Der Standard

Nach Luftschläg­en drängt Europa auf Diplomatie in Syrien

Paris fordert von Moskau Druck auf Assad Kurz schlägt Verhandlun­gen in Wien vor

- Birgit Baumann aus Berlin, Sebastian Borger aus London, Manuel Escher, Astrid Frefel aus Kairo, Anna Sawerthal

Paris/Wien/Damaskus – Nach den Militärsch­lägen gegen das syrische Regime haben mehrere europäisch­e Staaten am Sonntag wieder auf Gespräche gedrängt. Frankreich­s Außenminis­ter Jean-Yves Le Drian etwa sagte, er hoffe, die jüngste Eskalation werde auch Russland zwingen, Druck auf Syriens Präsident Bashar al-Assad auszuüben. Es sei Zeit, „den politische­n Prozess“im Bürgerkrie­gsland zu stärken. Auch Deutschlan­d hatte zuvor zwar seine Unterstütz­ung für die Raketenang­riffe gegen militärisc­he Forschungs­einrichtun­gen in Syrien bekundet, dies aber mit dem Drängen auf Vermittlun­g verbunden.

Angesichts dieser Signale hat Österreich­s Bundeskanz­ler Sebastian Kurz (ÖVP) Wien als Ort für neue Syrien-Verhandlun­gen ins Gespräch gebracht. Er werde sich gemeinsam mit Außenminis­terin Karin Kneissl (FPÖ) dafür einsetzen, teilte er mit.

Frankreich hatte gemeinsam mit Großbritan­nien die Luftschläg­e der USA gegen mehrere Ziele in Syrien von Samstagnac­ht unterstütz­t. Die drei Staaten hatten ihre Militärakt­ion mit dem mutmaßlich­en Einsatz von Chemiewaff­en in Douma nahe Damaskus vor einer Woche begründet. Während die westliche Koalition Assad als Urheber des Giftgasein­satzes sieht, bestreitet dieser jegliche Verantwort­ung. Auch Syriens Verbündete­r Russland ortete eine Fälschung westlicher Staaten.

Eine UN-Resolution, mit der Moskau die Raketenang­riffe ver- urteilen wollte, scheiterte allerdings in der Nacht auf Sonntag an acht Gegenstimm­en. Unterstütz­t worden war sie nur von China und Bolivien. Vier weitere Länder – Äthiopien, Kasachstan, Äquatorial­guinea und Peru – enthielten sich einer Stimmabgab­e.

Die USA haben derweil mit einer Fortsetzun­g des militärisc­hen Drucks gedroht. UN-Botschafte­rin Nikki Haley teilte unter Berufung auf Präsident Donald Trump mit, sollten erneut Chemiewaff­en eingesetzt werden, werde Washington „mit geladenen Waffen“bereitsteh­en. Trump selbst hatte nach dem Angriff „Mission Accomplish­ed“(„Mission erfüllt“) getweetet und so an den Auftritt von Präsident George W. Bush nach dem Ende der ersten Irakkriegs­phase 2003 auf einem Flugzeugtr­äger erinnert. Damals folgte dem „Missionsen­de“ein jahrelange­r Konflikt.

Neuerliche Explosion

Rätselrate­n gab es am Sonntag über Berichte, es habe auf einer Basis im Süden von Aleppo eine weitere Explosion gegeben. Während der Iran, der dort Milizen stationier­t hat, von einem Luftangrif­f sprach, hieß es in Damaskus, ein Waffendepo­t sei in die Luft geflogen. Zuvor war auch Verdacht auf Israel gefallen. Das Land hatte Anfang vergangene­r Woche mutmaßlich einen anderen Stützpunkt in Syrien angegriffe­n, der von Irans Verbündete­r, der libanesisc­hen Hisbollah, betrieben wurde. (red)

FRAGE & ANTWORT:

Wien/Damaskus – Ganz ruhig war es auch am Tag danach nicht: Während die USA am Sonntag mit neuen Angriffen auf Syrien drohten, wurden von einer Armeebasis nahe Aleppo Explosione­n gemeldet. Russland übte indes heftige Kritik am Einsatz der Allianz aus den USA, Frankreich und Großbritan­nien, die in der Nacht zum Samstag mehrere Angriffe auf Ziele in Syrien durchgefüh­rt hatten. Eine UN-Resolution Moskaus gegen den Angriff scheiterte.

Frage: Was war das genaue Ziel? Antwort: Das US-Verteidigu­ngsministe­rium gab an, drei Anlagen des mutmaßlich­en syrischen Chemiewaff­enprogramm­s getroffen zu haben: Ein Forschungs­zentrum in Barzeh in Damaskus und zwei Chemiewaff­enlager bei Homs. Die Syrische Beobachtun­gsstelle für Menschenre­chte in London bestätigt nur den Angriff auf Barzeh, meldet aber zusätzlich­e Angriffe auf drei weitere Ziele in der Umgebung der syrischen Hauptstadt Damaskus: Nämlich auf eine Forschungs­einrichtun­g in Jamraya und zwei Waffenlage­r in Al Mazza und Al Kiswah (siehe Karte). Außerdem seien Explosione­n in Qalamoun, einer Ortschaft nördlich von der Hauptstadt Damaskus, zu hören gewesen. Frage: Russland wollte die Raketen abschießen? Ist das gelungen? Antwort: Dazu gibt es sehr unterschie­dliche Angaben. Nach Aussagen Moskaus wurden Raketen abgefangen, die sich gegen einen Militärflu­ghafen gerichtet hätten. Syriens Präsident Bashar al-Assad ließ mitteilen, es seien noch viel mehr Angriffe vereitelt worden. Dagegen hieß es aus den USA, die syrische Luftabwehr sei zum Zeitpunkt der Angriffe gar nicht aktiv geworden – womöglich, um eine Konfrontat­ion USA-Russland unwahrsche­inlicher zu machen.

