Nach Luftschlägen drängt Europa auf Diplomatie in Syrien
Paris fordert von Moskau Druck auf Assad Kurz schlägt Verhandlungen in Wien vor
Paris/Wien/Damaskus – Nach den Militärschlägen gegen das syrische Regime haben mehrere europäische Staaten am Sonntag wieder auf Gespräche gedrängt. Frankreichs Außenminister Jean-Yves Le Drian etwa sagte, er hoffe, die jüngste Eskalation werde auch Russland zwingen, Druck auf Syriens Präsident Bashar al-Assad auszuüben. Es sei Zeit, „den politischen Prozess“im Bürgerkriegsland zu stärken. Auch Deutschland hatte zuvor zwar seine Unterstützung für die Raketenangriffe gegen militärische Forschungseinrichtungen in Syrien bekundet, dies aber mit dem Drängen auf Vermittlung verbunden.
Angesichts dieser Signale hat Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) Wien als Ort für neue Syrien-Verhandlungen ins Gespräch gebracht. Er werde sich gemeinsam mit Außenministerin Karin Kneissl (FPÖ) dafür einsetzen, teilte er mit.
Frankreich hatte gemeinsam mit Großbritannien die Luftschläge der USA gegen mehrere Ziele in Syrien von Samstagnacht unterstützt. Die drei Staaten hatten ihre Militäraktion mit dem mutmaßlichen Einsatz von Chemiewaffen in Douma nahe Damaskus vor einer Woche begründet. Während die westliche Koalition Assad als Urheber des Giftgaseinsatzes sieht, bestreitet dieser jegliche Verantwortung. Auch Syriens Verbündeter Russland ortete eine Fälschung westlicher Staaten.
Eine UN-Resolution, mit der Moskau die Raketenangriffe ver- urteilen wollte, scheiterte allerdings in der Nacht auf Sonntag an acht Gegenstimmen. Unterstützt worden war sie nur von China und Bolivien. Vier weitere Länder – Äthiopien, Kasachstan, Äquatorialguinea und Peru – enthielten sich einer Stimmabgabe.
Die USA haben derweil mit einer Fortsetzung des militärischen Drucks gedroht. UN-Botschafterin Nikki Haley teilte unter Berufung auf Präsident Donald Trump mit, sollten erneut Chemiewaffen eingesetzt werden, werde Washington „mit geladenen Waffen“bereitstehen. Trump selbst hatte nach dem Angriff „Mission Accomplished“(„Mission erfüllt“) getweetet und so an den Auftritt von Präsident George W. Bush nach dem Ende der ersten Irakkriegsphase 2003 auf einem Flugzeugträger erinnert. Damals folgte dem „Missionsende“ein jahrelanger Konflikt.
Neuerliche Explosion
Rätselraten gab es am Sonntag über Berichte, es habe auf einer Basis im Süden von Aleppo eine weitere Explosion gegeben. Während der Iran, der dort Milizen stationiert hat, von einem Luftangriff sprach, hieß es in Damaskus, ein Waffendepot sei in die Luft geflogen. Zuvor war auch Verdacht auf Israel gefallen. Das Land hatte Anfang vergangener Woche mutmaßlich einen anderen Stützpunkt in Syrien angegriffen, der von Irans Verbündeter, der libanesischen Hisbollah, betrieben wurde. (red)
FRAGE & ANTWORT:
Wien/Damaskus – Ganz ruhig war es auch am Tag danach nicht: Während die USA am Sonntag mit neuen Angriffen auf Syrien drohten, wurden von einer Armeebasis nahe Aleppo Explosionen gemeldet. Russland übte indes heftige Kritik am Einsatz der Allianz aus den USA, Frankreich und Großbritannien, die in der Nacht zum Samstag mehrere Angriffe auf Ziele in Syrien durchgeführt hatten. Eine UN-Resolution Moskaus gegen den Angriff scheiterte.
Frage: Was war das genaue Ziel? Antwort: Das US-Verteidigungsministerium gab an, drei Anlagen des mutmaßlichen syrischen Chemiewaffenprogramms getroffen zu haben: Ein Forschungszentrum in Barzeh in Damaskus und zwei Chemiewaffenlager bei Homs. Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte in London bestätigt nur den Angriff auf Barzeh, meldet aber zusätzliche Angriffe auf drei weitere Ziele in der Umgebung der syrischen Hauptstadt Damaskus: Nämlich auf eine Forschungseinrichtung in Jamraya und zwei Waffenlager in Al Mazza und Al Kiswah (siehe Karte). Außerdem seien Explosionen in Qalamoun, einer Ortschaft nördlich von der Hauptstadt Damaskus, zu hören gewesen. Frage: Russland wollte die Raketen abschießen? Ist das gelungen? Antwort: Dazu gibt es sehr unterschiedliche Angaben. Nach Aussagen Moskaus wurden Raketen abgefangen, die sich gegen einen Militärflughafen gerichtet hätten. Syriens Präsident Bashar al-Assad ließ mitteilen, es seien noch viel mehr Angriffe vereitelt worden. Dagegen hieß es aus den USA, die syrische Luftabwehr sei zum Zeitpunkt der Angriffe gar nicht aktiv geworden – womöglich, um eine Konfrontation USA-Russland unwahrscheinlicher zu machen.
