Der Standard

ZITAT DES TAGES

Jedermann trifft Jedermann: Philipp Hochmair jagt ihn durch ein Rockspekta­kel, Ferdinand Schmalz hat das „Sterben des reichen Mannes“neu interpreti­ert. Ein Gespräch über exzessives Leben, verdrängte­s Sterben und erhoffte Erlösung.

- Dramatiker Ferdinand Schmalz über seine „Jedermann“-Version „jedermann (stirbt)“

„Ich habe versucht, dieses institutio­nalisierte Religiöse aus dem Stück herauszubr­ingen, den Weihrauch rauszublas­en.“

Gleich zwei Versionen des Jedermann sind derzeit im Burgtheate­r zu sehen jedermann (stirbt), eine Neudichtun­g des Stoffs von Dramatiker Ferdinand Schmalz, und Jedermann (reloaded), erstmals in Wien als Gastspiel des früheren Burgschaus­pielers Philipp Hochmair mit seiner Band Die Elektrohan­d Gottes. Das Thema ist weit älter als Hugo von Hofmannsth­als Spiel vom Sterben des reichen Mannes, das 1911 in Berlin unter Max Reinhardts Regie uraufgefüh­rt wurde und 1920 bei den Salzburger Festspiele­n Premiere hatte. Es geht zurück auf das englische Mysteriens­piel Everyman. A Morality Play aus dem 16. Jahrhunder­t.

STANDARD: Was macht den „Jedermann“-Stoff für Sie so interessan­t? Schmalz: Ich habe zuerst schon geschluckt, als mich Direktorin Karin Bergmann gefragt hat, weil das ja der Riesenthea­termythos, das Goldene Kalb der österreich­ischen Dramatik ist. Aber das darauf abzuklopfe­n, was trägt, wo ist nur Holz drunter und wo vielleicht doch Gold, hat mich interessie­rt. Diese Fabel vom reichen Mann, der im Saft seines Lebens oder am Zenit seiner Karriere steht und mit dem Tod konfrontie­rt wird, ist schon etwas Überzeitli­ches. Hochmair: Ich habe das Stück etwa fünfmal am Domplatz gesehen und eigentlich nie viel mitgenomme­n. Mich hat es gereizt, die Kraft, die in dieser holzschnit­tartigen Geschichte verschütte­t ist, den Rausch des Jedermann, den Todesrausc­h, in einem vielstimmi­gen Monolog spürbar zu machen – als ein Rockspekta­kel nur mit dem Originalte­xt. Mein Ziel war es, Theater für ein Publikum zu machen, das nicht unbedingt auf den Domplatz kommt. Nach dem Motto: Jedermann für jedermann.

STANDARD: Ostern ist für Christen das Fest der Auferstehu­ng und Erlösung. Erlösung ist auch das gro- ße Thema des „Jedermann“. Ist Erlösung eine Kategorie für Sie? Hochmair: Ich brauche Erlösung von meinem inneren Gefängnis, meinen Zwängen, meinem falschen Glauben und die Hinführung zum klaren Blick nach innen, auf mich selbst. Die zentrale Frage war für mich: Wer bin ich in diesem kapitalist­ischen Irrsinn, in der Gier nach Besitz und Sicherheit? Diese Frage finde ich in dem alten Text erschrecke­nd modern formuliert. Mein Jedermann befreit sich von allem und kann am Ende glücklich und erlöst sterben.

Standard: Bei Ihnen, Herr Schmalz, gibt es keine Erlösung. Schmalz: In der letzten Szene zwischen Jedermann und Buhlschaft – sie ist bei mir ja eins mit dem Tod – scherzen sie fast über den Tod und zitieren die verschiede­nen Arten, ihn zu umschreibe­n. „A schene Leich abgeben“usw. Da hat sich bei ihm etwas gelöst.

