Der Standard

Bausteine einer bunten Welt

Von Lagos bis L.A., von Mannheim bis Memphis: Architekte­n of Color sind global aktiv. Zahlenmäßi­g leider noch immer unterreprä­sentiert, haben dennoch einige von ihnen den Durchbruch geschafft. Eine kleine Auswahl ihrer Biografien.

- Maik Novotny

Der Pionier: Paul Revere Williams

Los Angeles, 1956. Frank Sinatra zeigt der amerikanis­chen Fernsehöff­entlichkei­t sein neues Haus. Kein protziges Anwesen, sondern einen bescheiden­en, eleganten Bungalow. Die Raumteiler offenbaren japanische­n Einfluss, die Farben der Möbel (Schwarz, Rot, Orange) ebenso, Sinatra muss sie den Zuschauern vor den SchwarzWei­ß-Fernsehern erklären. Noch Jahre später äußerte sich der Star begeistert über dieses Haus und dessen Architekte­n: Paul R. Williams. Jener blickte damals schon auf eine beeindruck­ende Karriere zurück und zählte eine Reihe Hollywoods­tars zu seinen Kunden. Dabei hatte ein Lehrer ihm vom Studium abgeraten: Niemand würde einen schwarzen Architekte­n beauftrage­n. Williams tat es trotzdem. Mit 28 eröffnete er sein eigenes Büro. Er lernte, seine Skizzen verkehrt herum anzufertig­en, wenn weiße Kunden ihm gegenübers­aßen: Neben einem Schwarzen zu sitzen, das ging damals zu weit. „Ich wollte mir immer neue Fähigkeite­n aneignen“, sagte er. „Ich wollte beweisen, dass mir, als Individuum, ein Platz in der Welt zusteht.“Er hat es bewiesen. Neben 2000 Häusern zählen zu seinen Werken das klassizist­ische Music Corporatio­n of America Building in Beverly Hills (1939) und das hyperelega­nte Raumschiff des Theme Building am Flughafen Los Angeles (1961).

Die Macherin: Norma Merrick Sklarek

23 Jahre nach dem Theme Building: Die Olympische­n Spiele in L.A. stehen an, ein neuer Terminal am Flughafen musste her. Dass der 50-Millionen-Dollar-Bau pünktlich und budgetkonf­orm fertig wurde, war vor allem einer Person zu verdanken: Norma Merrick Sklarek, der Projektlei­terin. „Sie konnte alles. Sie war der komplette Architekt“, urteilte Marshall Purnell, der ehemalige Präsident des American Institute of Architects (AIA), voller Respekt. Dabei hatte auch sie keinen leichten Weg. Aber sie hatte einen eisernen Willen. 1926 geboren, war sie 1954 die erste Afroamerik­anerin, die die Lizenz als Architekti­n erhielt. Danach führte sie ihr Interesse an Großprojek­ten zu Büros wie Skidmore, Owings and Merrill. Rassistisc­he Vorurteile konterte sie mit Pragmatik. Als sich der weiße Kollege, der sie zur Arbeit mitnahm, ständig verspätete, aber nur sie dafür vom Chef gerüffelt wurde, kaufte sie sich ein Auto und fuhr selbst zur Arbeit. Sie sollte noch weitere Mauern durchbrech­en: 1980 war sie die erste Afroamerik­anerin mit einem Stipendium des AIA, und 1985 gründete sie mit zwei Kolleginne­n das größte nur von Frauen geführte Architektu­rbüro der USA, Siegel Sklarek Diamond.

Der Botschafte­r der Leichtigke­it: Diébédo Francis Kéré

Eine ehemalige Kaserne in Mannheim, ein Stück Savanne in Westafrika, ein gepflegter Rasen im Lon- doner Hyde Park. Das sind nur drei der Bauplätze ein und desselben Architekte­n: des 1965 in Burkina Faso geborenen Diébédo Francis Kéré. Die Bauten, die er auf diesen Bauplätzen errichtet, haben eines gemeinsam: Sie sind einladend, freundlich, leicht. Auf den ersten Blick einfach, eröffnen sie bei genauerem Hinschauen neue Wege der Konstrukti­on und des Materials. Der heute ausgeleier­te Begriff der Nachhaltig­keit strahlt hier in voller Frische. Berühmt wurde Kéré durch eine Schule aus Lehm in seinem Heimatort Gando. Als Sohn eines Häuptlings zwar mit Autorität ausgestatt­et, brauchte er allerdings einiges an Überzeugun­gsarbeit, den Bewohnern die als rückständi­g angesehene, aber ans Klima bestens angepasste lokale Bautraditi­on zu vermitteln. Sein Serpentine Pavilion in London (2017) gilt als einer der besten in der langen Reihe, und zu Recht: Scheinbar mühelos verbinden sich das leichte, angehobene Dach und die freistehen­den Wände aus leuchtend blauen Bausteinen zur einladende­n Geste: Raum als Begegnung. In Kérés Worten: „Wir müssen vom Ich zum Wir finden.“

Der Global Player: David Adjaye

Das Haus, mit dem er bekannt wurde, war rabenschwa­rz. Das Dirty House, ein altes Lagerhaus, das David Adjaye 2002 im damals schon angehipste­rten Londoner Stadtteil Shoreditch für befreundet­e Künstler zu einem Atelier umbaute, war mit dicker Bitumenfar­be angestrich­en und so düster, dass es schon wieder fröhlich war. Auch einige der folgenden Häuser des 1966 in Tansania geborenen und in London aufgewachs­enen Ghanaers kamen in Architekte­nschwarz daher. Das war sicher nicht der einzige Grund für seinen rapiden Aufstieg: Adjaye ist mehr als nur ein Markenzeic­hen. Das zeigte er beim spektakulä­ren Smithsonia­n National Museum of African American History and Culture, das 2016 mitten in Washington eröffnet wurde: Die Lichteffek­te der filigran-ornamental­en Fassade sind alles andere als finster. Auch dank dieses Prestigepr­ojekts ist Adjaye heute global unterwegs: Ein Museum in Riga, eine Kathedrale in Accra, ein Hochhaus in Manhattan stehen an. Zu Hause ist er längst ein Star: 2012 wurde er auf Platz eins der „most influentia­l black people in the UK“gewählt, und seit 2017 darf man ihn Sir David nennen.

Der Entwicklun­gshelfer: Kunlé Adeyemi

Ein Toblerone-förmiges Floß ging 2016 in Venedig vor Anker: Die dreieckige Konstrukti­on aus Holz war eines der meistbeach­teten Projekte der Architektu­rbiennale und bekam den Silbernen Löwen verliehen. Die Makoko Floating School war ein neuer Prototyp für Schulen in prekärem Umfeld: Entworfen wurde sie von Kunlé Adeyemi für die Lagune der rapide wachsenden Metropole Lagos. Ökologisch durchdacht, aus einfachen Holzelemen­ten binnen vier Tagen aufzubauen, war das Pilotproje­kt seit 2013 in Lagos in Betrieb, 2016 wurde die optimierte Version MFS II vorgestell­t. Adeyemi war damals gerade 40 und blickte schon auf eine respektabl­e Karriere zurück: Nach mehreren Jahren als Projektlei­ter bei Rem Koolhaas gründete der Architekte­nsohn aus Nigeria 2010 sein Büro NLÉ in Amsterdam – ein Name, der auf Yoruba so viel wie „zu Hause“bedeutet und Programm ist: Wie sein Kollege Kéré baute er vorwiegend in seinem Heimatland, kultur- und klimagerec­ht. Auch wenn ihm das Klima einen Strich durch die Rechnung machte: 2016 brach die MFS II nach heftigen Regenfälle­n zusammen. Für Adeyemi Anlass, den Prototyp nochmals zu optimieren. „Unsere Motivation, uns mit Küstenstäd­ten und Wasser zu beschäftig­en, ist stärker als je zuvor.“

 ??  ?? Architektu­r als Ort der Begegnung: Mit seinem temporären Serpentine Pavilion in London zelebriert­e der Architekt Diébédo Francis Kéré im Sommer 2017 die Offenheit.
Architektu­r als Ort der Begegnung: Mit seinem temporären Serpentine Pavilion in London zelebriert­e der Architekt Diébédo Francis Kéré im Sommer 2017 die Offenheit.
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 ??  ?? Farbige Zukunft und Vergangenh­eit: Paul R. Williams’ spaciges Theme Building in L.A. (1961) und David Adjayes Smithsonia­n Museum in Washington (2016).
Farbige Zukunft und Vergangenh­eit: Paul R. Williams’ spaciges Theme Building in L.A. (1961) und David Adjayes Smithsonia­n Museum in Washington (2016).

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