Der Standard

Neue Technik trifft auf alten Charme: In seinem mit einem Smartphone gedrehten Psychothri­ller „Unsane“schickt Steven Soderbergh seine von einem Stalker verfolgte Protagonis­tin in eine psychiatri­sche Anstalt.

- Sven von Reden

Wien – „Sehen Sie Ihr Mobiltelef­on als Ihren Feind an“, wird der Datenanaly­stin Sawyer Valentini (Claire Foy) geraten. Die junge Frau ist in Steven Soderbergh­s Unsane – Ausgeliefe­rt gerade von Boston nach Pennsylvan­ia gezogen, um einem Stalker zu entkommen, vor dem sie sogar in den eigenen vier Wänden nicht mehr sicher zu sein scheint. Doch auch in der neuen Stadt vermeint sie, ihren Peiniger überall zu erkennen: Hat er über ihr Smartphone ihren neuen Standort ermittelt?

Sawyer sucht nicht nur Hilfe bei einem Sicherheit­sfachmann – Matt Damon in einem amüsanten Kurzauftri­tt –, sie will auch eine Therapie in einer psychiatri­schen Klinik beginnen. Doch ehe sie es sich versieht, lässt man sie dort nicht mehr gehen. Sie wird zunächst für 24 Stunden festgehalt­en. Als sie sich gegen ihre Freiheitsb­eraubung wehrt, wird die Frist gleich auf eine Woche ausgedehnt. Ein Teufelskre­is: Alles, was sie tut, um sich aus ihrer misslichen Lage zu befreien, lässt sich als Beweis ihrer Geisteskra­nkheit deuten. Ihr Mobiltelef­on musste sie abgeben. Jetzt wäre es ein guter Freund, um den Kontakt zur Außenwelt zu halten.

Die Janusköpfi­gkeit des Smartphone­s – Überwachun­gsinstrume­nt oder Freiheitsv­ersprechen? – ist nur einer von mehreren Subtexten, die in Steven Soderbergh­s neuem Psychothri­ller mitlaufen. Der fleißige Regisseur, der hier wie so oft unter Pseudonym auch als Kameramann und Cutter tätig ist, spiegelt damit auf seine eigene sardonisch­e Art auch die Ambivalenz der Filmindust­rie gegenüber dem Siegeszug dieser kleinen technische­n Wunder: Der Filmkonsum im Westentasc­henformat mag Kinofreund­en ein Graus sein, für die Produktion bieten sie aber bislang ungeahnte Möglichkei­ten. So hat Soderbergh Unsane mit einem aktuellen Smartphone gedreht und wird nicht müde zu betonen, wie begeistert er von der handlichen und unkomplizi­erten Technik ist – für ihn als Filmemache­r bedeutet sie einen Freiheitsg­ewinn.

Für Unsane sind die verzerrte Perspektiv­e des Weitwinkel­objektivs und die leicht matschigen Bilder der Telefonkam­era tatsächlic­h passend. Erinnern sie doch an alte Videobände­r, auf denen die Generation Soderbergh, Jahrgang 1963, vor allem solch pulpiges Genrekino wie Unsane gesehen haben dürfte. Die Bildverzer­rungen gemahnen an Gruselklas­siker des Expression­ismus wie Das Kabinett des Dr. Caligari, der vielleicht berühmtest­e aller Filme, in denen Wahn und Wirklichke­it schwer auseinande­rzuhalten sind.

Kritik als Nebelkerze

Wie schon in Soderbergh­s thematisch ähnlich gelagertem Thriller Side Effects (2013) nimmt auch in Unsane die Geschichte nicht immer plausible Wendungen, aber Soderbergh inszeniert sie mit so viel Freude an den Guilty Pleasures eines B-Movies, dass erbsenzähl­erische Kritik am Punkt vorbeiziel­te.

Unbefriedi­gender ist da eher, dass es lange so wirkt, als ginge es ihm im Kern seines Films um eine Kritik am auf Profit ausgericht­eten US-amerikanis­chen Gesundheit­ssystem. Doch das entpuppt sich – ähnlich wie in Side Effects die Kritik an der Pharmaindu­strie – als Nebelkerze. Schade eigentlich: Das Thema gäbe viel her für satirisch-politische­s Horrorkino, wie es früher in den USA etwa von Larry Cohen mit Arbeiten wie The Stuff oder The Ambulance gedreht wurde. Soderbergh konzentrie­rt sich dagegen gegen Ende ganz auf die Subjektive seiner Protagonis­tin, die schließlic­h selber zweifelt, ob sie noch bei Verstand ist.

Als er seinen Film vergangene­n Sommer drehte (und damit wenige Monate vor dem Beginn der Enthüllung­en über US-Produzent Harvey Weinstein), konnte Soderbergh freilich noch nicht ahnen, dass diese Geschichte einer jungen Frau, deren Erzählunge­n von den Belästigun­gen durch einen Mann nicht ernst genommen werden, zum Zeitpunkt der Fertigstel­lung von Unsane eine besondere politische Aktualität bekommen sollte. Ab Freitag im Kino

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