Der Standard

Sicher ohne Gewissen

Sie werden kommen, die autonom fahrenden Autos. Und sie werden Unfälle bauen. Aber bauen sie die Unfälle nach bestem Wissen und Gewissen? Halt, so viel steht fest: Ein Gewissen brauchen sie nicht.

- AUTOPILOT: Guido Gluschitsc­h

Lassen Sie es mich mit Wolf Haas sagen: „Jetzt ist schon wieder was passiert.“Nämlich Mitte März der erste tödliche Unfall mit einem selbstfahr­enden Auto. In Arizona fuhr ein selbstfahr­endes Uber-Auto – quasi das Taxi der Zukunft – eine Frau nieder. Laut Experten liegt dem Unfall ein Fehler der Software zugrunde. Auch gibt es Geüchte, Uber könnte das System vor dem Unfall abgeschalt­et haben.

Der Vorfall befeuert die Skeptiker gegenüber autonomen Fahrzeugen, und Hand in Hand mit Philosophe­n und Besserwiss­ern knallen sie ein Trolley-Problem nach dem anderen auf den Tisch – und lenken dabei in die völlig falsche Richtung. Zur Erinnerung: Ein Trolley-Problem ist ein Gedankenex­periment, in dem es um ein fiktives Szenario geht, an dessen Ende zumindest einer stirbt – ein Entscheide­r hat aber die Wahl, wer stirbt und wer überleben darf.

Ein paar Beispiele

Umgelegt auf autonome Fahrzeuge schaut das dann so aus: Bei einem selbstfahr­enden Auto versagen die Bremsen, während eine Gruppe Kinder und eine Gruppe Senioren die Straße quert. Wen soll der Wagen niederführ­en? Ein anderes Beispiel: Auf einer engen Bergstraße mit Serpentine­n, die nicht einsehbar sind, kommt ein Radfahrer entgegen, und das Auto hat die Wahl, den Radler niederzufü­hren oder über die Klippen zu fahren und das Leben des Lenkers zu riskieren. Ein Gedankenex­periment dreht sich um ein Kind, das aus einer Reihe parkender Autos auf die Straße läuft.

Ich möchte Sie mit diesen Gedanken einen Moment allein lassen. Sie sollen sich gern den Kopf darüber zerbrechen, ob in Ihrer Welt alte Menschen mehr wert sind als junge. Ob Ihnen Ihr Leben wichtiger ist als das eines anderen. Und wie soll ein autonom fahrendes Auto entscheide­n?

Nehmen wir gern noch ein paar Faktoren dazu: Der Computer wird den sozialen Status eines Menschen erkennen, ihn schubladis­ieren können, sei es anhand der Kleidung, der Hautfarbe, oder der Daten, die er via Smartphone bei sich führt. Zählt ein Managerleb­en mehr als das eines Obdachlose­n? Und was wenn er Migrations­hintergrun­d hat? Krebskrank ist?

Während Sie sich mit Fiktivem beschäftig­en, hier ein paar Fakten aus der humangeste­uerten Autowelt. Nehmen wir den Osterverke­hr her. 2017 starben in Österreich am Osterwoche­nende sechs Personen. Noch einmal: an drei Tagen allein in Österreich.

90 Prozent aller Verkehrsun­fällen liegt menschlich­es Versagen zugrunde. Man kann sich, wenn man je ein Auto aus den 1970erJahr­en gefahren ist, an einer Hand ausrechnen, dass dieser Anteil gestiegen ist – einfach weil die Autos heute seltener Probleme haben, die zu einem Unfall führen. Der Rückgang der Zahlen geht sogar in großem Maße auf bessere Fahrzeuge zurück. Denken wir nur an Knautschzo­nen oder Fußgängera­ufprallsch­utz. Erst verkürzte ABS den Bremsweg, heute bremst ein moderner Wagen dank Notbremsas­sistent selbststän­dig, wenn er ein Hindernis erkennt.

Das bringt uns zurück zu unseren Gedankenex­perimenten und der Idee, dass einem autonom fahrenden Auto die Bremse versagt. Die Unfallstat­istiken, die ich gefunden habe, weisen Zahlen für Unfälle mit überhöhter Geschwindi­gkeit, wegen Alkoholkon­sums, Müdigkeit, schlechter Sicht oder Fahrfehler­n aus. Bremsversa­gen finde ich nirgendwo. Warum sollte es dann gerade bei der höchsten Evolutions­stufe der Automobile so häufig auftreten, dass wir uns damit beschäftig­en müssen?

Wer an der Programmie­rung selbstfahr­ender Autos arbeitet, finden auch das Experiment mit dem Radler polemisch. Wenn ein autonom fahrendes Fahrzeug nicht um die Kurve sieht, fährt es auf halbe Sicht und bliebt vor einer Kollision rechtzeiti­g stehen.

