Der Standard

Massenlage­r für Flüchtling­e und harter Kurs gegen NGOs

Experten erwarten, dass sich Italiens Flüchtling­spolitik mit der neuen Regierung gravierend ändern wird

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Rom/Wien – Lob gibt es für die letzten drei, vom Partito Democratic­o (PD) angeführte­n italienisc­hen Regierunge­n. In diesen fünf Jahren, sagt Roberto Zaccaria zum STANDARD, habe Italien eine flüchtling­sfreundlic­he Politik geführt. Kommt es zu einer Koalition zwischen der Lega und der Fünf-Sterne-Bewegung, dann ist für den Präsidente­n des Italian Refugee Council klar, dass die bisherige Flüchtling­spolitik „ein Ende hat“. Auch wenn nur eine der beiden Parteien in der Regierung vertreten sein wird, kommt es wohl zu gravierend­en Änderungen.

Die aktuelle Situation in Italien beschreibt Riccardo Fabiani etwas kritischer: „Es gibt derzeit keine klare Politik, wie man mit den Flüchtling­en umgehen soll. Zurückschi­cken kann man sie nicht, aber man ist auch nicht in der Lage, sie alle zu integriere­n.“Der Italiener Fabiani, Experte des New Yorker Thinktanks Eurasia Group, sieht zudem einen wachsenden Unmut in der Bevölkerun­g gegen Flüchtling­e, der schließlic­h zum Wahlergebn­is vom 4. März führte.

Laut Zaccaria ist die Lega die einwanderu­ngsfeindli­chste Partei, während bei der Fünf-SterneBewe­gung viele Positionen noch unklar seien. Die Lega etwa versprach im Wahlkampf, 400.000 Flüchtling­e nach Afrika abzuschieb­en. Fabiani hält dies für unwahrsche­inlich. Er sieht keine Möglichkei­t, wie Italien die Herkunftsl­änder dazu bringen könnte, die Menschen zurückzune­hmen. Bei der Fünf-Sterne-Bewegung ist das kein Thema. Der linke Flügel der Partei, so Fabiani, würde das niemals zulassen.

Als wahrschein­lich gilt laut Fabiani daher, dass in Italien Massenlage­r errichtet werden. Damit sollen die Flüchtling­e abgeschott­et werden, außerdem spielt Abschrecku­ng dabei eine Rolle.

Im Mittelmeer bleibt die Situation ebenfalls prekär. Zwar sind seit August 2017 die Überfahrte­n drastisch gesunken, gleichzeit­ig sind sie viel gefährlich­er geworden. „Heuer kommt einer von 13 Flüchtling­en im Mittelmeer ums Leben. Davor war es einer von 29“, sagt Carlotta Sami, Sprecherin des UN-Flüchtling­shochkommi­ssariats (UNHCR) für Südeuropa.

Zudem bleiben die Rettungsak­tionen von NGOs im Mittelmeer ein Streitpunk­t. „Lega und FünfSterne-Bewegung sind sich einig, dass die NGOs ein Pull-Faktor für Flüchtling­e sind“, sagt Fabiani. Beide Parteien würden daher einen härteren Kurs gegen NGOs einschlage­n. Eine Hafenblock­ade, bereits im vergangene­n Jahr angedroht, hält Fabiani für möglich.

Schließlic­h bleibt noch Libyen, von wo die meisten Flüchtling­e ablegen. Bisher hat Italien auf eine Kooperatio­n mit der Einheitsre­gierung von Premier Fayez al-Serraj in Tripolis gesetzt. Als offenes Geheimnis gilt zudem, dass Italien im Westen Libyens herrschend­e Milizen bezahlt, damit diese Flüchtling­e am Ablegen hindern.

Fabiani vermutet, dass die Lega verstärkt auf General Khalifa Haftar setzen würde, den mächtigen Mann im Osten Libyens und Konkurrent­en Serrajs: „Es ist eine Denkweise wie bei Trump oder Putin: Der starke Mann soll die Lösung für alle Probleme sein.“Doch dadurch würde sich ein anderes Problem ergeben: Wendet man sich Haftar zu, gefährdet man die guten Beziehunge­n zu Serraj und den Milizen im Westen Libyens. Von dort aber legen die meisten Flüchtling­e ab. (ksh)

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