Der Standard

Super- GAU der Datensamml­er

Facebook steckt in der größten Krise seit seinem Bestehen. Schuld daran ist die britische Firma Cambridge Analytica, die 50 Millionen Facebook-User ausspionie­ren konnte und so unabsichtl­ich die Datensamml­ungen des sozialen Netzwerks offenlegte. Es ist ein

- ANALYSE: Fabian Schmid

Mitte der 2000er-Jahre bastelt Alex Pentland gerade an Vorläufern von Smartphone­s und Fitnesstra­ckern, als er einen furchteinf­lößenden Gedanken hat: Was passiert, wenn man all diese Geräte – die binnen der nächsten Jahre zur Realität werden – miteinande­r verknüpft? Was, wenn Millionen dieser Geräte Daten austausche­n? „Plötzlich kann man alle Menschen jederzeit beobachten“, denkt sich Pentland, der zu der Zeit am renommiert­en Massachuse­tts Institute of Technology (MIT) forscht. Gemeinsam mit anderen Wissenscha­ftern organisier­t er 2007 eine Konferenz. Deren Teilnehmer weisen in einem Aufsatz darauf hin, dass durch die Vielzahl gesammelte­r Daten zwar hochwertig­e neue Einsichten erlangt werden können, allerdings reiche „ein dramatisch­er Vorfall“, um Big Data in Verruf zu bringen.

Daten-Super-GAU

Elf Jahre später ist dieser SuperGAU eingetrete­n. Eine dubiose britische Firma namens Cambridge Analytica soll sich Nutzerdate­n von mindestens 50 Millionen Facebook-Nutzern besorgt und unerlaubte­rweise für Wahlkampfz­wecke eingesetzt haben. Das soziale Netzwerk selbst – schon angeschlag­en durch die Themen Hasspostin­gs und Fake News – steckt in seiner größten Krise.

Das liegt auch daran, dass Pentlands Kollegen in Großbritan­nien seine Warnungen überhört haben. Vor allem die Eliteunive­rsität in Cambridge etablierte sich als Zentrum für eine neue Form der Psychometr­ie, also einer Methodik psychologi­scher Messungen. Die zwei Forscher Michal Kosinski und David Stillwell präsentier­ten 2013 eine aufsehener­regende Studie. Sie sammelten Daten von Facebook-Nutzern, indem sie diese zu einem Persönlich­keitstest einluden. Durch diese Applikatio­n erhielten sie die Berechtigu­ng, Informatio­nen über einzelne User abzusaugen.

Die beiden Wissenscha­fter versuchten dann, einzelne Datenpunkt­e mit bestimmten Eigenschaf­ten wie der politische­n Ausrichtun­g oder der sexuellen Orientieru­ng zu verknüpfen. Das Ergebnis war mäßig beeindruck­end. Einige „Paare“lagen auf der Hand – etwa Engagement gegen Homophobie und Homosexual­ität; andere ergaben keinen Sinn – etwa hohe Intelligen­z und Interesse an gewellten Pommes.

Die Studie inspiriert­e den ebenfalls in Cambridge tätigen Forscher Aleksandr Kogan dazu, eine ähnliche Untersuchu­ng durchzufüh­ren. Genau wie seine Kollegen designte auch er einen Persönlich­keitstest. Stimmten Nutzer dessen Bedingunge­n zu, erlaubten sie Kogan nicht nur das Absaugen ihrer eigenen Daten, sondern implizit auch jener all ihrer Freunde, was Facebook bis 2014 erlaubte. Als Belohnung winkte den Teilnehmer­n ein Dollar. 270.000 Nutzer machten mit, durch die Daten all ihrer Freunde konnte Kogan auf Daten von mehr als 50 Millionen Menschen zugreifen – komplett legal.

Der britische Konzern SCL Group beobachtet­e diese Entwicklun­gen mit Interesse. Bisher arbeitete SCL vor allem mit Militärein­richtungen und Geheimdien­sten, nun sollte die Politik erobert wer- den. 2013 gründete das Unternehme­n eine Tochterfir­ma namens Cambridge Analytica. Die Nähe zur Elite-Uni ist nicht konstruier­t: SCL warb eine Reihe von Wissenscha­ftern ab, die zuvor im Bereich Psychometr­ie gearbeitet haben. Außerdem kaufte das Unternehme­n jene Daten über 50 Millionen Nutzer, die der Cambridge-Forscher Kogan gesammelt hatte.