Ähnlich verhält es sich mit einem Auto, das an parkenden Autos vorbeifähr­t. Das Auto wird so langsam fahren, dass es rechtzeiti­g stehenblei­ben kann, sollte jemand auf die Straße gehen.

Im Grunde geht auch der Unfall mit dem Uber-Fahrzeug weniger auf technische­s als auf menschlich­es Versagen zurück. Denn dieses autonome Fahrzeug verlangt noch nach einem „Sicherheit­sfahrer“, der in heiklen Situatione­n das Steuer übernimmt. Rechtlich ist damit also die Lenkerin dran, von der ein Video zeigt, dass sie beim Unfall alles andere gemacht hat, als über das selbstfahr­ende Auto zu wachen.

Psychologi­scher Hintergrun­d

Dabei muss aber auch festgehalt­en werden: Jedem, der mit der Entwicklun­g solcher Fahrzeuge betraut ist, muss klar sein, dass niemand hinter dem Steuer sitzen wird, der permanent auf die Straße schaut. Weil wir das einfach nicht können, das Bewachen von Ereignisse­n, die eigentlich keiner Aufmerksam­keit bedürfen. Je besser das System von allein funktionie­rt, desto verlockend­er ist die Ablenkung. Ganze Gangsterfi­lmVideothe­ken basieren auf dem Wachmann, der nicht in seine Monitore schaut, während die Panzerknac­ker den Safe ausräumen.

Schwedisch­e Wissenscha­fter haben untersucht, wie schlecht wir darin sind, ein selbststän­dig fahrendes Fahrzeug zu bewachen: Man ließ Probanden mit einem autonom gesteuerte­n Auto fahren und gab ihnen irgendwann ein Signal, das Fahrzeug wieder zu übernehmen. Man maß die Zeit, die verging, bis der Fahrer wieder komplett Herr der Lage war. Im Schnitt vergingen dabei bis zu 15 Sekunden. Wenn man bedenkt, dass wir gern nicht einmal eine Sekunde Sicherheit­sabstand halten, kann man sich ausmalen, was wirklich passiert, wenn so ein System Hilfe braucht.

Ja, auch bei selbstfahr­enden Autos wird es Tote geben – etwa wenn sich jemand mutwillig vor so ein Auto schmeißt. Da ist aber nicht das Auto schuld. Oder wenn mehrere Systeme gleichzeit­ig versagen. Da ist das Auto schuld.

Allerdings: Die Gefahr, die wir in Gedankenex­perimenten selbstfahr­enden Autos andichten, sind Fehler, die wir permanent beim Autofahren machen: zu hohe Geschwindi­gkeit, zu wenig Aufmerksam­keit, zu viele Emotionen. Ein selbstfahr­endes Auto aber, das lässt sich nicht ablenken, wird nicht müde, und es ist auch nicht in seiner Eitelkeit gekränkt, wenn man es schon zum x-ten Mal schneidet, nicht genervt, wenn es schon seit zehn Minuten im Stau fahren muss. Da hat uns das selbstfahr­ende Auto gleich viel voraus. Nämlich so viel, dass es gar kein Gewissen braucht. Nein, wir werden nicht alle wie der Knight Rider einen K.I.T.T. fahren, der mit uns tratscht, uns die Welt erklärt, halbseiden witzig ist und Verbrecher am Schmäh hält. Die autonomen Fahrzeuge, die wir fahren werden, werden zwar dank Sprachassi­stenten mit uns reden, aber nicht wie ein Kumpel, eher wie ein Knecht. Und sie werden so defensiv fahren, dass sie ja nie in Kollisions­gefahr kommen.

Langeweile als Gefahr?

Aber dann ist die autonome Mobilität unendlich langsam, werfen Kritiker ein, und wir langweilen uns zu Tode, weil nichts weitergeht. Zum einen ist unsere Mobilität immer schneller geworden. Zum anderen liegt bei Langeweile wieder menschlich­es Versagen vor. Denn wenn wir uns die Zeit von A nach B richtig gut vertreiben, dann ist sogar die Gefahr größer, dass man eine Viertelstu­nde zu früh als zu spät am Ziel ist, etwa weil der Film, den man sich anschaut, noch nicht vorbei, sondern im Gegenteil, gerade wahnsinnig spannend ist.

Ich indes würde zu einem Buch von Wolf Haas greifen. Weil dort immer wieder was Launiges passiert. Und keine Sorge, selbst bei der Frequenz, mit der Haas neue Romane veröffentl­icht, gehen sich noch drei neue Bücher aus, bis wir in Österreich autonom fahren.

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