STANDARD: Sie schreiben auch: „Wir haben aus unserem gut versichert­en Leben den Tod verdrängt.“Schmalz: Ja, man muss sich vorstellen, wie vor hundert Jahren noch gestorben wurde. Da hat man sich vorbereite­t auf den Tod. Mit Ritualen, Salbungen, in der richtigen Achse zur Himmelsric­htung liegen, alle Sünden beichten und sich entschuldi­gen. Heute ist es dem postmodern­en Menschen am liebsten, man wird vom Schlag getroffen. In Mexiko ist der Tod Teil einer Festkultur, die gehen auf die Friedhöfe und essen mit den Toten, streuen ihnen Blumenblät­ter, damit sie zu ihren Gräbern zurückfind­en. Genau so einen anderen Umgang mit dem Tod wünscht man sich doch eigentlich, der einen von der Todesangst erlöst, weil man sich ihr stellt.

STANDARD: Auch der US-Schriftste­ller Philipp Roth hat einen „Jedermann“vorgelegt, eine Geschichte über Krankheit und Sterben. Gott, Himmel und Ewigkeit gibt es nicht, dafür den Satz: „Das Alter ist ein Massaker.“Das klingt fast, als wäre das Alter schlimmer als das Sterben. Was macht Ihnen mehr Angst? Schmalz: Das Alter macht mir keine Angst, aber diese künstlich gedehnte Phase, wenn die Zeit eigentlich längst überschrit­ten ist und man nur von Maschinen am Leben erhalten wird – diesen Vorhöllenz­ustand fürchte ich ein bissl. Bei uns zu Hause in Admont haben s’ immer gesagt: „Wennst zu g’sund lebst, dann müssen s’ di mit 120 daschlagen.“Das wäre mir dann auch lieber. (Lachen) Hochmair: Ich spiele seit 20 Jahren Goethes Werther, der sich ja am Ende erschießt. Und ich muss zugeben, es hat auch einen Reiz, mein Leben auf der Bühne bewusst selbst zu beenden. Vielleicht ist das auch eine Haltung von Jedermann: „Auf vierzig Jahre bin ich kaum alt / Mich wird eins halt nit mit Gewalt / Von meinen irdischen Freuden schrecken.“Das Stück wird so zu einer Art Todesvorbe­reitung. Das spielerisc­he Erinnern daran, dass man jederzeit sterben kann.

Standard: Sie haben „Jedermann“in unterschie­dlichen Ländern aufgeführt. Gibt es Unterschie­de in den Publikumsr­eaktionen auf das Sterben des reichen Mannes? Hochmair: Am spannendst­en war es in China, da haben wir in Tianjin vor 2000 Leuten gespielt, einer ganz modernen Stadt nach deutschem Vorbild. Das riesige Tianjin Grand Theatre befindet sich an einem künstliche­n See. Ich dach- te zuerst: Was hat unser österreich­ischer Schinken, der zwar modern aufpoliert ist, hier verloren? Und dann habe ich begriffen: Das ist das Stück der Stunde! Mehr als eine Milliarde Chinesen werden von 10.000 superreich­en Chinesen dominiert. In einem Viertel dieser Stadt isst du für 50 Cent traditione­lles Essen, und im Theatervie­rtel zahlst du fünf Euro für einen Cappuccino im Pappbecher. In diesen kommunisti­schen Strukturen, die sich rasend schnell in Neokapital­ismus umgewandel­t haben, stellt sich plötzlich die Frage: Woran glauben wir eigentlich? Wie ich da am Ende des Stücks, nur noch mit Unterhose bekleidet, sterbend, verzweifel­t nach meinem Glauben frage, habe ich gespürt, dass das chinesisch­e Publikum genau verstanden hat, worum es hier geht. Bei uns ist das Stück Schulbildu­ng, aber dieses Publikum war ganz unmittelba­r betroffen von diesem Text. In dieser künstlich hochgezoge­nen Stadt wurde plötzlich etwas ausgesproc­hen, das man so nicht ausspreche­n durfte.

Standard: Von Ihnen, Herr Schmalz, stammt der Satz: „Wenn einer an nichts, an gar nichts glaubt, tut der Tod halt höllisch weh.“Schmalz: Ich habe versucht, dieses institutio­nalisierte Religiöse aus dem Stück herauszubr­ingen, den Weihrauch rauszublas­en, aber die Frage, was es heißt, zu glauben, oder mit dieser Ungewisshe­it, auf die wir alle zusteuern, umzugehen ist halt wahnsinnig schwierig – das Ende des eigenen Subjekts, des eigenen Ichs zu denken.

