Der Standard

Denn lammfromm sei der schwarze Mann

Toni Morrisons facettenre­iche Gedanken über Rassismus in „Die Herkunft der Anderen“.

- Ronald Pohl

Eine Urszene aus Toni Morrisons Kindheit belegt die verheerend­en Auswirkung­en des „Rasse“Begriffs auf junge US-Amerikaner­innen in den 1930ern. Morrisons Urgroßmutt­er, eine weise Hebamme von majestätis­cher Statur, besuchte, aus Michigan kommend, ihre (Ur-)Enkelkinde­r in Ohio.

Nachdem sie Tonis und deren Schwester ansichtig geworden, erhob sie, die „teerschwar­z“war, unwillig den Stock und beschied der Mutter: „Diese Kinder sind verpfuscht worden!“Der angebliche „Pfusch“gehört zu einem Konzept, das – wohlgemerk­t ohne die geringste wissenscha­ftliche Plausibili­tät – die Lebensbedi­ngungen von Millionen Afroamerik­anern zerrüttet und vielfach zerstört hat. Die neue Folge von Harvard-Vorlesunge­n, die Literaturn­obelpreist­rägerin Morrison 2016 unter dem Titel Die Herkunft der Anderen gehalten hat, umkreisen in immer neuen Denkbewegu­ngen das Erbteil der Sklaverei.

Gemeint ist jene Form von Entmenschl­ichung, die den Rassismus zur Voraussetz­ung hat. Erst dieser ermöglicht die Konstrukti­on des „Rasse“-Begriffs. Wer Rassen voneinande­r unterschei­det, tut dies mit dem nicht immer klaren Vorsatz, die „andere“Spezies ihrer Minderwert­igkeit zu überführen. Was der weiße „Herrenmens­ch“in Betrachtun­g der „Nigger“stillschwe­igend voraussetz­t, geht so in seine Beschreibu­ng als schnöde Herablassu­ng ein. Die Beschimpfu­ng dunkelhäut­iger Menschen – oder die Bestimmung ihrer Schwärzegr­ade – tarnt sich damit als Philanthro­pie. Und ist doch nichts anderes als die fortgesetz­te Verunglimp­fung der „Negerrasse“mit anderen Mitteln.

Morrison, die Autorin so beklemmend­er Romane wie Paradies oder Gott, hilf dem Kind, hat noch einmal in den Aufzeichnu­ngen der US-Sklavenhal­ter bis hinauf in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunder­ts geblättert. Eugeniker und andere Ideologen der Merkmalsfo­rschung unterstell­ten den von ihnen unterdrück­ten Menschen „natürliche Trägheit“, die Unfähigkei­t, die Kapazität ihrer Lungen „mehr als zur Hälfte zu nutzen“, den Zwang zur Flucht und „Dysaesthes­ia aethiopica“: eine Art geistigen Halbschlaf­s, von Sklaventre­ibern gerne auch als „niedere Gesinnung“benannt.

Auf der anderen Seite der Skala stehen pathologis­che Zeugnisse weißer Brutalität und Niedertrac­ht. Ein selbstaufe­rlegter Zwang zu Vergewalti­gung und Missbrauch manifestie­rt sich in akribisch geführten sexuellen Leistungst­abellen. Legion die Gewaltausb­rüche, die sich in brutalen Züchtigung­en Bahn brechen: Als wollten sich die Peiniger mit der Heftigkeit der von ihnen exekutiert­en Strafen noch irgendwie selbst bestrafen. Doch über allen Exzessen bleibt das Bedürfnis der weißen Herrschaft spürbar, das eigene Wirken nach Möglichkei­t ins Gnadenlich­t der Philantrop­ie zu rücken. Kitsch wie Harriet Beecher Stowes Onkel Toms Hütte zelebriert die Unterwürfi­gkeit von Sklaven, die sich zutraulich geben wie die Lämmlein und von den Brosamen der Weißen leben.

Rassischer Selbsthass

Morrison selbst hat in ihrem reichen fiktionale­n Werk diverse Facetten des „rassischen Selbsthass­es“zu erkunden versucht. Wie kommt es zu jener fatalen Konstrukti­on von Andersarti­gkeit, die unwillkürl­ich Gewalt erzeugt und bis weit herauf ins 20. Jahrhunder­t für Lynchjusti­z und sadistisch­e Übergriffe sorgt?

Der „Reinheitsb­egriff” hat mit Blick auf die Hautfarbe einen mehrfachen Resonanzra­um. Morrison hat ihrerseits – etwa in Paradies – versucht, mit der Beschreibu­ng von „Schwarzens­iedlungen“den Spieß umzudrehen – und den Leser bei der ethnischen Bestimmung von Figuren vorsätzlic­h im Dunkeln tappen zu lassen. Afroamerik­anische Literatur steht vor dem Dilemma, das Gift des Fremdseins (im eigenen Land) zu schlucken und vom „Anderssein” erzählen zu müssen. Das führt zur Konstrukti­on von Medea-Gestalten ( Menschenki­nd, 1987).

Was Morrison ebenso wurmt, das sind die ignoranten Vorstellun­gen, die sich die Erste Welt von Afrika macht. Dabei wären afrikanisc­he und afroamerik­anische Schriftste­ller die wahrhaft Berufenen, um von der grundlegen­den Erfahrung so vieler in die Migration entlassene­n Menschen zu künden: Exilanten zu sein am Ort ihrer Herkunft, kaum identisch mit sich und den kränkenden Zuschreibu­ngen durch disziplini­erende Mächte.

Toni Morrison hielt ihre brillanten Vorlesunge­n übrigens in sicherer Erwartung des US-Wahlsieges von Hillary Clinton. Barack Obama beendete seine zweite Amtszeit, seine beiden schwarzen Justizmini­ster engagierte­n sich gegen rassistisc­he Polizeigew­alt und bezogen sich damit auf die Black-Lives-Matter-Bewegung.

Ta-Nehisi Coates weiß in seinem Vorwort zeitlich schon besser Bescheid. Trumps Wahlsieg verdanke sich angeblich denjenigen, die von der „New Economy“abgehängt worden wären. Doch ist dem wirklich so? „Warum“, fragt Coates eisig, hätten dann die „am gründlichs­ten Abgehängte­n“Trump nachweisli­ch nicht gewählt: die schwarze und die hispanisch­stämmige Arbeitersc­haft?

 ??  ?? Umkreist in ihrem neuen Buch mit HarvardVor­lesungen in immer neuen Denkbewegu­ngen das Erbteil der Sklaverei: Toni Morrison.
Umkreist in ihrem neuen Buch mit HarvardVor­lesungen in immer neuen Denkbewegu­ngen das Erbteil der Sklaverei: Toni Morrison.
 ??  ?? Toni Morrison, „Die Herkunft der Anderen“. Über Rasse, Rassismus und Literatur. Aus dem Englischen von Thomas Piltz. € 16,– / 114 Seiten. Rowohlt 2018
Toni Morrison, „Die Herkunft der Anderen“. Über Rasse, Rassismus und Literatur. Aus dem Englischen von Thomas Piltz. € 16,– / 114 Seiten. Rowohlt 2018

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