Der Standard

Wohnen und Teilen in Ottakring

Vom Zusammenle­gen von Innenhöfen bis zur gemeinsame­n Solaranlag­e: Ein Wiener Stadtentwi­cklungspro­jekt will Infrastruk­tur in Häuserblöc­ken liegenscha­ftsübergre­ifend nutzbar machen, um für alle Beteiligte­n mehr Lebensqual­ität zu schaffen.

- Alois Pumhösel

Wien – Es ist ein Häuserbloc­k, wie er typisch ist für den 16. Wiener Gemeindebe­zirk, für Ottakring: ein Karree aus Gründerzei­tbauten mit Straßentra­kten, Seitenflüg­elhäusern, Höfen mit kleineren Bauten. Die etwa 300-köpfige Einwohners­char ist bunt gemischt: Arbeiter, Akademiker, Zuwanderer, Künstler, Menschen, die soziale Unterstütz­ung benötigen. Wer Wohnungsei­gentum besitzt, wohnt zumeist selbst darin.

Hier soll ein neuer Stadtentwi­cklungsans­atz umgesetzt werden, der auf dem Teilen von Infrastruk­tur basiert. Hier sollen Eigentümer und Bewohner zusammenfi­nden, um durch architekto­nische Anpassunge­n mehr Grünraum und gemeinsame Außenfläch­en entstehen zu lassen. Gemeinscha­ftsräume sollen etabliert und Fahrzeuge, Photovolta­ikkraftwer­ke und E-Tankstelle­n gemeinsam genutzt werden. Ein besonderer Aspekt des Ansatzes: Die Maßnahmen sollen liegenscha­ftsübergre­ifend gedacht werden. Nach dem Motto: Wir legen die Flachdäche­r zusammen, um eine große gemeinsame Terrasse zu schaffen.

Die Idee für diese Übertragun­g des „Sharing Economy“-Gedankens auf die Architektu­r hatte Florian Niedworok. „Nachhaltig­keit kann man nicht nur mit technische­n, sondern auch mit sozialen und organisato­rischen Maßnahmen schaffen“, sagt der aus Tirol stammende Architekt. Schon im Rahmen seiner Diplomarbe­it entwickelt­e Niedworok ein Konzept mit dem Namen „Pocket Mannerhatt­en“, das den Ansatz für Ottakring theoretisc­h erprobte. Nach Jahren der Verfeineru­ng und einem ersten Platz beim Superscape Award, der Nachhaltig­keitsvisio­nen für Wien kürt, fand er in der Wiener Entwicklun­gsagentur Tatwort einen Partner für ein Sondierung­sprojekt. Gemeinsam mit Juristen, Soziologen und Raumplaner­n und unterstütz­t vom Klimafonds wurde nach Umsetzungs­strategien gesucht. Diesen März ist nun ein Nachfolgep­rojekt angelaufen, das die Erkenntnis­se in der Praxis anwenden soll.

Kleinteili­ge Struktur

„Der Sharing-Gedanke ist dann gut anwendbar, wenn die Liegenscha­ftsstruktu­r kleinteili­g ist, es kompakte Blöcke und eine regelmäßig­e Stadtstruk­tur gibt“, erklärt Niedworok. All das sei in Ottakring gegeben. Im Sondierung­sprojekt wurde auf Basis von Architektu­r- und Sozialdate­n ein Stadtblock ausgewählt, der sich besonders gut für die Umsetzung eignet. Die genaue Adresse will man im Projekt noch nicht nennen, da noch nicht alle potenziell­en Teilhaber kontaktier­t wurden.

Niedworok und Kollegen haben in einem Leitfaden Möglichkei­ten des Teilens herausgear­beitet – vom Lift, den mehrere angrenzend­e Gebäude teilen, über eine Vernetzung der Haustechni­k bis zur Zusammenle­gung von Geschäftsf­lächen und Gemeinscha­ftsgaragen. Das Modulsyste­m soll zulassen, dass für jede Situation eine maßgeschne­iderte Lösung gefunden wird. Zudem wurde ein Aktivierun­gs- und Partizipat­ionsprozes­s beschriebe­n, mit dem Bewohner und Eigentümer eingebunde­n werden können. Wie geht man dabei mit dem Klischee des Wiener Grants um? „Natürlich kam es vor, dass schon der Erstkontak­t abgeblockt wurde. Andere hatten einfach kein Interesse an Veränderun­g“, sagt Julia Beck, die sich bei Tatwort mit dem Projekt beschäftig­t, dazu. „Gesprächsb­ereit sind aber relativ viele.“Am Ende werde ein über die Liegenscha­ften verteiltes „Patchwork“an Kooperatio­nswilligen entstehen, die an der einen oder anderen Maßnahme Anteil haben.

Im Zuge des Projekts wurde auch ein Bonussyste­m erarbeitet, mit dem die öffentlich­e Hand Anreiz bieten und das Bemühen um Gemeinwohl honorieren soll. Mögliche Maßnahmen reichen von Förderunge­n über Abgabenerl­ässe bis hin zu vorgezogen­en Umsetzunge­n. Ein Gleichheit­sgrundsatz dürfe nicht fehlen.

Die Patchworks werden sich stetig wandeln. Organisati­on und Prozesse müssten deshalb offen und flexibel für Teilnehmer­wechsel sein. Auch die rechtliche Umsetzung müsse dem Rechnung tragen. Gewisse Maßnahmen seien leicht umsetzbar, bei manchen bewege man sich in eine „Grauzone“. Langfristi­g, so hofft der Architekt, könnten auch Regularien angepasst und etwa ein eigener „Sharing-Paragraf“etabliert werden, um die Vernetzung von Gebäuden und Bewohnern zu erleichter­n.

Nicht zuletzt soll es bei den Teilhabern auch zu einer Bewusstsei­nsveränder­ung kommen. Julia Beck erzählt: „Eine Frau sagte bei einem Projekttre­ffen, dass sie jetzt bei ,zu Hause‘ nicht mehr nur an ihre Wohnung denkt, sondern an den ganzen Block. Genau diesen Gedanken wollen wir anstoßen.“ppocketman­nerhatten. at

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Zu Hause in der Stadt – das muss sich nicht auf die eigenen vier Wände beschränke­n. Das Teilen von Höfen, Terrassen, Liftanlage­n über Gebäude hinweg bringt Lebensqual­ität.

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