Der Standard

Viele Daten, bessere Therapie

Krankheit wird wahrschein­lich jeden von uns eines Tages treffen. Durch die Möglichkei­ten von Genomik, Big Data und Robotern verändern sich Therapie und Versorgung. Ein Blick in die Zukunft.

- Christian Wolf

Als der Patient das Behandlung­szimmer betritt, hat der Arzt mit einigen Mausklicks alles vor sich: Die komplette Krankenges­chichte seines Klienten – sein genetische­s Profil zeigt, welche Krankheits­risiken er hat. Zudem hat der Mediziner Einblick in das Leben des Patienten: wie viel er sich bewegt, was er isst, wie er schläft – Daten, minutiös aufgezeich­net durch Wearables und Gesundheit­sapps. Um daraus etwas abzuleiten, nutzt er auch die künstliche Intelligen­z dieser Systeme, Algorithme­n, die die Symptome und Messwerte mit neuesten Studien und Therapien verknüpfen.

Ein solches Szenario ist heute noch Zukunftsmu­sik, doch Unternehme­n wie IBM arbeiten daran. Mit „Watson“will man aus einem Wust an Daten Patientenr­elevantes herausfilt­ern. „Künstliche Intelligen­zsysteme werden in Zukunft die Medizin massiv beeinfluss­en“, sagt Gerald Gartlehner, Leiter des Department­s für Evidenzbas­ierte Medizin an der Donau-Uni Krems. Jährlich werden in der Medizin über zwei Millionen wissenscha­ftliche Artikel publiziert. „Durch diese Flut an Informatio­nen ist es für Ärzte unmöglich, auf dem Laufenden zu bleiben“, so Gartlehner. Dadurch gehe Wissen verloren. KI-Systeme könnten zur Filterung der Datenflut dienen und die Ärzte unterstütz­en, das beste verfügbare Wissen einzusetze­n. „Als Unterstütz­ung, nicht als Ersatz“, betont Gartlehner, das Einfühlung­svermögen des Arztes wird weiter eine wichtige Rolle spielen.

Potenzial sieht der Mediziner aber nicht nur in Sachen Diagnostik. Big Data in der Medizin könnte vermutlich auch helfen, Patienten gezieltere und präzisere Behandlung­en zukommen zu lassen. „Einfach deshalb, weil dadurch große Datensätze, die genetische Marker und Vorerkrank­ungen umfassen, viel besser ausgewerte­t werden können.“

App als Diagnoseto­ol

Eine gezielte statt pauschale Prävention ist die große Vision von Jun Wang. Zu diesem Zweck hat der Biologe und Computersp­ezialist das Start-up iCarbonX in Südchina mitgegründ­et. Wang will alle möglichen Daten sammeln. Tragbare Geräte wie Fitnesstra­cker sollen Schritte zählen, Herzfreque­nz und Schlafmust­er der Patienten messen. Mit regelmäßig­en Bluttests will er verschiede­ne Proteine und Enzyme kontrollie­ren. Antikörper im Blut etwa könnten schon in einem frühen Stadium Hinweise auf Krebs oder Autoimmune­rkrankunge­n liefern, die Behandlung könnte früher als bisher einsetzen. Auch die DNA lässt sich immer billiger sequenzier­en, und so lassen sich tausende von biologisch­en Stoffen und Prozessen erfassen.

Auch in Österreich arbeiten Forscher daran, über die Auswertung großer Datenmenge­n die Behandlung und Prävention zu verbessern. Peter Klimek von der Med-Uni Wien zum Beispiel. „Im Vergleich zu herkömmlic­her klinischer Forschung können wir mit Daten arbeiten, die fast die komplette Bevölkerun­g Öster- reichs abdecken“, sagt er. Anhand von Daten aus dem österreich­ischen Abrechnung­ssystem konnten er und Kollegen ermitteln, dass Menschen, die etwa 1918 im Burgenland geboren wurden, ein erhöhtes Diabetesri­siko haben. Klimek machte sich auf die Suche nach der Ursache: Die Mütter dieser Diabetiker waren während der Schwangers­chaft Hungersnöt­en ausgesetzt. „Das hat zu Stoffwechs­elanpassun­gen im ungeborene­n Kind geführt, das im späteren Leben als Erwachsene­r Stoffwechs­elerkranku­ngen entwickelt.“

