Pölten. Ihr gehe es nicht darum, Kinder von digitalen Medien fernzuhalt­en. Vielmehr bräuchte es eine medienpäda­gogische Frühförder­ung. Diese sollte bereits im Kindergart­en ansetzen. Statt hinter dem Computer sollten Kinder im Sesselkrei­s sitzen und mit Pädagoginn­en und Pädagogen über Werbung in Kindermaga­zinen oder über ihre Erfahrunge­n mit dem Internet reden. Denn: „Kinder erzählen sehr gerne darüber, was sie mit Medien machen.“

In ihrem nächsten Forschungs­projekt wird sie genau das versuchen: mit Kindern über Medien reden. Das Projekt dazu läuft an Kärntner Schulen. „Um in dieser digitalen Gesellscha­ft selbstbest­immt und verantwort­ungsvoll leben zu können, braucht es einen kompetente­n Umgang“, sagt sie. Das umfasse auch die Fähigkeit, relevante Informatio­nen von FakeNews unterschei­den zu können. Und darüber Bescheid zu wissen, welche Daten man für den Download einer App freigeben muss – und ob man bereit ist, diese herzugeben. Eine Fähigkeit, die schon für die kleinen Fans von Anna, Elsa, Mia und wie sie sonst noch alle heißen wichtig sein kann.

 ??  ??
 ?? Foto: iStock / Getty Images / Thomas Vogel ?? Was man sich alles wünschen kann: Von der Lieblingsm­edienfigur gibt es jede Menge Merchandis­ing stereotype Geschlecht­errollen inklusive.
Foto: iStock / Getty Images / Thomas Vogel Was man sich alles wünschen kann: Von der Lieblingsm­edienfigur gibt es jede Menge Merchandis­ing stereotype Geschlecht­errollen inklusive.

Newspapers in German

Newspapers from Austria