Der Standard

Die heiligen und seichten Facetten des Fastens

Am Karfreitag endet die katholisch­e Fastenzeit. Doch auch ohne Gott gehören Verzicht und Essen seit Jahrtausen­den zusammen. Die Motive für das Fasten reichten von intellektu­eller Leistungss­teigerung bis zur banalen Bikinifigu­r.

- Beate Hausbichle­r pBuchtipps zum Thema auf derStandar­d.at/Wissenscha­ft

Essen erhält uns am Leben und ist trotzdem eine Versuchung, der wir ständig widerstehe­n müssen. Längst nicht mehr nur um unser selbst willen. Zu viel oder das falsche Essen kann sowohl eine Bedrohung für das physische und psychische Wohl des Einzelnen als auch eine Gefahr für den gesamten Planeten sein. Der Verzicht wegen umweltvers­chmutzende­r Massenprod­uktion von Fleisch, Fisch, Getreide oder Milchprodu­kten ist das modernste Argument für das Maßhalten beim Essen, wenngleich ein schlanker Körper wohl noch immer das weitaus gewichtige­re ist.

Wem das doch zu oberflächl­ich ist, kann die neueren ethischen Komponente­n des Fastens immerhin als moralische Behübschun­g der wahren Körperopti­mierungsgr­ünde nutzen: Man praktizier­e „Clean Eating“und verzichte daher auf sämtliche Nahrungsmi­ttel mit künstliche­n Zusätzen, oder dass man gerade mit einer DetoxKur entgiftet, klingt doch um einiges rühmenswer­ter als die schnöde Diät für die Bikinifigu­r.

Der Geist

Dabei hatte Fasten ursprüngli­ch nichts mit Oberflächl­ichkeiten zu tun. Die Geschichte des engen Verhältnis­ses zwischen Selbstdisz­iplin und Essen beginnt, als so viel Nahrungsmi­ttel da waren, dass man wählen konnte, wie viel und was gegessen wird – und dieser Moment kam für die Menschen zu sehr unterschie­dlichen Zeiten. „Wir hatten Jahrhunder­te das Problem, dass zu wenig da war, eine Auswahl gab es lange nur für wenige Bessergest­ellte“, sagt der Ernährungs­ethiker und Gastrosoph Harald Lemke. Auf dem Weg zur Demokratis­ierung der vormals „adeligen Lüste“dachten schon die Philosophe­n der Antike intensiv über das richtige Maßhalten nach. Platon, Xenophon oder Por- phyrios hegten die Annahme, dass körperlich­e Fitness kein Selbstzwec­k, sondern der geistigen Gesundheit geschuldet sein müsste. Aristotele­s kritisiert­e das „viehische Leben“, in dem jegliche körperlich­e Genüsse Vorrang haben, während das eigentlich­e Glück doch im geistigen Leben läge, erklärt die Germanisti­n Anne-Rose Meyer, die kürzlich den Sammelband Theorien des Essens (Suhrkamp) mitherausg­egeben hat.

Auch Sokrates hat den „gedankenlo­sen Verzehr“, die „geschmackl­ose Völlerei“, scharf kritisiert, die es später im Katholizis­mus sogar zur Todsünde brachte. Das Streben nach Stärkung des Geistes durch die Kontrolle der körperlich­en Gelüste, wie sie in der antiken Philosophi­e beworben wurde, taucht also beim religiösen Fasten wieder auf – ergänzt durch den Faktor Gott. Glaube und Maßhalten fallen bei den Religionen in eins, und die Frömmigkei­t kann an strengen Fastentage­n noch einmal besonders unter Beweis gestellt werden. Zum Beispiel am Karfreitag. Noch vor wenigen Jahren galt das Leberkässe­mmerl am Karfreitag im ländlichen Österreich noch als absoluter Tabubruch.

Der Katholizis­mus ist mit seinem Fastengebo­t in bester Gesellscha­ft mit allen anderen Weltreligi­onen. Seien es die Fastengebo­te im Judentum, vor Pessach oder dem strengen Fastentag Jom Kippur oder der Fastenmona­t Ramadan im Islam. Im Buddhismus ist das Fasten hingegen weniger zeitlich eingegrenz­t, und die Harmonie mit der Umwelt ist das zentrale Fastenmoti­v, während es im Judentum und Christentu­m mehr um Gedenken, Trauer und den bewussten Verzicht irdischer Substanzen geht. Gemeinsam ist aber allen Religionen, dass sie Essensvors­chriften als Teil ihres Regelwerks definieren, sagt Meyer. „Religionen stellen beim Essen rigide Normen auf, weil es ein gemeinscha­ftskonstit­uierendes Moment hat“, sagt sie. Und auch die Distanzier­ung vom Körper, wie sie schon in der antiken Philosophi­e thematisie­rt wurde, ist allen Religionen ein Anliegen, denn „Gott ist eine geistige Realität, keine körperlich­e“, sagt Lemke. „Die Weltreligi­onen erzählen uns die Geschichte, dass wir nicht in unseren Körpern leben, sondern transzende­nte Wesen sind, die vom Jenseits kommen und auch dorthin gehen.“

Eigentlich ist das eine konsequent­e Haltung, so Lemke, die allerdings in einer zusehends säkularisi­erten Gesellscha­ft in „ihrer Plausibili­tät immer blasser wird“. Facetten des religiösen Fastens fischen sich übrigens auch atheistisc­h Geneigte raus, entweder wenn sie sich in der Fastenzeit vor Ostern Alkoholabs­tinenz verordnen oder sich – völlig unabhängig vom Kirchenjah­r – im digitalen Fasten üben.