Frage: Sind damit alle Chemiewaffen in Syrien zerstört? Antwort: Davon ist nicht auszugehen. Auch die westliche Koalition teilte am Samstag lediglich mit, die Fähigkeiten Assads zur Produktion von Chemiewaffen seien nun „deutlich gesenkt“. Sehr wahrscheinlich gibt es neben den getroffenen Zielen auch weitere Produktionsstätten.
Frage: Wieso gab es eigentlich überhaupt Chemiewaffen? Sollten sie nicht 2013 alle zerstört worden sein? Antwort: Spezialisten der Organisation für das Verbot Chemischer Waffen (OPCW) haben nach eigenen Angaben seit 2013 alle derartigen Waffen im Land zerstört, die von der Regierung in Damaskus gemeldet worden waren. Russland hatte für die Vollständigkeit der Listen garantiert. Denkbar ist, dass dies nicht der Fall war – oder dass neue produziert wurden. Laut USA es sich zuletzt um Sarin und Chlorgas gehandelt haben. Tödlich können beide sein, doch der Unterschied ist bedeutsam: Sarin wäre von der C-WaffenVernichtung betroffen, Chlorgas nicht. Letzteres ist leicht herzustellen, Chlor wegen seiner zahlreichen Anwendungen in der Industrie auf keiner Verbotsliste.
Frage: Sind die Angriffe legal? Antwort: Wohl nicht. Das Völkerrecht erlaubt keine Bestrafungen und keine Einsätze in souveränen Staaten ohne UN-Beschluss. Ob Ausnahmen zulässig sind – Russland und der Iran betrachten sich in Syrien als eingeladen –, ist umstritten. Die Koalition sagt, man wolle Damaskus zwingen, die Chemiewaffenkonvention einzuhalten, was wegen der Blockade der UN nicht anders möglich sei.
Frage: Was sagt die Uno dazu? Antwort: Im Sicherheitsrat gibt es keine Einigkeit. Resolutionen zur Verurteilung des mutmaßlichen C-Waffen-Einsatzes scheiterten ebenso wie in der Nacht auf Sonn- tag eine russische Resolution zur Verurteilung der Militärschläge. Nur China, Russland und Bolivien stimmten dafür. Acht Staaten waren dagegen, vier enthielten sich.
Frage: In den USA gibt es weitreichenden Konsens über den Einsatz. Wie sieht es in Europa aus? Antwort: Von Einigkeit ist jedenfalls keine Rede. Umfragen sehen in Großbritannien und Frankreich Mehrheiten gegen den Einsatz. Der britische Oppositionschef Jeremy Corbyn etwa übt heftige Kritik. Premierministerin Theresa May hätte die Erlaubnis des Parlaments einholen sollen, so der Labour-Politiker. Frankreich drängte am Sonntag auf Diplomatie für ein Ende des Bürgerkrieges.
Frage: Was macht Deutschland? Antwort: Berlin hält sich zurück – aus innenpolitischen Gründen. Gleich zum Auftakt einen Kriegseinsatz, das will die große Koalition nicht. Auch ist eine Mehrheit der Deutschen gegen eine Beteiligung. Vier von fünf Bürgern sind dagegen, das ergab eine „Civey“Umfrage für Die Welt.
Frage: Doch warum unterstützt Angela Merkel dann den Einsatz? Antwort: Dass sie zumindest im Geiste an der Seite der USA, Groß- britanniens und Frankreichs steht, zeigt ihre Reaktion. Sie nannte die Angriffe „erforderlich und angemessen“. Deutschland will nicht abseits stehen. Anders als 2011: Damals hatte sich Berlin im UNSicherheitsrat enthalten, als es gegen Libyen ging. Deutschland sei aber nicht ständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat, insofern müsse es keine Interventionen mitmachen, argumentiert sie heute.
Frage: Was sagen arabische Staaten? Antwort: Beim Gipfel der Arabischen Liga im saudi-arabischen Dhahran, keine 24 Stunden nach dem Angriff, war die Beurteilung geteilt. Mehrere Golfstaaten begrüßten den Angriff, andere – etwa Ägypten – waren aus Sorge um die Stabilität in der Region dagegen.
Frage: Angeblich gab es Samstagnacht noch einen weiteren Luftangriff. Was ist da passiert? Antwort: Samstagabend kam es zu einer heftigen Explosion auf einer iranischen Militärbasis im Süden Aleppos. Damaskus sprach von einem Unfall, andere vermuteten einen Raketenangriff Israels. Schon am Montag hat das Land allem Anschein nach einen Angriff auf die Basis Tiyas geflogen.