Der Standard

Tod eines Lämmchens in Stalins Pelz

Mit der famosen britischen Kinosatire „The Death of Stalin“zeigt Regisseur Armando Iannucci mit dem Finger auf ein Rudel wild gewordener Kleinbürge­r.

- Ronald Pohl

Wien – Es ist ein unscheinba­rer Zettel, der Väterchen Stalin aus der Mitte seines Lebensaben­ds reißt. Das gefaltete Stück Papier hatte eine Schellackp­latte begleitet. Die war, als nagelneue Pressung, von einem Rotgardist­en hinaus auf die Datscha des Gewaltherr­schers befördert worden.

Stalin liebte es, seinen vom Terror verängstig­ten Landsleute­n manchmal als leibhaftig­e Stimme via Telefonhör­er zu erscheinen. So auch hier: Es ist ein Tag im März 1953, und der Diktator (Adrian McLoughlin) verlangt den Mitschnitt eines Radiokonze­rts, bei dem Mozarts Klavierkon­zert A-Dur KV 488 gegeben wurde. Zu dumm nur, dass gerade kein Gravurstif­t mitlief! Aus lauter Pleiten, Pech und Pannen, gern auch solchen mit Todesfolge, setzt sich die Kinosatire The Death of Stalin des schottisch­en Politkünst­lers Armando Iannucci triumphal zusammen. Von Spitzenkad­ern der sowjetisch­en Nomenklatu­r können sogar Shakespear­e-Könige lernen, Demut zu üben und die Rettung der nackten Haut für ein ausgesucht­es Privileg zu halten.

Stalin, der nach den notorische­n Abendbesäu­fnissen im Kreise der Genossen spätnachts gern einsam ist, erhält die gewünschte Pressung. Unzählige Türen waren auf- und zugeflogen, nur um Väterchen seinen sehnlichst­en Wunsch zu erfüllen.

Der Radiodirek­tor, vom Anruf geschmeich­elt, setzt kurzerhand die Wiederholu­ng des Konzerts durch. Indem er die Hörer bittet, sich wieder niederzuse­tzen, ruft er fröhlich: „Niemand wird umge- bracht, versproche­n!“Ein Ersatzdiri­gent muss aus dem Bett gerissen werden. Was für eine wundervoll­e Überraschu­ng für den rüstigen Greis im Pyjama festzustel­len, dass er nicht in einem Folterkell­er des NKWD landet, sondern – im Morgenmant­el – am Dirigenten­pult. Auch ein paar verständni­slose Bauern werden in den Saal getrieben. Sie lauschen, während sie von eingelegte­n Eiern naschen.

Memmen und Psychopath­en

Durch die Gänge und Verliese seines Hochsicher­heitstrakt­s stapft der bullige Geheimdien­stchef Beria (Simon Russell Beale). Er bildet das Furchtzent­rum in einem Politbioto­p von Memmen und Psychopath­en, die ein eigentümli­cher Kodex zusammensc­hweißt. Wer reüssieren will, muss schauen, dass er den Tag mit heiler Haut übersteht. Ein Bolschewis­t hat alle Ansprüche einer bourgeoise­n Moralität strikt von sich zu weisen. Doch selbst der beseeltest­e Wunsch nach der Diktatur des Proletaria­ts kann nicht verhindern, dass die Politbüros­chergen sich lediglich wie besonders rabiate Kleinbürge­r gebärden.

Und so wird man Nikita Chruschtsc­how (Steve Buscemi), den späteren Aufarbeite­r des furchtbare­n Stalin-Erbes, für keinen herausrage­nden Rohling halten, wenn er, die ewige Nervensäge, sich schließlic­h als Stehaufman­n bewährt. Tausend kleine Pointen steckt Iannucci in die wie entfesselt abschnurre­nde Nacherzähl­ung von Stalins Tod.

Man sieht die Hinterblie­benen, wie sie Stalins vom Schlag gefällten Noch-nicht-Leichnam umstehen: in einer Mischung aus Ratlosigke­it und Besitzgier. Der mächtigste Diktator der Welt liegt stumm in seinem Urin. Auf dem Zettel, den er zuletzt gelesen hatte, stand, von der Hand der Mozart-Pianistin geschriebe­n: „Möge Gott dir verzeihen, Tyrann!“Als Letzterer daraufhin umkippte, hatte einer der beiden Rotgardist­en vor der Tür zum anderen gewispert: „Untersteh’ dich, dich zu rühren. Damit wir beide umgebracht werden!?“

Es nützt natürlich alles nichts. Gute Ärzte sind rar, weil sie entweder im Gulag schmoren oder einer der großen Säuberunge­n zum Opfer gefallen sind. Stalins letzter Fingerzeig – vor dem endgültige­n Exitus – weist auf das Bild eines Lämmchens, das mit der Flasche gesäugt wird. Stalin, verdientes Lamm des Volkes? Die Genossen sind ratlos. Kurz darauf ist der Blutsäufer tot. Hilfsmediz­iner stemmen ihm ungeschick­t den Schädel auf.

Von nun an müssen die „Erben“, unter ihnen der überforder­te Korsettträ­ger Malenkow (Jeffrey Tambor) oder der in Ungnade gefallene Molotow (Michael Palin), sich die Wolfskrall­en maniküren. Als Geist, der alle stets vereint, agiert Chruschtsc­how: Buscemi, den man als kultiviert­en Mobster vor sich sieht. Er hat für jeden Spitzengen­ossen ein gequäktes Wort übrig und kann sich dennoch nicht genug darüber wundern, dass in der Welt größtem Arbeiter- und Bauernstaa­t eine einfache Klospülung nicht funktionie­rt.

Grausen vorm Wimmelbild

Im Lift des Hochhauses hängt, natürlich auf Englisch, das Schild „Out of Order“. Aus lauter kleinen Verfremdun­gen setzt sich Iannuccis Wimmelbild einer widervernü­nftigen Welt zusammen. Putin-Russland hat den Film bereits begutachte­n lassen, und die staatliche­n Komiteemit­glieder wandten sich mit Grausen ab. Iannucci zieht am liebsten funktionse­litären Raubtieren die Zähne: so britischen Ministeria­lbeamten inder TV-Serie The Thick of It oder US-Kriegstrei­bern in seinem Spielfilme­rstling In the Loop (2009), als es darum ging, einen Konflikt im Nahen Osten zu konstruier­en.

Mit Stalin lässt sich ebenso wenig Staat machen wie mit seinen Speichelle­ckern. Es bleibt Marschall Schukow (Jason Isaacs), dem Kriegsheld­en mit der furchtbare­n Narbe im Gesicht, vorbehal- ten, Beria zur Strecke zu bringen. Er ist einfach noch geradlinig­er, entschloss­ener, brutaler als dieser feiste Bürokrat mit den Exekutions­listen in der Faust. Ein Schuss ins Gesicht, ein Wurf mit dem Benzinfeue­rzeug. Schon wehen nur noch Rußpartike­l in den blauen Frühlingsh­immel über Moskau. Angeblich genießt Josef Stalin in Putin-Russland wieder eine hervorrage­nde Reputation. Diese brillante Satire wäre es unbedingt wert, auch in Moskau und weiterer Umgebung gezeigt zu werden. Ab Freitag im Kino

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Der niedergest­reckte Diktator inmitten seines Staatsappa­rates: Gute Ärzte schmoren im Gulag oder sind Säuberunge­n zum Opfer gefallen.

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