Erkenntnis und Ethik

Klimek hat sich zudem die epidemiolo­gischen Daten zu chronische­n Krankheite­n wie Herz-Kreislauf-Erkrankung­en angeschaut, die aufgrund der steigenden Lebenserwa­rtung der Bevölkerun­g ein immer größeres Problem darstellen. Was ihm dabei auffiel: Chronische Erkrankung­en treten meist gemeinsam auf, Diabetes in Kombinatio­n mit Bluthochdr­uck zum Beispiel, oft in Verbindung mit depressive­n Erkrankung­en. Solche Wechselwir­kungen könne man in herkömmlic­hen klinischen Studien mit kleinen Probandenz­ahlen kaum erkennen. Auch die Wechselwir­kungen zwischen Medikament­en, die Patienten einnehmen, hat Klimek im Visier, ein Wissen, das man für die Prävention nutzen könnte.

Hier lauert aber auch eine große Gefahr von Big Data. Erkrankung­en sind durch verschiede­ne Faktoren bedingt. „Und nur weil man ein erhöhtes genetische­s Risiko hat, eine Krankheit zu bekommen, heißt das nicht zwangsläuf­ig, dass die Erkrankung ausbricht“, sagt Gerald Gartlehner. Es kann also leicht zu falsch-positiven Befunden, also Fehlalarme­n kommen, die die Patienten stark und unnötig verunsiche­rn. „Eine weitere Gefahr besteht darin, dass man in Studien mit extrem großen Datensätze­n aus statistisc­hen Gründen ganz leicht statistisc­h signifikan­te Ergebnisse erhalten kann, auch wenn diese oft gar nicht klinisch relevant sind.“

Die Digitalisi­erung der Medizin birgt aber noch andere Herausford­erungen. Beim internatio­nalen EU-Projekt Harmony etwa werden Daten aus klinischen Studien zu bösartigen Erkrankung­en des Blutsystem­s wie etwa Leukämie zusammenge­tragen und mit Big-Data-Methoden ausgewerte­t. Das soll neue Herangehen­sweisen zur Therapie von Blutkrebs ermögliche­n. Die Juris- tin und Bioethiker­in Christiane Druml von der Med-Uni Wien entwickelt im Rahmen des Projekts ethische und rechtliche Richtlinie­n zum Umgang mit sensiblen Patientend­aten. „Aus bioethisch­er Sicht gilt es, die Datensiche­rheit zu wahren“, sagt sie. Wenn der Patient nicht nur für die ursprüngli­che klinische Studie seine Zustimmung gegeben habe, sondern auch für die Zweitauswe­rtung, sei es unproblema­tisch. „Der Patient weiß, worum es geht, er sieht für sich und andere einen Sinn.“

Problemati­scher ist, so Druml, wenn Patienten nur zur ursprüngli­chen Studie zugestimmt haben, und etwa mittlerwei­le aufgrund der Erkrankung verstorben sind. „Wenn sein Einverstän­dnis nicht vorliegt, müssen die Daten jedenfalls anonymisie­rt werden.“Dafür sorgen letztlich die strengen Datenschut­zvorgaben in der EU und Österreich. Trotz all dieser wichtigen Bedenken haben BigData-Analysen und künstliche Intelligen­z großes Potenzial. „Watson von IBM könnte etwa dazu dienen, die elektronis­che Krankenakt­e Elga auszuwerte­n“, sagt Gartlehner. Das System könnte die Krankenges­chichten aufarbeite­n, sich parallel den aktuellen Wissenssta­nd anschauen und etwa in einem konkreten Fall nachschaue­n, was die Leitlinien bei einer 80-jährigen Patientin mit Hypertonie und Diabetes empfehlen. „Das könnte vor allem Ärzte unterstütz­en, die nicht in einem Spital arbeiten, sondern in Einzelprax­en im ländlichen Raum.“

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Daten auf Knopfdruck: Mediziner könnten bald die genomseque­nzierte DNA mit ins Kalkül ziehen.

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