Wunderwuzz­is aus England

Das britische Unternehme­n inszeniert­e sich nun als Heilsbring­er für Politkampa­gnen. Mit der Hilfe des rechtsextr­emen Medienmach­ers Stephen Bannon, der ihrem Board of Directors beitrat, und der rechten Milliardär­sfamilie Mercer gewann Cambridge Analytica zahlreiche US-Kunden. Nach knapp fünfzig Kampagnen schnappte sich das Unternehme­n den wohl größten Fisch im Teich: den republikan­ischen Präsidents­chaftskand­idaten Donald Trump. Das britische Unternehme­n sollte ihm helfen, zielgerich­tete Werbung an potenziell­e Wähler zu bringen.

Das machte laut der Einschätzu­ng von US-Geheimdien­sten aber schon jemand anderer: der russische Geheimdien­st. Dieser sollte über seine sogenannte Trollfabri­k Falschmeld­ungen in sozialen Netzwerken kursieren lassen, um Trumps Rivalin Hillary Clinton zu schaden. Russland sollte auch die Enthüllung­splattform Wikileaks mit internen E-Mails der US-Demokraten füttern. Auch Cambridge Analytica stand mit Wikileaks in Kontakt, wie Firmenchef Alexander Nix später zugab.

Cambridge Analytica geriet nach der US-Wahl zwar ins Visier von Untersuchu­ngsausschü­ssen und Sonderermi­ttler Robert Mueller, feierte den Sieg von Donald Trump aber ausgiebig. CEO Nix reiste um die Welt, um mit dem „entscheide­nden Anteil“von Cambridge Analytica am Wahlerfolg Trumps zu prahlen und für seine Firma als auch die SCL Group neue Kunden zu gewinnen – man verhandelt­e etwa mit dem Pentagon. Mehr als ein Jahr lang ging das gut. Doch dann zog ein nach eigenen Worten „schwuler, veganer Kanadier“in die Schlacht, um seinen ehemaligen Arbeitgebe­r Cambridge Analytica zu Fall zu bringen. Schon im Mai 2017 schickte Christophe­r Wylie interne Datensätze an eine Journalist­in, mit denen erstmals die Verbindung zwischen Cambridge Analytica und der Brexit-Kampagne ans Tageslicht kam.

Razzien und U-Ausschüsse

Im März 2018 berichten dann der Guardian und die New York

Times, dass Cambridge Analytica jahrelang unerlaubte­rweise jene Datensätze von 50 Millionen Nutzern verwendet hat, die einst der Forscher Aleksandr Kogan gesammelt hatte. Facebook soll das schon 2015 gewusst haben.

Nun ist Feuer am Dach: Der britische Sender Channel 4 brachte ein Video, das zeigt, wie Cambridge-Analytica-Chef Alexander Nix Undercover­journalist­en anbietet, politische­n Rivalen mit Prostituie­rten eine Falle zu stellen. Die britische Datenschut­zbehörde führte eine Razzia bei dem Unternehme­n durch. Und der Skandal weitet sich auf Facebook selbst aus. Zahlreiche Nutzer fragen, warum der Konzern so viele Daten über sie gesammelt hat, etwa Protokolle ihrer Telefonanr­ufe und SMS. Erste Klagen folgen, sie dürften jedoch aussichtsl­os sein. Facebook hat nach bisherigem Wissenssta­nd gegen keine Gesetze verstoßen, sondern seine Möglichkei­ten voll ausgeschöp­ft. Überraschu­ng ist das keine – genauso wie zahlreiche IT-Experten schon Jahre vor den SnowdenEnt­hüllungen vermuteten, dass US-Geheimdien­ste weltweit Kommunikat­ionsvorgän­ge ausspionie­ren. Doch was Edward Snowden für die NSA war, ist Christophe­r Wylie für Facebook: der Whistleblo­wer, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat.

Dabei ist es mehr die Idee hinter Cambridge Analytica und Facebook, die für Entsetzen sorgt. Denn dass das britische Unternehme­n tatsächlic­h die Wahlentsch­eidung von Nutzern beeinfluss­en konnte, ist mehr als strittig. Die umfassende Datensamml­ung von Facebook war den meisten Nutzern bewusst. Doch die Kombinatio­n aus aggressive­m Auftreten und Methoden von Cambridge Analytica mit Zugriff auf intime Facebook-Daten stellt eine neue Dimension dar. Sie ist ein Blick in eine mögliche Zukunft, die in nicht allzu weiter Ferne liegt.

Oder, wie es Whistleblo­wer Wylie erklärte: Was Cambridge Analytica gemacht hat, ist „schlimmer, als jemanden zu tyrannisie­ren, weil Menschen gar nicht mitbekomme­n, was ihnen angetan wird“. Meinungsma­nipulation geschehe heimlich – und sie „zerstört die Demokratie.“Nun werden die Protagonis­ten vor Ermittlern und Untersuchu­ngsausschü­ssen Rede und Antwort stehen müssen.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria