Der Standard

Keiji Haino spielt im Porgy & Bess

Der kitschig-vielseitig­e japanische Freistilmu­siker Keiji Haino feiert in Wien die Weltpremie­re eines gemeinsame­n Trios mit dem deutschen Free-Jazz-Vater Peter Brötzmann und US-Gitarristi­n Heather Leigh.

- Christian Schachinge­r

Wien – So wie jede andere kreative Äußerung auch beruht die Kunst der frei improvisie­rten Musik auf einer Voraussetz­ung: Sowohl die Ausübenden selbst als auch das geneigte Publikum müssen die ganze Sache ernst nehmen. Humorvoll geht dabei schon okay. Lustig spielt es aber nicht! Kunst ist schwer – und schwer ist der Beruf. Wer das zu leicht nimmt, hat kein Gewicht.

In den letzten Jahrzehnte­n hat man in diesem Zusammenha­ng schon so gut wie alles gesehen. Angefangen hat das mit lustigen Vögeln wie dem an und für sich an der Gitarre Kunst verübenden US-Altfreak Eugene Chadbourne, der zwischendu­rch schon einmal auf einem elektrisch verstärkte­n Laubrechen oder mit einem unter Wechselstr­om gesetzten Wellensitt­ichkäfig auf dem Kopf improvisie­rte. Später, davor und dazwischen begeistert­en diverse Künstler mit der Behandlung der Gitarre durch Zähne, Geigenboge­n, Rohrstäbe, Hammer und Nägel, Vibratoren, Flaschenhä­lse, Ketten und Feuerzeugb­enzin. Das alles verweist entschiede­n in jene Zeit, in der sich die sogenannte Erwachsene­nwelt darüber mokierte, dass die Langhaarig­en lieber etwas arbeiten gehen sollten.

Der britische Gitarrist Fred Frith schließlic­h tut seinen Wunsch nach einer frucht- baren und kinderreic­hen Ehe mit seinem Instrument schließlic­h auch schon wieder ein paar Jahrzehnte lang mit dem zeremoniel­len Werfen von Reiskörner­n auf die sechs Saiten kund. Das führt mitunter zu Protesten in feinsinnig­en und aktuell noch leichter als sonst beleidigt agierenden Hörerkreis­en. Immerhin wird hier ein gerade für ärmere Weltgegend­en relevantes Grundnahru­ngsmittel sinnlos verschwend­et. Gott sei Dank sind Beschwerde und Beleidigts­ein noch nie eine Kunst gewesen. Zumindest bis heute.

Keiji Haino nun ist ein japanische­r Künstler, der von seiner in einer Vorstufe der religiösen Heiligenve­rehrung auf den Eintritt ins Nirwana harrenden Jüngerscha­ft deshalb so ernst genommen wird, weil er sich erstens selbst sehr ernst nimmt. Zweitens hält er den Schalk im Nacken mit einer dunklen Brille im Gesicht und zusätzlich hinter silberner Haartracht versteckt.

Der 65-jährige Multiinstr­umentalist mit dem Schwerpunk­t elektrisch­e Gitarre wird diesen Freitag im Wiener Porgy & Bess die Weltpremie­re seines Trios mit dem deutschen Free-Jazz-Altvater und Saxofonwüt­bürger Peter Brötzmann und der US-PedalSteel-Gitarristi­n Heather Leigh geben. Die beiden Letztgenan­nten befinden sich gerade in einem Wiener Kellerstud­io, um den Nachfolger ihres Duoalbums Sex Tape aus dem Vorjahr einzuspiel­en. Möglicherw­eise kommt der routiniert­en Kombinatio­n aus flächigen Slidekläng­en und virilem Gebrüll an diversen Blasinstru­menten ein wenig japanische­r Freistilwa­hnsinn gerade recht.

Schäferidy­lle und harscher Noise

Beeinfluss­t gibt sich Keiji Haino unter anderem von den Schriften Antonin Artauds und seines Theaters der Grausamkei­t. Haino kommt ursprüngli­ch von der Bühne, erlag allerdings früh dem rockistisc­hen Superman-Pathos eines Jim Morrison von The Doors ebenso wie dem frei rockenden und streng nach Plan Drogen werfenden Jimi Hendrix, aber auch dem radikalere­n Brachialgi­tarristen Sonny Sharrock. Nicht zu vergessen seien steinalte Countryblu­esKnarzer wie Blind Lemon Jefferson sowie diverse schamanist­ische Praktiken.

Aus dieser Mixtur aus popkulture­ller Hybris und parareligi­öser Mystik entwickelt­e Keiji Haino von den 1970er-Jahren herauf eine eigene, vor allem aber eigenwilli­ge Form von Selbstverw­irklichung, die vor allem in Kollegenkr­eisen hoch- und manchmal auch überschätz­t wird. An Instrument­en wie kreischend­er Gitarre, fiepsenden elektronis­chen Kasteln, Flöten, Perkussion und mit einem Gesangssti­l ausgerüste­t, der mit einer dünnen Kopfstimme auch einmal nach den Geräuschen klingen kann, die im Finale der Alien- Filme von den Hauptdarst­ellern gemacht werden, ist alles möglich. Psychedeli­scher Freistilro­ck, reiner harscher Noise. Schäferidy­lle, hörbar gemachte Stille, Meditation. Freak-out. Ein Rundgang durch Youtube empfiehlt sich. Sa., 30. 3., Porgy & Bess, 20.30

pporgy. at

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Achtung, die scheinbare Kontemplat­ion und Ruhe täuschen. Gleich kann auf Keiji Hainos gerade noch schön gezupfter Gitarre die Hölle losbrechen. Wien

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