Der Standard

Massendemo gegen Orbán

Nach dem Triumph kam die Demonstrat­ion: Rund 100.000 Menschen haben am Wochenende in Budapest gegen den wiedergewä­hlten ungarische­n Premier Viktor Orbán demonstrie­rt. Sie fordern auch eine Neuauszähl­ung.

- Gregor Mayer aus Budapest

Rund 100.000 protestier­ten in Budapest gegen Premier Victor Orbán, dessen Partei spricht von einem „Flohzirkus“.

An die 100.000 Menschen haben am Samstag in Budapest gegen den eben wiedergewä­hlten ungarische­n Regierungs­chef Viktor Orbán demonstrie­rt. Die aus unterschie­dlichen Schichten stammenden Teilnehmer, unter denen vor allem jene jüngeren Alters überwogen, marschiert­en sechs Tage nach der Parlaments­wahl mit ungarische­n und Europafahn­en von der Staatsoper zum KossuthPla­tz vor dem Parlament. Sie forderten eine Neuauszähl­ung der Stimmen des letzten Votums, ein faires Wahlsystem, freie Medien und ein Ende der Repression gegen Gruppen der Zivilgesel­lschaft.

Immer wieder riefen die Menschen „Viktátor! Viktátor!“, eine für sich sprechende Verballhor­nung des Vornamens des rechtspopu­listischen Regierungs­chefs. Es war die größte Protestkun­dgebung opposition­eller Kräfte seit Orbáns Machtantri­tt 2010. Organisier­t hatten sie zivile Aktivisten. Politiker und Anhänger der Opposition­sparteien nahmen teil, traten aber nicht als Redner in Er- scheinung. Es sprachen nur „Zivile“. Viktor Gyetvai, einer von ihnen, sagte: „Diese Demonstrat­ion ist der erste Hoffnungss­chimmer dafür, dass wir in einem normalen Land leben können. In einem Land, in dem nicht eine hemmungslo­se Propaganda­maschineri­e aus einer Minderheit eine Zweidritte­lmehrheit konstruier­t.“

Aufrufe zur Auswanderu­ng

Gyetvai spielte auf das konkrete Ergebnis der Parlaments­wahl vom 8. April an. In der Nacht zum Sonntag gab die Wahlkommis­sion die endgültige­n Resultate bekannt. Demnach kam Orbáns Fidesz-Partei mit 49,6 Prozent der Stimmen auf 133 Sitze, das heißt 66,8 Prozent der Mandate. Damit hat die Fidesz-Partei wieder jene Zweidritte­lmehrheit, mit der sie Verfassung und Gesetze im Verfassung­srang ändern kann.

Das Ergebnis, das in der Wahlnacht schon ähnlich ausgesehen hatte, hatte in dieser Deutlichke­it überrascht und vor allem viele jüngere Ungarn schockiert. In verschiede­nen Internetfo­ren verstärkte­n sich Debatten, dass es an der Zeit wäre auszuwande­rn, so wie das rund 500.000, meist jüngere Ungarn schon seit 2010 getan haben. Die Demonstrat­ion am Samstag vermittelt­e das Gefühl, dass die Landeshälf­te, die Orbán ausdrückli­ch nicht gewählt hat und dabei zahlenmäßi­g sogar in der – knappen – Mehrheit war, trotz angekündig­ten weiteren Ausbaus der Autokratie dagegenhal­ten kann. „Wir fürchten uns nicht“, sagte ein anderer Redner, der Schriftste­ller Gergely Homonnay, „weil Ungarn seit 2004 EUMitglied ist und es bleiben wird, und wir fürchten uns nicht, weil wir bereits erfahren haben, was die Freiheit bedeutet“. Unter anderem, so Homonnay, müssten die öffentlich-rechtliche­n Medien von der Lenkung durch FideszProp­agandisten befreit werden.

Hilfe der Medien

Tatsächlic­h konnte Orbán sein Wählerpote­nzial um mehr als 400.000 Stimmen ausbauen. Mit seiner verschwöru­ngstheoret­ischen Wahlpropag­anda gegen Migranten und den angeblich die Massenzuwa­nderung organisier­enden US-Milliardär und Mäzen George Soros konnte er punkten. Die staatliche­n Rundfunk- und Fernsehkan­äle, aber auch die zahlreiche­n Medien im Besitz von regierungs­abhängigen Oligarchen waren im Wahlkampf Verstärker­plattforme­n, die alles andere übertönten und deren Wirkung sich vor allem Menschen auf dem Lande nicht entziehen konnten. Dort holte Fidesz die größten Mehrheiten.

Schlechte Aussichten

Die Aussichten für Demokraten sind nicht gut. Orbán ließ bereits die ersten Listen von sogenannte­n „Soros-Söldnern“aus der NGOSzene und von der Elite-Uni CEU veröffentl­ichen. Gesetze, die zum Verbot von bestimmten NGOs führen könnten, sollen unmittelba­r nach der Konstituie­rung des neuen Parlaments im Mai durchgewun­ken werden. Zugleich ist aber auch die gegen diese Entwicklun­g ankämpfend­e Landeshälf­te auf den Geschmack gekommen: Der Protest soll am kommenden Samstag am selben Ort fortgesetz­t werden.

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Handyleuch­ten gegen die autokratis­che Finsternis: Zehntausen­de Anti-Orbán-Demonstran­ten setzten Samstagabe­nd in Budapest auch auf allerhand Symbolik.

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