Der Standard

USA legen Welthandel­sorganisat­ion langsam lahm

Nach der Verhängung von Stahlzölle­n gegen China widmet sich US-Präsident Donald Trump der Welthandel­sorganisat­ion. Der WTO droht die Lähmung, weil Richter für das Berufungsg­ericht nicht nachbesetz­t werden.

- Jan Dirk Herbermann aus Genf

Aus dem Delegierte­nsalon der Welthandel­sorganisat­ion bietet sich ein grandioser Blick. Dutzende Eichen, der Genfersee und der schneebede­ckte Mont Blanc bilden ein kitschig-schönes Ensemble. Doch der adrett gekleidete Herr, Ende 50, achtet nicht auf die Natur. Er vertieft sich in die Pressescha­u der Welthandel­sorganisat­ion (WTO), schüttelt den Kopf und murmelt: „This guy …“

Wen er meint? US-Präsident Donald Trump. Je mehr der Handelsdip­lomat über die amerikanis­chen Attacken auf die WTO und andere Handelspar­tner liest, desto finsterer wird sein Gesicht.

Die Furcht des Diplomaten teilen Experten in der WTO bis hinauf zu Generaldir­ektor Roberto Azevêdo: „Ich bin tief besorgt“, sagt der Brasiliane­r angesichts der Trumpschen Handelspol­itik der New York Times. Der frühere WTO-General Pascal Lamy hat für Trumps Politik gar nur ein Wort übrig: „mittelalte­rlich“.

Tatsächlic­h: In der WTO-Zentrale am Stadtrand von Genf, dem Centre William Rappard aus den 1920-iger Jahren, herrscht Alarmstimm­ung. Der „mögliche“internatio­nale Handelskri­eg, vor dem Azevêdo warnt, ist nach Meinung von Unterhändl­ern längst ausgebroch­en. Und die von Trump losgetrete­ne Konfrontat­ion könnte gar das Ende der WTO und des internatio­nalen, auf Regeln basierende­n Handelssys­tems einläuten. Verlierer wären alle, auch die europäisch­en Länder. „Die WTO wird belagert, und wir sollten uns alle zusammensc­hließen, um sie zu verteidige­n“, verlangt Chinas Botschafte­r bei der WTO, Zhang Xiangchen. Trump schießt auf die WTO. Sie sei eine „Katastroph­e“und „schrecklic­h“für die USA.

Noch nie hat ein US-Präsident die 1995 gegründete Organisati­on so wüst attackiert. Immerhin wurde die WTO auch auf Betreiben des damaligen US-Präsidente­n Bill Clinton ins Leben gerufen. Sie ging aus dem Allgemeine­n Zollund Handelsabk­ommen (Gatt) hervor, bei dessen Zustandeko­mmen die Amerikaner 1947 eine entscheide­nde Rolle spielten. „Das Gatt und die auf 164 Mitglieder angewachse­ne WTO verfolgen dieselben Ziele: Den internatio­nalen Warenausta­usch fördern und so den Wohlstand der Menschen mehren“, erklärt Globalisie­rungsexper­te Rolf Langhammer vom Institut für Weltwirtsc­haft in Kiel. „Die wirtschaft­liche Verflechtu­ng soll dazu beitragen, die Kooperatio­n der Staaten zu vertiefen.“

Doch Kooperatio­n scheint für den 45. US-Präsidente­n ein Fremdwort zu sein. Das zeigte Trump mit der Verhängung und der Ankündigun­g empfindlic­her Handelssan­ktionen. Trumps Team scherte sich dabei nicht um die ungeschrie­ben WTO-Gesetze und die Prozeduren des WTO-Handelsger­ichts. Es ist eines der we- nigen funktionie­renden internatio­nalen Gerichte. Die Verfahren ziehen sich zwar oft in die Länge, garantiere­n aber letztlich Stabilität des Welthandel­ssystems. Alle möglichen Handelskon­flikte kommen zur Sprache: vom Autoimport über die Einfuhr von Zigaretten bis zum Export von Holz. Azevêdo warnt denn auch vor den „unilateral­en Aktionen“: Kein WTO-Mitgliedsl­and dürfe „einfach damit beginnen, die Sache in die eigenen Hände zu nehmen“.

Zunächst belegte Trump Stahlund Aluminiumi­mporte mit Strafzölle­n, ohne die WTO zu konsultier­en, und begründete dies mit einer Gefährdung der nationalen Sicherheit, was zwar legitim ist, aber nur in Ausnahmefä­llen Sanktionsg­rund sein sollte.

Büchse der Pandora

„Trump hat mit dem Argument der gefährdete­n nationalen Sicherheit die Büchse der Pandora geöffnet“, erklärt ein frustriert­er WTO-Funktionär. Der Mitarbeite­r der Handelsorg­anisation, ein USAmerikan­er, steht im lichtdurch­fluteten Innenhof der WTO-Zentrale. Während er an einem Cola nippt, verweist er auf einen anderen Konflikt, der vielerlei Befürchtun­gen auslöst: Trumps Clinch mit China. Auch hier, warnen Genfer Unterhändl­er, umgingen die USA de facto das Streitschl­ichtungssy­stem der WTO. Und legten so die WTO-Justiz lahm. Washington blockiert die Neubesetzu­ng frei werdender Richterste­llen beim WTO-Berufungsg­ericht, der entscheide­nden Instanz. Die Zahl der Berufungsr­ichter schrumpfte von sieben auf vier. Geht es so weiter, ist Ende 2019 nur noch einer übrig und die WTO kann dann keine Konflikte mehr schlichten.

 ??  ?? Muss hilflos zusehen, wie die WTO von den USA lahmgelegt wird: WTO-General Roberto Azevêdo.
Muss hilflos zusehen, wie die WTO von den USA lahmgelegt wird: WTO-General Roberto Azevêdo.

Newspapers in German

Newspapers from Austria