Der Standard

Wo sind all die Vögel hin?

Im Frühling zwitschern die Vögel besonders schön. Nur über Österreich­s Feldern wird es immer stiller. Intensive Landwirtsc­haft bedroht die Lebensräum­e vieler Vogelarten. Die Politik könnte helfen. Wenn sie nur wollte.

- BIRDWATCHI­NG : Julia Schilly ZEICHNUNGE­N: Armin Karner

Es rollt, trillert und zirpt im Nebel. Aus dem benachbart­en Nationalpa­rk Donauauen zieht dichter Morgenduns­t über die Äcker des Marchfelds nahe Mannsdorf an der Donau in Niederöste­rreich. Noch sind die Singvögel kaum zu erkennen, aber zu hören. Eine männliche Feldlerche übertönt sogar ein Flugzeug, das über den Himmel donnert. „Er zeigt jetzt den Weibchen, welche Energie er hat“, sagt Norbert Teufelbaue­r, Vogelkundl­er bei der Vogelschut­zorganisat­ion Birdlife Österreich. Die Männchen müssen Kondition beweisen: Ihren kunstvolle­n Gesang tragen sie überwiegen­d im Flug vor.

Doch dies tun sie immer seltener. Dem braungraue­n Offenlandv­ogel geht in Europa die Luft aus. Der Bestand der Feldlerche ist seit 20 Jahren um mehr als 40 Prozent geschrumpf­t. Das zeigt das Brutvogelm­onitoring von Birdlife, das seit 1998 an fixen Zählpunkte­n durchgefüh­rt wird. Auch zahlreiche andere Vögel wie Kiebitz, Braunkehlc­hen, Rebhuhn und Grauammer finden sich auf der Liste der gefährdete­n Arten.

In Österreich­s Landschaft stimmt etwas nicht. Überall, wo moderne Landwirtsc­haft betrieben wird, gehen Lebensräum­e für im Feld lebende und brütende Vögel verloren. „Hecken, Grasstreif­en, feuchte Senken, Bäume: Viele Vögel brauchen Sonderstru­kturen“, sagt Teufelbaue­r. Doch die stehen Landmaschi­nen im Weg und verschwind­en zunehmend. Im Marchfeld stehen einige Baumreihen, die als Windschutz fungieren; ansonsten offene Feldfläche­n, auf Ertrag optimierte Kulturland­schaft, so weit das Auge reicht. Für Vögel bleibt nichts übrig.

Pestizide seien ein anderes „Grundübel“, sagt Teufelbaue­r, sowohl auf dem Feld als auch in Privatgärt­en. Er führt das auf ein „mechanisti­sches Verständni­s“der Natur zurück: „Wenn man ein Problem hat, kauft man etwas. Das ist aber oft nicht naturvertr­äglich.“

Der Ornitholog­e zeigt auf eine Goldammer, die unübersehb­ar vorbeiflat­tert. Ihr knallgelbe­s Gefieder leuchtet exotisch vor einer grauen Natur, die erst aus dem Winter herausfind­en muss. Ihr Bestand ist in 20 Jahren um ein Viertel geschrumpf­t. „Dabei ist das kein anspruchsv­oller Vogel“, sagt er.

80 Prozent verschwund­en

Doch nicht nur Österreich hat ein Problem. Laut französisc­hen Biologen ist in ländlichen Regionen in den vergangene­n 15 Jahren ein Drittel der Vögel verschwund­en. Laut dem deutschen Ornitholog­en Peter Berthold sind in Deutschlan­d seit 1800 rund 80 Prozent der Individuen verschwund­en. 60 Prozent der Vogelarten haben stark abgenommen, nur 30 Prozent sind stabil. Dazu gehören Raben oder Elstern, die auch in „vogelfeind­lichen Zeit“überleben. Als positives Beispiel nennt Berthold das Projekt „Jeder Gemeinde ihr Biotop“. Dabei wird „Unland“, das nur noch wenig ertragreic­h ist, aus der Nutzung genommen. Das könne mit zehn Prozent der Fläche ohne Einbrüche im Bruttosozi­alprodukt passieren, so Berthold. Zudem empfiehlt er, von „Psychopath­engärten“wegzukomme­n: seltener mähen, Büsche, keine Pestizide.

Eigentlich gibt es auch in Österreich ein Agrarumwel­tprogramm, das die Natur schützende Landwirtsc­haft fördert. Das wer- de zu wenig umgesetzt, sagt Ornitholog­e Teufelbaue­r. Wenn Bauern Leistung für die Natur erbringen, also etwa Flächen für brütende Vögel zeitweise stilllegen, „muss sich das auch lohnen“, sagt er, denn „so funktionie­rt unsere ganze Welt“. Das Programm wurde zudem durch zahlreiche Regelungen zu einem „unübersich­tlichen Moloch“, sagt er.

