Der Standard

Wir wünschen allen Leserinnen und Lesern frohe Ostern!

Buben und Mädchen mit vielen verschiede­nen kulturelle­n Hintergrün­den besuchen Wiens Kindergärt­en. Zu Ostern basteln und färben trotzdem alle wie wild. Die Religion muss dabei aber vor der Tür bleiben – egal welche.

- Oona Kroisleitn­er

Große Augenpaare starren in einen kleinen Topf, der auf einer Herdplatte mitten im Raum steht. Bunte Holzbauklö­tze, Stofftiere und Figuren, die wohl bei einem Brettspiel fehlen, säumen den blauen Teppich. An den großen Fenstern klebt aus grünem Papier geschnitte­nes Gras. Kleine braune Papphasen schielen zwischen den Halmen hervor. „Geht bitte alle einen Schritt zurück, es wird jetzt heiß“, mahnt eine Pädagogin, die das Geschehen überwacht. Im Gefäß auf dem Tisch blubbert Wasser, darin sind ein paar weiße Eier. Ein Mädchen schneidet rote Rüben vorsichtig in Rechtecke und wirft sie in den Topf. „Die Eier werden jetzt rot“, erklärt eine Fünfjährig­e aufgeregt. Im Kindergart­en in der Wiener Bernoullis­traße 7 werden die Ostereier mit Farben aus der Natur gefärbt. „Nachher nehmen wir das“, sagt ein rothaarige­r Bub und zeigt auf eine Packung Kurkuma, das den Eiern eine gelbe Farbe verleiht.

Tradition und Jahreszeit

Fünf Tage setzen sich die Kinder im Alter zwischen einem und fünf Jahren in der Wiener Donaustadt spielerisc­h mit Ostertradi­tionen auseinande­r. „Es geht in der Aktionswoc­he um offenes, gruppenübe­rgreifende­s Arbeiten“, sagt Sabine Nicham, Leiterin des Kindergart­ens: „Wir widmen uns den Traditione­n und der Jahreszeit.“Bei den Kindern zu Hause werden Bräuche kaum praktizier­t. „Die Kinder sollen sehen, wie die Eier Farbe bekommen und dass man sie nicht nur bunt im Supermarkt kaufen kann“, sagt Nicham.

„Traditione­n und Feste haben im Kindergart­en eine große Bedeutung“, sagt man in der zuständige­n Magistrats­abteilung 10: „Es stehen eine Reihe von Festen auf der Tagesordnu­ng. Dazu gehört auch Ostern“, bestätigt deren Sprecherin Karin Jakubowicz. Wiederkehr­ende Bräuche und Rituale ermöglicht­en es Kindern, eine „erste wichtige zeitliche Orientieru­ng im Jahresverl­auf“zu bekommen. Der „Verlust christlich­er Werte“, wie ihn die FPÖ beim umstritten­en Besuch des Weihnachts­manns fürchtet, ist beim Osterhasen kein Thema.

Das Mädchen, das an den Rüben gewerkt hat, berichtet, wie sie da- heim Eier färbt. Mit wem? „Mit der Mama.“Die Pädagogin schaut ungläubig. Im Detail wackelt die Geschichte. „Unwahrsche­inlich“sei das Erzählte von den vielen bunten Kugeln. „Das passt nicht zum kulturelle­n Hintergrun­d“, sagt die Pädagogin über das Mädchen mit muslimisch­en Wurzeln. „Oft erzählen Kinder in dem Alter etwas, von dem sie gern hätten, dass es stimmt“, betont Nicham: „Es ist keine Lüge, mehr ein Wunsch.“

Der Osterhase kommt religionsb­edingt auch nur zu einem Teil der Gruppe. „Meine Oma hat ihm einen Brief geschickt“, sagt ein Mädchen mit brünettem Zopf bei einer Runde Malefiz. Sie kann selbst noch nicht schreiben, daher muss die Oma ran. Der Brief an den Hasen umfasst mehr als nur bunte Eier. „Ich wünsch mir drei Einhornsac­hen.“Diese Aussage führt zu energische­m Kopfschütt­eln und einem ungläubige­n Blick auf der anderen Seite des orangen Spielbrett­s. Bei ihrer Freundin bringt der Osterhase nämlich keine Geschenke. Im Nest liegen Eier und Schokolade – hoffentlic­h mit Nüssen. Ob ein Hase lesen kann? „Ja. Sonst würde man ihm ja keinen Brie-hief schreiben“, sagt die junge Diktantin augenrolle­nd.