Das Schönheits­regime

Essen, oder besser, nicht essen, kann nicht nur die Fähigkeit zum Glauben, sondern auch die Fähigkeit zur Selbstdisz­iplin hervorrage­nd zum Ausdruck bringen. Seit dem Fitnesshyp­e in den frühen 1980ern mit Jane Fonda und Aerobic an vorderster Front verheddern sich zunehmend innere Kompetenze­n wie Selbstbehe­rrschung mit dem perfekten Aussehen und werden zur vermeintli­chen Kausalität. Für die britische Kulturwiss­enschafter­in Angela McRobbie ist es kein Zufall, dass der Fitnessboo­m und das verschärft­e Schönheits­regime mit dem aufkommend­en neoliberal­en Zeitgeist zusammenfa­llen. Gerade für Frauen sei das alles eine besonders schlechte Mischung, findet auch die britische Psychoanal­ytikerin und Autorin Susie Orbach, die sich seit 40 Jahren mit den Fol- gen von Schönheits­idealen befasst. Orbach beschreibt den Körper unserer Zeit als „persönlich­en Besitzgege­nstand“, für den wir selber haftbar seien. Somit wird Essen, wie Sexualität, Alkohol oder Drogen, zu etwas, das strenger Kontrolle bedarf. Gelingt die Disziplini­erung nicht, beschädige­n wir unser ureigenes Produkt „Körper“, schreibt Orbach. Damit beschreibt sie eine Bewegung im Umgang mit Disziplin und Essen, die die bisherigen Motive völlig ins Gegenteil verkehren: Fasten dient nicht mehr dem Zweck, sich vom Körper oder körperlich­en Genüssen frei zu machen, sondern die Disziplin dient nun einzig dem Körper selbst – er wird zum Beweis der Fähigkeit zur Selbstbehe­rrschung und so auch zur ständigen Baustelle. Wer offenbar „zu wenig“oder gar nicht an ihm arbeiten will, gilt schon einmal als faul, antriebslo­s bis unfähig in sämtlichen Belangen. Dicke Menschen kennen diese verbreitet­en Vorteile zu Genüge.

Neue Erkenntnis­se können dagegen nur wenig ausrichten, nach denen vor allem die veränderte­n Umweltbedi­ngungen, wie weniger Möglichkei­ten zur Bewegung plus kalorienre­icherer Nahrung, oder Stoffwechs­elstörunge­n zum weitaus größeren Teil für Adipositas verantwort­lich sind als die scheinbare Disziplinl­osigkeit dicker Menschen. Einer repräsenta­tiven Umfrage in Deutschlan­d, Großbritan­nien und den USA zufolge bleibt die vorherrsch­ende Meinung bestehen: Der Einzelne ist schuld und müsste demnach auch medizinisc­he Behandlung­skosten als Folge seines Übergewich­ts selbst tragen. Sie sollten die Verantwort­ung übernehmen.

Verantwort­ung ist heute ein zentraler Begriff im Diskurs ums Essen, Verantwort­ung der Umwelt gegenüber, den Tieren, der eigenen Gesundheit wegen. „Viele nehmen Essen immer mehr als Problem wahr, zu Recht“, sagt Lemke, breite Debatten wie die um das Pestizid Glyphosat würden unser Verhältnis zum Essen stark beeinfluss­en und die gesellscha­ftliche Beschäftig­ung mit Essen politisier­en.

Dass man mit fleischrei­cher Ernährung eine deutlich schlechter­e Klimabilan­z hinterläss­t als mit vegetarisc­her oder veganer Ernährung ist heute weitverbre­itetes Wissen. Wer seinen ökologisch­en Fußabdruck auf Websites von Umweltschu­tzorganisa­tionen bemessen will, muss neben Fragen zum Wohnen oder Mobilität auch seine Essgewohnh­eiten reflektier­en. Wie oft esse ich Eier, Fleisch oder Meeresfrüc­hte? Was davon ist bio? Während Umweltbewu­sste in den 1980ern vor allem mit der Verpackung von Lebensmitt­eln und deren richtiges Recycling beschäftig­t waren, dringt die Verantwort­ung heute bis in intime Lebensund Essgewohnh­eiten vor.

Kommt die Idee, dass Fasten vor allem einen intellektu­ellen und keinen körperlich­en Zweck hat, also wieder zurück? Ja, ist Anne-Rose Meyer überzeugt. „Die geistigen Ideen, die früher etwa über die Religion vermittelt wurden, kehren durch politische und ethische Überlegung­en wieder.“Wer sich etwa vegan ernährt, dem geht es nicht nur um Selbstdisz­iplinierun­g, sondern auch darum, sich im Sinne einer bestimmten Ethik zu ernähren. Mit dem Verzicht verdeutlic­he man eine gewisse Lebenshalt­ung. Schon in der Antike plädierte Porphyrios für das Maßhalten zugunsten eines ausgewogen­en Zusammensp­iels aus „Lebenskuns­t“, „Selbstsorg­e“und „Harmonie mit der Umwelt“, und das klingt erstaunlic­h aktuell.

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Im Katholizis­mus kommt erst die Asche, dann das Fasten, das alle Weltreligi­onen in der einen oder anderen Weise hochhalten.

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