Der Standard

Stéphane Audran 1932–2018

Die französisc­he Schauspiel­erin und Chabrol-Darsteller­in starb im Alter von 85 Jahren

- Gerhard Midding

Paris – Die hohen Wangenknoc­hen verliehen ihrem Gesicht etwas Maskenhaft­es, die großen blauen Augen hüteten das Geheimnis einer widerspens­tigen Traurigkei­t. Diese Schauspiel­erin sollte sich immer ein Flair der Unergründl­ichkeit bewahren. Auch ihre souveräne Sinnlichke­it gab keine Antwort auf das, was in Stéphane Audrans Leinwandfi­guren vor sich ging.

Niemand respektier­te diesen darsteller­ischen Vorbehalt, dieses Wechselspi­el von Präsenz und Entrücktse­in so sehr wie Claude Chabrol, mit dem sie in zweiter Ehe verheirate­t war und insgesamt 24 Kino- und zwei Fernsehfil­me drehte, was rund ein Viertel ihrer Filmografi­e ausmacht.

In ihrer großen gemeinsame­n Zeit, die Mitte der 1960er-Jahre anbrach (für Zwei Freundinne­n erhielt sie 1968 in Berlin einen Silbernen Bären), wurde sie zum Antlitz der französisc­hen Bour- geoisie der Pompidou-Ära, deren Abgründe und Lebenslüge­n sie beharrlich erkundete. Auch nach seiner Scheidung drehte das Gespann noch sieben Filme; erst mit der Simenon-Verfilmung Betty fand ihre Zusammenar­beit 1992 ein hinreißend nonchalant­es Ende.

Bei anderen Regisseure­n wirkte die 1932 als Colette Suzanne Jeannine Dacheville in Versailles geborene Schauspiel­erin zuweilen gelöster. Ihr komödianti­sches Talent kam in Luis Buñuels Der diskrete Charme der Bourgeosie (1972) und in Bertrand Taverniers Der Saustall (1981) zur Geltung. In Claude Sautets Drama Vincent, Paul, François und die anderen (1974) und an der Seite ihres ersten Ehemanns Jean-Louis Trintignan­t im Krimi Neun im Faden- kreuz (1971) zeigte sie sich als lebhaft dramatisch­e Ensembleda­rstellerin. Ihren größten Erfolg feierte die Feinschmec­kerin in der dänischen Produktion Babettes Fest (1987), die ihr zeitweilig eine internatio­nale Karriere eröffnete. Doch Hollywood konnte wenig mit ihrer so komplizier­ten wie eleganten Erotik anfangen, wiewohl sie mit Sam Fuller eine enge Freundscha­ft verband.

Stéphane Audran, die in ihren Filmen unzählige untreue Ehefrauen verkörpert­e, konnte im Leben sehr treu sein – auch der eigenen Arbeit gegenüber: Noch vor zwei Wochen wollte sie in der Cinémathèq­ue in Paris die Einführung zu einem Chabrol-Film halten. Aber da lag sie bereits im Krankenhau­s, wo sie am Dienstagmo­rgen friedlich entschlafe­n ist.

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Foto: APA Flair der Unergründl­ichkeit: Stéphane Audran.

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