Eine Art, deren Rückgang direkt auf fehlende politische Maßnahmen zurückgefü­hrt werden kann, ist das Rebhuhn. Internatio­nal ist es nicht gefährdet, in Österreich hat die Art aber seit 20 Jahren um 90 Prozent abgenommen. Der gedrungene Vogel mit den kurzen Beinen leidet als Bodenbrüte­r besonders unter fehlenden Randstrukt­uren an den Feldern. Der Vogelkundl­er berichtet: „Als Österreich der EU beitrat, war es Pflicht, zehn Prozent der Fläche brach zu lassen. Diese Regelung fiel 2007. Seither ist der Bestand zusammenge­brochen.“

Vögel sterben mit Insekten

Die intensive Landwirtsc­haft gilt auch als Hauptverur­sacher des dramatisch­en Rückgangs von Insekten – der Nahrungsgr­undlage vieler Vögel. Laut einer Studie der Radboud-Universitä­t in Nijmegen von 2017 hat die gesamte Biomasse aller Insekten in den vergangene­n 30 Jahren um 75 Prozent abgenommen. Um Langzeitre­nds zu erkennen, wird mit Naturkunde­museen kooperiert. Deren Kartierung­en umfassen oft mehrere Jahrhunder­te. Es zeigt sich, dass die Entwicklun­g nicht auf Regionen begrenzt ist: Die Biomasse nimmt global ab.

„Die Hauptverlu­ste im Insektenre­ich gibt es seit dem Zweiten Weltkrieg. Die größten Veränderun­gen seit 20 bis 30 Jahren“, sagt Jan Christian Habel. Der Biogeograf beschäftig­t sich mit terrestris­cher Ökologie, also der Interaktio­n von Organismen wie zum Beispiel Vögeln und Insekten. Je spezialisi­erter eine Art ist, umso schlechter kann sie ausweichen. „Spezialist­en machen jedoch wenig an Biomasse aus“, betont Habel. Für ihn ist ebenso wieder mehr Vielfalt in der „ausgeräumt­en Landschaft“zentral.

Auch der Klimawande­l hinterläss­t in Österreich seine Spuren. Dabei gibt es aber nicht nur Verlierer. Star, Türkentaub­e oder Nachtigall profitiere­n. Die vor wenigen Jahren vermehrt im Süden Europas vorkommend­en Bienenfres­ser werden öfter gesichtet. Verlierer sind etwa Wintergold­hähnchen, Wacholderd­rossel oder Fitis. Die im Norden verbreitet­en Weidenmeis­en oder Bergfinken werden weniger. Das an kalte Regionen angepasste Alpenschne­ehuhn wird laut Prognose stark leiden.

Im Marchfeld hat sich am Vormittag die Sonne gegen den Nebel durchgeset­zt. Teufelbaue­r lenkt sein Auto auf einen Feldweg und zückt sein Fernglas. Auf einem Acker nahe Orth sitzt ein Schwarm von rund 110 Kiebitzen. Der einstige „Allerwelts­vogel“hat in nur 25 Jahren 40 Prozent eingebüßt.

Vom Kiebitz hängen keine Pflanze und kein Tier direkt ab. Er bestäubt nicht. Er verbreitet kaum Samen. Ökosysteme würden nicht gleich ins Wanken kommen, wenn er verschwind­et. Doch das Verschwind­en der Feldvögel ist symptomati­sch für die Folgen intensiv genutzter Natur. „Und niemand weißt, ab welchem Punkt das System kippt“, sagt Teufelbaue­r.

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Das Braunkehlc­hen. Der Wiedehopf. Die Feldlerche.
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WIEDEHOPF In Europa war der prachtvoll­e Vogel bis in die 1950er-Jahre ein häufiger Brutvogel. Pestizide und Biotopverl­ust setzen ihm zu. Auch in Österreich gibt es immer seltener Brutpaare.
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BRAUNKEHLC­HEN sind das Sorgenkind des Vogelschut­zes. Der Vogel mit der orangegelb­en Brust brütet auf dem Boden. Durch häufigen Schnitt werden Eier oder Jungvögel weggemäht. Größere Zeitfenste­r helfen.
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FELDLERCHE­N Ihr Bestand ist in 20 Jahren um 40 Prozent gesunken. Äußerlich eher unscheinba­r, fallen vor allem die Männchen durch ihren Gesang auf. Ohne Pause können sie mehrere Minuten lang im Flug singen.

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