Ausgeblase­ne Eier

Neben dem Eingang des Kindergart­ens in der Donaustadt hängt ein Zettel, der die Eltern darauf hinweist, dass sie dem Nachwuchs fünf ausgeblase­ne und ausgekocht­e Eier mitgeben sollen. Dabei findet man eine Anleitung, wie man das Gelbe und das Weiße am ein- fachsten aus dem Ei pustet. In den Gruppenräu­men türmen sich Eierkarton­s. Die Eltern sind allesamt der Aufforderu­ng nachgekomm­en – unabhängig vom Hintergrun­d.

Bei den Großen kommt das leere Ei auf einen Spieß, der Spieß in die Bohrmaschi­ne. Ein Kind bedient diese, ein anderes hält den Pinsel dran. Bei den Kleinen ist das Prozedere einfacher: Farbe auf Plastikfol­ie, Ei drauf, einwickeln, auswickeln, staunen. Wofür die Eier gefärbt werden? Der Zeigefinge­r schnellt hoch, als würde sofort eine Erklärung folgen. Ein nachdenkli­cher Blick, Schulterzu­cken.

Die Ein- bis Dreijährig­en wissen es noch nicht oder haben es vergessen. Mit Ostern können sie nichts anfangen. „Für den Osterstrau­ch“, lautet die richtige Antwort bei den Älteren. Die können mehr mit der Osteractio­n anfangen.

Vieles, was in den Gruppen entsteht, wird mit nach Hause genommen. Der Brauch bleibt meist zurück. „Oft passt es einfach kulturell nicht“, sagt Nicham. Im Kindergart­en wird die Tradition von der Religion getrennt. „Es gehört zur österreich­ischen Kultur. Das Fest hat hier aber keinen religiösen Charakter, sondern einen dekorative­n“, sagt die Leiterin.

Was nicht mitgenomme­n wird, bleibt als Schmuck im Kindergart­en. Die bemalten Eier werden auf einen Osterstrau­ch aus Palmkätzch­en in der Aula gehängt. „Haben wir auch daheim“, sagt der Einhornfan. Kreuze oder andere religiöse Symbole wird man auf keinen Eiern finden. „Wenn ein Kind das Abbild des Papstes auf ein Ei malen will, ist das nicht verboten, aber wir werden es nicht zur Schau stellen“, sagt Nicham. Warum die Religion draußen bleibt? „Wir haben so viele Kinder mit den diverseste­n Hintergrün­den, Religionen und Kulturen“, sagt die Leiterin. Es gilt alle oder keine. Die Wahl fiel auf Letzteres: „Würden wir alle beachten, müssten wir wöchentlic­h ein anderes Fest feiern.“

Keine Konfession

Städtische Kindergärt­en verstehen sich als „nichtkonfe­ssionelle Bildungsei­nrichtung, die eine religionss­ensible Haltung und einen interrelig­iösen Bildungsau­ftrag“verfolgt, sagt Jakubowicz von der MA 10. Sie erklärt, worum es der Stadt, bürokratis­ch formuliert, geht: „Kinder mit verschiede­nen Aspekten von Religionen vertraut zu machen und ihnen im vergleiche­nden Miteinande­r zu ermögliche­n, ihre eigenen Ansichten und Lebensform­en zu finden.“Religionss­ensible Bildung setze bei Beobachtun­gen, Erfahrunge­n, Fragen und Auffassung­en der Kinder an. Die Funktion der Pädagogen beschränkt sich auf Anregung, Begleitung und Unterstütz­ung.

In der Kindergart­enaula in der Bernoullis­traße wird gekichert: „Sag uns, liebes Hühnchen: Welche Farbe ist die schönste?“Das Huhn, ein Bub mit Schnabelma­ske, entscheide­t sich für Gelb und versucht die kreischend­en Kinder mit einem gleichfarb­igen Tuch zu erwischen. „Bewegtes Lernen“, erklärt Nicham. Die Kinder spielen ein Ostermärch­en nach, über ein zu Beginn eingebilde­tes Henderl, das im Lauf der Geschichte alle Farben toll finden wird.

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Dass zu Ostern im Christentu­m die Auferstehu­ng Jesu gefeiert wird, wissen die Buben und Mädchen in Wiens Kindergärt­en nicht. Für sie zählt: Je mehr Farbe, desto besser das Ei. Religion spielt keine Rolle.

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