Der Standard

Sudel oder Promille?

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In der Hitze des juristisch­en Gefechts um eine zulässige Definition des Phänomens Michael Jeannée, das sich längere Zeit in den journalist­ischen Höhen zwischen „Österreich“und der „Kronen Zeitung“abspielte, ist, wie „Der Standard“Dienstag berichten konnte, eine Entscheidu­ng gefallen, die wieder einmal zeigt, dass salomonisc­h nicht unbedingt allseits befriedige­nd sein muss. Der Prozessgeg­enstand darf, so das Urteil, nicht mehr „Promillesc­hreiber“genannt werden, was hiemit ausdrückli­ch nicht geschieht, sehr wohl hingegen „Sudelfeder“. Ihm wäre es vielleicht umgekehrt lieber gewesen, ist doch der Einfluss von Alkohol auf die journalist­ische Produktion moralisch insofern unproblema­tisch, als diese von nüchtern verfassten Beiträgen häufig nicht zu unterschei­den ist, während Arbeiten aus Sudelfeder­n, zumal nüchtern geführten, zumindest abseits vom Boulevard rufschädig­end wirken können.

Diese Bewertung wurde dem Kläger mit 5000 Euro aus der Schatulle Wolfgang Fellners versüßt, was für die Einrichtun­g eines erlesenen, wenn auch bescheiden­en Alkoholvor­rats reichen würde. Es war aber nicht dieser Interessen­ausgleich, der Auf- merksamkei­t beanspruch­te, sondern ein Satz von Jeannées Verteidige­r, in dem ein Wort fiel, das man in diesem Zusammenha­ng zu allerletzt vermutet hätte. „Österreich“hätte „mit einem Schlag die Glaubwürdi­gkeit der Beiträge meines Mandanten zerstört“.

Die Glaubwürdi­gkeit! – Diese Argumentat­ion des Verteidige­rs konnte nicht verfangen, stehen ihr nicht nur zahlreiche Verurteilu­ngen des so Bezichtigt­en vor dem Presserat entgegen – und zwar nicht wegen der Promille –, sondern ist dessen Lebenswerk schon deshalb nicht unter dem Gesichtspu­nkt der Glaubwürdi­gkeit zu betrachten, weil diese in schroffem Gegensatz zur Blattlinie stünde. Herzenserg­ießungen eines ergrauten Boulevardf­egers, das vielleicht, aber wozu bräuchte der Glaubwürdi­gkeit?

Ein Beispiel vom Mittwoch dieser Woche. Da räsonierte er über die einsame Entscheidu­ng der Regierung Kurz, wegen des heimtückis­chen Londoner Giftanschl­ags keine russischen Diplomaten aus Österreich auszuweise­n. Nicht dass er dazu eine Meinung hätte: Mir persönlich im- poniert, egal, ob richtig oder falsch, der Kurz’sche Schachzug. Mir imponiert, dass er trotz (oder wegen?) seiner Jugend entschloss­en den Weg geht, der ihm als der richtige für sein Land, für uns erscheint.

Was die Jugend von Kurz mit dem Giftanschl­ag und der Richtigkei­t eines Weges zu tun hat, wäre auch unter dem Einfluss einiger Promille nicht zu erkennen, ist aber egal, geht es doch nur um Glorifizie­rung. Bruno Kreisky, dieser visionäre Politstrei­ter wider Anpassung und Kleinkräme­rei ... hat seinen Nachfolger gefunden: Sebastian Kurz. Wenn eine Sudelfeder in Glorifizie­rung schwelgt, bleibt jede Glaubwürdi­gkeit auf Blattlinie – und auf der Strecke.

Eine Idealform von MessageCon­trol hat übrigens die Außenminis­terin gefunden. Anlässlich des gloriosen Regierungs­jubiläums schrieb sie sich in der „Krone bunt“ihren Erfolgsber­icht über eine Doppelseit­e gleich selber. Hundert Tage ist es nun, seit ich ins Außenamt zurückgeke­hrt bin. Vor zwanzig Jahren verließ ich den diplomatis­chen Dienst, und es bleibt ein Rätsel, wie der Betrieb dort dennoch weiterging. Zurückgeke­hrt bin ich mit zwei Zielen, und das war auch höchste Zeit: Österreich auf der Landkarte nach zwei Jahrzehnte­n der Unsichtbar­keit sichtbar zu machen und allen Kollegen zu vermitteln, dass es sinnvoll ist, morgens in die Botschaft, ins Konsulat oder eben ins Ministeriu­m zu gehen. Also Inhalte in unsere Arbeit zu bringen und nicht sich in Allgemeinh­eiten zu verlieren.

Schauer des Glücks ob dieser Erfüllung ihres diplomatis­chen Lebens mit Kneissl’schem Sinn müssen Botschafte­r, Konsule und einfache Beamte bei diesen Worten durchriese­lt haben. Endlich jemand, der ihnen sagt, warum sie morgens erscheinen sollen – um Inhalte in ihre Arbeit zu bringen und nicht sich in Allgemeinh­eiten zu verlieren. War auch Zeit, dass ihnen das jemand nach zwanzig Kneissl-losen Jahren in Erinnerung ruft.

Die Ohnmacht der Mächtigen hatte ich oft genug beobachtet. So manches Handicap ist mir wohl bekannt, aber ich entschloss mich, unterstütz­t von exzellente­n Kollegen, ob im Kabinett oder in den Fachabteil­ungen, unserer Außenpolit­ik in der EU (wo bleibt Kurz?) und im großen Rest der Welt wieder ihre Stellung zu geben. Hallelujah!

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