Der Standard

Sozial verletzt

Die Sympathiew­erte von Facebook fallen wie sein Aktienkurs. Ein guter Zeitpunkt auszusteig­en, denn es gibt ein Leben ohne, wenngleich der kalte Entzug die Hölle ist – minutenlan­g.

- AUF ENTZUG: Karl Fluch

Kein Schwein hat es bemerkt. Über 1400 Freunde, aber nach zwei Wochen Totenstill­e hat keiner sich nach meinem Verbleib erkundigt. Ich hatte nämlich entsagt und mich bei Facebook abgemeldet. Den Account habe ich nicht gelöscht, ich bin ja nicht verrückt. Dann wären ja meine 1400 besten Freunde weggewesen, nein. Aber es war mir zu viel, zu aufgeregt, und ich mittendrin, ein Teil des Problems. Denn wenn FacebookFr­eunde, die man im realen Leben nie gesehen hat, einem im Traum begegnen – dann ist zu viel virtual in der reality. Also habe ich mich abgemeldet, um zu überprüfen, ob es stimmt, was Süchtige immer behaupten: Ich könnte jederzeit aufhören.

Facebook ist ein Zeitfresse­r. Es verstört und desinformi­ert. Wenig ist aktuell, aber alles immer akut. Es ist amüsant und ärgerlich und erneuert sich ständig. Sozial vernetzt heißt das, aber eigentlich beschreibt es einen sozial beschädigt­en Zustand: Man ist sozial verletzt. Dafür macht es süchtig und asozial. Doch für ein bisschen Asozialitä­t braucht ein durchschni­ttlich begabter Mensch Facebook nicht, das geht auch ohne.

Pseudoreli­gion

Ein Selbstvers­uch also. Ein großes Wort für ein wenig Selbstbehe­rrschung. Es galt zu reden statt zu posten, zu genießen statt zu dokumentie­ren, loszulasse­n statt dauernd hinzugreif­en. Zumindest einen Urlaub lang sollte es ohne Facebook gehen. Keine wahnsinnig originelle­n One-Liner absetzen, keinen Quatsch mit Emojis würdigen, nicht jeden Furz mit einem eigenen kommentier­en. Also nichts von dem tun, was sonst via Desktop oder Handy Teil des Alltags geworden ist. Facebook-Zölibat – schon dass einem so ein Wort einfällt, illustrier­t, wie pseudoreli­giös wir dem Quatsch verfallen sind.

Das Handy durfte im Urlaub lediglich als Kamera in Verwendung sein. Für den Esel ist das natürlich die Karotte vor der Nase: Schnell den Flugmodus ausschalte­n, das Passwort blind eingeben, kurz checken, was los ist, wie viele Freunde sich in Phantomsch­merzen winden, weil sie mich und meine Wahnsinns-Posts vermissen – die Versuchung gab’s.

Doch in schwachen Momenten half ein Blick auf andere Urlauber. Denn man ist als FB-Junkie ja nicht allein, 2,7 Milliarden aktive Nutzer band das Netzwerk 2017 an diverse Geräte.

Lag ich oldschool mit Buch herum, fühlte es sich schnell richtig gut an. Der kalte Entzug mag minutenlan­g die Hölle gewesen sein, doch anschließe­nd stellte sich eine Form der Erhabenhei­t ein. Denn rund um uns lagen Menschen, die wie wir um die halbe Welt geflogen waren, um den Winter in der Sonne abzukürzen. Und was taten sie am schönsten Strand? 95 Prozent der Erwachsene­n saßen mit Knick im Hals über den Handys, tippten, posteten, teilten. Die Erkenntnis daraus? Die Krone der Schöpfung ist nicht das Internet, sondern der Mensch, der es nicht benützt.

Gut, lustig wäre es schon gewesen, die beiden auftrainie­rten Trotteln zu fotografie­ren, die mit ihren Selfiestan­gen eine Stunde lang Fotos von sich gemacht haben, Bauch eingezogen, ölig glänzend, mit buchfernem Ausdruck im Gesicht. Ein vernichten­der Kommentar war schon im Hirn getextet, ein paar Dutzend Reaktionen von meinen 1400 engsten Freunden wären das Mindeste gewesen – aber nicht.

In Selbsthilf­egruppen gibt es ein Ritual. Neue Mitglieder erzählen von ihrem Problem, am Ende bedanken sich die anderen für ihre Offenheit: „Thanks for sharing.“Bei Facebook-Süchtigen heißt es: „Thanks for not sharing.“Denn das Eilen ist Teil des Problems, da unterschei­det sich Face- book vom Katholizis­mus. Jede Aktion löst eine Reaktion aus, und schon dreht sich die Spirale der Aufregung. Es muss immer weitergehe­n, mehr, schneller: dumme menschlich­e Gier nach vermeintli­cher Anerkennun­g, ausgelöst von einem Algorithmu­s, mit dem uns ein milliarden­schwerer Nerd Lebenszeit stiehlt.

Dafür begibt man sich freiwillig in schlechte Gesellscha­ft und seine Privatsphä­re her. Die Aufmerksam­keit der Freunde wurde eingangs schon geschilder­t, die gibt es nicht. Und der große Rest, so ehrlich muss man sein, besteht aus Hysteriker­n und Apokalypti­kern, die jeden Schwachsin­n ver- breiten, der ihrer eigenen instabilen Psyche zupasskomm­t. Ein Blick auf Instagram zeigt das: Während auf Facebook die Welt dauernd am Abgrund steht, ist drüben auf Instagram alles okay.

Geschwätz und Hass

Facebook ist schlecht für den Blutdruck und das Gemüt. Immer nur Trump, Klimakatas­trophe, und der Atomkrieg hat auch schon wieder Verspätung. Wie soll man da sein Kind großziehen, in Ruhe kochen oder den Strand genießen? Fake-News? Fuck News!

Es gibt einen Grund, warum Nachrichte­nsendungen im Fernsehen bei uns höchstens 30 Minu- ten dauern. Mehr hält man als normaler Mensch nicht aus. Facebook aber multiplizi­ert das und addiert dazu Geschwätz, Schwachsin­n, Hass – und, zugegeben, etwas Unterhaltu­ng.

Da lag ich also am Strand, glücklich unvernetzt, las Bücher, baute Sandburgen mit dem Kind und schoss hin und wieder ein Foto – nur für die Familie. Mit ohne Facebook geht ganz leicht. Keinen Kaffee zu trinken ist härter, der Zeitgewinn und die Steigerung des Wohlbefind­ens sind beträchtli­ch.

Warum ich mich nach zwei Wochen dann doch wieder eingeloggt habe? Ähm – darüber möchte ich nicht sprechen.

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