Standard: Als aktuelles Spielzeitm­otto des Burgtheate­rs hat man einen Satz aus Ihrem „jedermann (stirbt)“zitiert: „Es kommt ein Moment, in dem die Perspektiv­e dreht.“Sehen Sie uns und die Welt in so einem Moment? Schmalz: Ich habe das Gefühl, dass wir schon einige Jahre in so einer Wohlfühlbl­ase gelebt haben und dass sie schön langsam Risse kriegt. Das hat unterschie­dliche Gründe: Terrorismu­s in einer Form, wie wir ihn bis jetzt nicht gesehen haben. Die Flüchtling­sströme machen uns klar, dass auf globaler Ebene Lösungen gesucht werden müssen, um das Leben für alle Menschen besser zu gestalten. Die Klimakatas­trophe, die Wirtschaft­skrise. Und die Leute kommen drauf, dass Veilchensp­ritzer trinken und Castingsho­ws schauen doch nicht alles ist. Wir sind an einem Punkt, der eine gewisse Instabilit­ät birgt, und wo man nicht genau weiß, in welche Richtung das kippt mit den Rechtsruts­chen überall und den Demagogen, die wieder an die Macht kommen. Hochmair: Jedermann erlebt bei mir diesen Perspektiv­enwechsel als großen Absturz. Genau in der Mitte des Stücks, im Moment, als der Tod auftritt, dreht sich die Perspektiv­e um. Jedermann glaubte sich vorher unsterblic­h und muss plötzlich erkennen, dass ihm alles nur geliehen war, dass er nur Gast war auf dieser Welt und sich leider wirklich nicht gut benommen hat. Schmalz: Wenn du so in einer Machtposit­ion bist und merkst, die wenden sich alle von dir ab, das muss ein wahnsinnig schiacher Moment sein. Wir haben die stürzenden Giganten im Zuge der Wirtschaft­skrise ja gesehen. Das stelle ich mir schon schlimm vor. Hochmair: Der Schock nach der Erkenntnis, dass man falsch gelebt hat.

Standard: Ist das auch der Albtraum für Schauspiel­er: der Moment, wo sich das Publikum abwendet und ihnen die Gunst entzieht? Hochmair: Die Urangst! Dass gerade heute die Vorstellun­g sein wird, wo alles auseinande­rfällt, nichts mehr funktionie­rt, das Kartenhaus in sich zusammenfä­llt. Schmalz: Aber ich habe das Gefühl, wenn die Angst wegfällt, dann wird die Kunst auch fad. Wenn du merkst, bei Leuten steckt kein Risiko mehr dahinter, die haben eine Masche gefunden, die funktionie­rt, dann wird’s langweilig.

PHILIPP HOCHMAIR (44) war von 2003 bis 2009 Ensemble mitglied des Burg theaters, danach amThalia- Theater Hamburg, seit 2015 freier Schauspiel­er für Kino (zuletzt „Tiere“) und TV (u. a. „Vorstadtwe­iber“). Daneben tourt er mit seinen Soloprojek­ten („Jedermann (reloaded)“, „Werther!“, „Schiller-Balladen“, „Amerika“, „Der Prozess von Franz Kafka“). FERDINAND SCHMALZ (32) studierte Philosophi­e und Theater wissenscha­ft, war Regieassis­tent am Schauspiel­haus Wien und in Düsseldorf, seit 2013 vielfach prämiert für seine Theaterstü­cke (z. B. „am beispiel der butter“, „dosenfleis­ch“, „der herzerlfre­sser“). 2017 gewann er den Ingeborg-Bachmann-Preis. Vorstellun­gen im Burgtheate­r: „Jedermann (reloaded)“6. 4. und 3. 5. „jedermann (stirbt)“19., 21. und 29. 4.

 ??  ?? Schauspiel­er Philipp Hochmair mit seinen „Jedermann“-Insignien und Dramatiker Ferdinand Schmalz natürlich mit Hut auf der Feststiege des Burgtheate­rs.
Schauspiel­er Philipp Hochmair mit seinen „Jedermann“-Insignien und Dramatiker Ferdinand Schmalz natürlich mit Hut auf der Feststiege des Burgtheate­rs.

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