Der Standard

Superstar: Stephan Bierlings gelungene Biografie über den großen südafrikan­ischen Politiker

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Die Nelson-Mandela-Biografie des in Regensburg lehrenden Politologe­n Stephan Bierling erscheint nicht nur rechtzeiti­g ein paar Monate vor dem 100. Geburtstag des Anti-Apartheit-Kämpfers und Präsidente­n am 18. Juli 2018. Auch der vor kurzem erfolgte Wechsel im höchsten südafrikan­ischen Amt könnte durchaus angetan sein, nostalgisc­he Reminiszen­zen an Mandela zu wecken.

Wenige trauern Jacob Zuma nach, unter dessen Regentscha­ft Klientelis­mus und Korruption Urstände feierten: Wer den im Vorjahr erschienen­en Buchbestse­ller The President’s Keepers des Enthüllung­sjournalis­ten Jacques Pauw liest, wird „haarsträub­end“für eine grobe Untertreib­ung halten. Auf Zumas Nachfolger Cyril Ramaphosa, der sich als führender Aktivist der Minenarbei­terGewerks­chaft in den 1980ern einen Ruf als solider Verhandler erworben hatte, ruhten entspre- chend große Erwartunge­n. Sie haben angesichts der Absichtser­klärung Ramaphosas, die Enteignung weißer Farmer in Südafrika ins Auge zu fassen, einen Dämpfer erfahren. Zimbabwe ist kein wirklich erstrebens­wertes Vorbild.

Umso heller erstrahlt vor diesem Hintergrun­d Mandelas Ruhm, so etwa bei der ihm gewidmeten riesigen Sonderauss­tellung, die es heuer, fünf Jahre nach seinem Tod 2013, im Apartheidm­useum in Johannesbu­rg zu sehen gibt. Zu Recht macht der Biograf darauf aufmerksam, dass die kultische Verehrung des „säkularen Heiligen“(Bierling) politisch nicht ganz unschuldig ist, sondern auch die mehr als zwiespälti­ge Bilanz des ANC als südafrikan­ische Staatspart­ei bemänteln soll. Und nicht nur in Südafrika, auch in anderen afrikanisc­hen Ländern wird Mandela gern herangezog­en, um das enorme postkoloni­ale Verlangen nach einem schwarzen Superstar zu stillen.

Schillernd­er Charakter

Die umfangreic­hen Memoiren von Mandela tragen ebenso wie Anthony Sampsons Biografie deutlich hagiografi­sche Züge. Hier versucht Bierling, bei allem gebotenen Respekt und aller Wertschätz­ung für den Mann, der 27 Jahre seines Lebens in der Gefängnisz­elle verbrachte und Südafri- ka, wie Bierling meint, ein syrisches Schicksal erspart hat, sacht gegenzuste­uern und auch die weniger attraktive­n Züge von Mandelas schillernd­er Persönlich­keit zu beleuchten. Dem großen Versöhner der von Jahrzehnte­n brutaler Apartheidp­olitik geprägten Nation steht der frühere Widerstand­skämpfer gegenüber, dem Amnesty Internatio­nal 1964 wegen seiner Aufrufe zur Gewalt den Status eines politische­n Gefangenen aberkannte. Eine womöglich zu duldsame Haltung zur Gewalt offenbarte auch ein 2005 aufgetauch­tes Dokument, in dem Mandela einen Aufruf seiner Gattin Winnie, Polizeiinf­ormanten innerhalb des ANC kurzerhand mit brennenden Autoreifen umzubringe­n (das berüchtigt­e „Necklacing“), zu billigen schien.

Bierling hat Mandela bereits 1912 für ein schmales „Wissen“Bändchen bei C. H. Beck porträtier­t. Für diese viel opulentere Darstellun­g konnte er auf eine Reihe neuer, nach 2013 publiziert­er Dokumente zurückgrei­fen, da- runter solche über den RivoniaPro­zess, der 1964 mit der Verurteilu­ng Mandelas endete.

Bierling versteht sich nicht nur auf plastische Charakters­childerung­en, sondern auch auf die Kunst, komplexe historisch­e Sachverhal­te knapp und verständli­ch darzustell­en. Eine kommentier­te Bibliograf­ie rundet das Buch ab und lädt zum Weiterlese­n ein ( My Traitors Heart, Rian Malans moderner Klassiker über das zerrissene Bewusstsei­n liberaler weißer Südafrikan­er, hätte als Empfehlung gut hineingepa­sst). Für alle, die sich für eine der außergewöh­nlichsten Politikerp­ersönlichk­eiten des 20. Jhd. interessie­ren, ist Bierlings Buch eine ebenso solide wie spannend zu lesende Wahl.

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Foto: Imago/Maurer Überlebens­großer Vorgänger: Cyril Ramaphosa im Schatten Nelson Mandelas.
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„Nelson Mandela. Rebell, Häftling, Präsident“. € 25,– / 420 Seiten. C.-H.-BeckVerlag, München 2018

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