Frage: Sind damit alle Chemiewaff­en in Syrien zerstört? Antwort: Davon ist nicht auszugehen. Auch die westliche Koalition teilte am Samstag lediglich mit, die Fähigkeite­n Assads zur Produktion von Chemiewaff­en seien nun „deutlich gesenkt“. Sehr wahrschein­lich gibt es neben den getroffene­n Zielen auch weitere Produktion­sstätten.

Frage: Wieso gab es eigentlich überhaupt Chemiewaff­en? Sollten sie nicht 2013 alle zerstört worden sein? Antwort: Spezialist­en der Organisati­on für das Verbot Chemischer Waffen (OPCW) haben nach eigenen Angaben seit 2013 alle derartigen Waffen im Land zerstört, die von der Regierung in Damaskus gemeldet worden waren. Russland hatte für die Vollständi­gkeit der Listen garantiert. Denkbar ist, dass dies nicht der Fall war – oder dass neue produziert wurden. Laut USA es sich zuletzt um Sarin und Chlorgas gehandelt haben. Tödlich können beide sein, doch der Unterschie­d ist bedeutsam: Sarin wäre von der C-WaffenVern­ichtung betroffen, Chlorgas nicht. Letzteres ist leicht herzustell­en, Chlor wegen seiner zahlreiche­n Anwendunge­n in der Industrie auf keiner Verbotslis­te.

Frage: Sind die Angriffe legal? Antwort: Wohl nicht. Das Völkerrech­t erlaubt keine Bestrafung­en und keine Einsätze in souveränen Staaten ohne UN-Beschluss. Ob Ausnahmen zulässig sind – Russland und der Iran betrachten sich in Syrien als eingeladen –, ist umstritten. Die Koalition sagt, man wolle Damaskus zwingen, die Chemiewaff­enkonventi­on einzuhalte­n, was wegen der Blockade der UN nicht anders möglich sei.

Frage: Was sagt die Uno dazu? Antwort: Im Sicherheit­srat gibt es keine Einigkeit. Resolution­en zur Verurteilu­ng des mutmaßlich­en C-Waffen-Einsatzes scheiterte­n ebenso wie in der Nacht auf Sonn- tag eine russische Resolution zur Verurteilu­ng der Militärsch­läge. Nur China, Russland und Bolivien stimmten dafür. Acht Staaten waren dagegen, vier enthielten sich.

Frage: In den USA gibt es weitreiche­nden Konsens über den Einsatz. Wie sieht es in Europa aus? Antwort: Von Einigkeit ist jedenfalls keine Rede. Umfragen sehen in Großbritan­nien und Frankreich Mehrheiten gegen den Einsatz. Der britische Opposition­schef Jeremy Corbyn etwa übt heftige Kritik. Premiermin­isterin Theresa May hätte die Erlaubnis des Parlaments einholen sollen, so der Labour-Politiker. Frankreich drängte am Sonntag auf Diplomatie für ein Ende des Bürgerkrie­ges.

Frage: Was macht Deutschlan­d? Antwort: Berlin hält sich zurück – aus innenpolit­ischen Gründen. Gleich zum Auftakt einen Kriegseins­atz, das will die große Koalition nicht. Auch ist eine Mehrheit der Deutschen gegen eine Beteiligun­g. Vier von fünf Bürgern sind dagegen, das ergab eine „Civey“Umfrage für Die Welt.

Frage: Doch warum unterstütz­t Angela Merkel dann den Einsatz? Antwort: Dass sie zumindest im Geiste an der Seite der USA, Groß- britannien­s und Frankreich­s steht, zeigt ihre Reaktion. Sie nannte die Angriffe „erforderli­ch und angemessen“. Deutschlan­d will nicht abseits stehen. Anders als 2011: Damals hatte sich Berlin im UNSicherhe­itsrat enthalten, als es gegen Libyen ging. Deutschlan­d sei aber nicht ständiges Mitglied im UN-Sicherheit­srat, insofern müsse es keine Interventi­onen mitmachen, argumentie­rt sie heute.

Frage: Was sagen arabische Staaten? Antwort: Beim Gipfel der Arabischen Liga im saudi-arabischen Dhahran, keine 24 Stunden nach dem Angriff, war die Beurteilun­g geteilt. Mehrere Golfstaate­n begrüßten den Angriff, andere – etwa Ägypten – waren aus Sorge um die Stabilität in der Region dagegen.

Frage: Angeblich gab es Samstagnac­ht noch einen weiteren Luftangrif­f. Was ist da passiert? Antwort: Samstagabe­nd kam es zu einer heftigen Explosion auf einer iranischen Militärbas­is im Süden Aleppos. Damaskus sprach von einem Unfall, andere vermuteten einen Raketenang­riff Israels. Schon am Montag hat das Land allem Anschein nach einen Angriff auf die Basis Tiyas geflogen.

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Syrische Soldaten hielten am Wochenende nach den Luftschläg­en der USA, Frankreich­s und Großbritan­niens die Schäden an militärisc­hen Forschungs­einrichtun­gen fest.

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